Permanent im Spielmodus
Eine einzige Produktion – beinahe täglich auf dem Programm. Musicals laufen bei den Vereinigten Bühnen Wien nach dem En-suite-Prinzip. Wie das gelingt, erklären diejenigen, die es wissen und umsetzen: auf und hinter der Bühne.
Routinierte Erfahrung. Heute„Hamlet“. Morgen „Lumpazivagabundus“. Und übermorgen „Ritter, Dene, Voss“. Was im Repertoiretheater Alltag ist, ließe sich im Musical keinesfalls umsetzen. Allein die hochkomplexen technischen Anforderungen und die schiere Anzahl an Darsteller*innen, Musiker*innen und Tänzer*innen würden ein entsprechendes Vorhaben in Rekordzeit sprengen.
„In unseren Theatern konzentrieren wir uns pro Saison auf eine einzelne Produktion, die sechs bis sieben Mal pro Woche aufgeführt wird. Bei großem Erfolg – wie es aktuell bei ‚Rock Me Amadeus‘ und ‚Das Phantom der Oper‘ der Fall ist – verlängern wir die Laufzeit sogar über mehrere Spielzeiten hinweg, um der anhaltenden Nachfrage gerecht zu werden“, erklärt Intendant Christian Struppeck.
„Im daily business eines En-suite-Betriebs liegt die größte Herausforderung darin, auch nach 200, 300 oder sogar 400 Aufführungen konstant erstklassige Qualität zu gewährleisten. Unser Ziel ist es, das Publikum bei jeder Vorstellung aufs Neue zu begeistern und ihm ein außergewöhnliches Theatererlebnis zu bieten. Deshalb liegt ein großer Fokus darauf, die Routine bewusst auszublenden und jede Aufführung so zu gestalten, als wäre es die erste. Nur so können wir sicherstellen, dass die Magie des Theaters auch nach unzähligen Vorstellungen für jede Besucherin und jeden Besucher spürbar bleibt. Ein zentraler Aspekt unserer Produktionen ist die künstlerische Aufsicht, die von unseren Abendspielleitern – der Abendregie – übernommen wird.“
Und diesen kommt im En-suite-Spielbetrieb eine zentrale Rolle zu.
„Ich finde die englische Bezeichnung resident director aussagekräftiger“, so Fritz Schmid. Der Abendspielleiter bei „Rock Me Amadeus“ ist nach der Abreise des Kreativteams, dessen Aufgabe mit der Premiere in der Regel beendet ist, als ortsansässiger Regisseur unabdingbar. „Wir sorgen dafür, dass die Show nicht nur ihr künstlerisches Niveau hält, sondern wir dieses möglichst noch weiterentwickeln und verbessern. Dazu gehört, in Abstimmung mit dem Dance Captain und dem musikalischen Leiter, auch das Einstudieren der Zweitbesetzungen.“
Christoph Sommersguter, stellvertretender Abendspielleiter bei „Das Phantom der Oper“, ergänzt: „Wir geben den technischen Abteilungen und den Darsteller*innen Feedback zur Qualität der Vorstellungen und nehmen, wenn nötig, Korrekturen vor. Gemeinsam mit dem künstlerischen Betriebsbüro kümmert sich die Abendspielleitung um alle anfallenden Belange des laufenden Spielbetriebs. Das betrifft von Besetzungen über Urlaubsanfragen bis hin zu Unfallberichten ein weites Spektrum.“
Zweck, Ziel & Vorgabe: ein reibungsloser Ablauf, in den alle Abteilungen involviert sind. Neben dem künstlerischen Verständnis – beide Abendspielleiter kommen aus der Praxis – brauche man, so Fritz Schmid, „ein gehöriges Maß an Empathie und Führungsqualitäten“. Man solle unbedingt auch eine Begabung zur Organisation und Planung mitbringen, ergänzt Christoph Sommersguter.
Langweilig werde ihnen jedenfalls im En-suite-Modus nie. Und große Lust auf Repertoiretheater verspürten beide ebenfalls nicht. Dafür ist wohl auch die Liebe zum Genre Musical zu groß. Interessanterweise haben beide Herren das Interview mit demselben Satz beendet: „Das ist genau mein Ding!“
Kontinuierlich unproblematisch
Erich Hull ist Leiter der Bühnentechnik Musical bei den Vereinigten Bühnen Wien und hat ein klar definiertes Betätigungsfeld: „Die Hauptaufgabe ist ein reibungsloser, qualitativ hochwertiger Ablauf der technisch aufwendigen Shows. Dazu gehört die Entwicklung des technischen Stückablaufs auf der Bühne, das Personalmanagement für den laufenden Betrieb und die Wartung und Instandhaltung der jeweiligen Dekoration.“ Der En-suite-Spielbetrieb bringe eine Menge Vorteile mit sich. „So können wir etwa die Backstagebereiche anders ausstatten und für unsere Mitarbeiter angenehm gestalten, da wir in einer Saison zirka 250 Vorstellungen im gleichen Set haben. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Nähe und Zusammenarbeit mit Darsteller*innen und anderen Gewerken, wenn man über zehn Monate hinweg auf engstem Raum zusammenarbeitet.“
Das Alleinstellungsmerkmal des Musicals sei die Exaktheit der Abläufe, sodass jede Show auf demselben hohen Niveau stattfinde.
Tagtäglich motiviert
Und wie geht es den Stars der Shows damit, dass sie allabendlich in die gleiche Rolle schlüpfen müssen?
„Wir haben bei ‚Das Phantom der Oper‘ schon über 100 Vorstellungen gespielt. Langweilig wird es für mich so schnell nicht. Ich versuche, so gut es geht, die Energie meiner Kolleg*innen zu übernehmen und so gemeinsam mit ihnen die Show zu etwas Besonderem zu machen. Das gibt mir auch die Möglichkeit, die Vorstellung jeden Tag anders zu erfahren und zu spielen“, erzählt Roy Goldman.
Lisanne Clémence Veeneman bezeichnet die Rolle der Christine Daaé als wahr gewordenen Traum.„Je öfter ich sie spiele, desto mehr verstehe ich ihre inneren Kämpfe, ihre Ängste und Träume. Außerdem schafft die enge Zusammenarbeit mit dem Ensemble eine ganz besondere Bindung – wie eine zweite Familie. Dieses Vertrauen überträgt sich auch auf die Bühne. Auch das gesamte Team hinter der Bühne, von der Requisite über Kostüm und Hair/Make-up bis zur Technik, spielt eine riesige Rolle darin, jede Vorstellung einzigartig zu machen.“
Moritz Mausser, als Falco momentan der jüngste Musical-Hauptdarsteller in Wien, meint, dass ihm auch die Sommerpause sehr geholfen habe, frisch zu bleiben. „Durch den Abstand hat sich vieles gesetzt, und manche Szenen fühlen sich jetzt anders, aber immer noch sehr stimmig an.“ Die Vorteile des En- suite-Spielbetriebs für ihn? „Ich habe wahnsinnig viel Zeit, beständig in die Tiefe zu gehen und diesen Charakter vielseitig kennenzulernen. Durch das tägliche Spielen befasse ich mich natürlich auch jeden Tag mit Hans und lerne dadurch mehr über ihn – und über mich. Die Figur und die Musik geben extrem viel her, fad wird mir nie.“
Falcos Ehefrau im Stück, Isabella, wird gespielt von Katharina Gorgi. „Bei einem Stück wie ‚Rock Me Amadeus‘, wo die Beziehung zwischen den Figuren so spannend ist, gibt es auch nach über 200 Vorstellungen immer wieder neue Ebenen zu entdecken. Und diese Beziehungen der Charaktere untereinander entwickeln sich von Show zu Show weiter. Es fühlt sich fast so an, als ob man die Geschichte und die Rollen immer besser versteht und weiter formt.“ Langeweile?
Fehlanzeige. Vielmehr sei es jeden Abend eine Überraschung, was sie aufgrund veränderter Nuancen auf der Bühne erwarte.
„Natürlich ist die Wahl des richtigen Stücks entscheidend, da eine lange En- suite-Laufzeit nur dann erfolgreich ist, wenn eine entsprechende Nachfrage beim Publikum gegeben ist“, hat Christian Struppeck das letzte – wahre – Wort.