Traumpaar mit Traumata
„Das Phantom der Oper“ kehrt zurück: jünger, diverser, aktueller. Anton Zetterholm fasziniert als mysteriöses Phantom, Lisanne Clémence Veeneman forciert Christines komplexen Weg. Die Musicalstars im Zwiegespräch.
Maske rauf. Kronleuchter runter. Diese Minimalform einer Inhaltsangabe lockte weltweit bisher etwa 160 Millionen Menschen in die Theater. Dabei entspricht Andrew Lloyd Webbers Adaption des 1909 erschienenen Romans von Gaston Leroux mit seiner multidimensionalen und durchaus verstörenden Handlung nicht zwangsweise den romantischen Anforderungen, die oftmals an ein Musical gestellt werden. Wahrscheinlich liegt der enorme Erfolg aber eben auch in jener Vielschichtigkeit begründet. Anton Zetterholm spielt in Cameron Mackintoshs Neuproduktion, die noch nie im deutschsprachigen Raum zu sehen war, das Phantom, die junge niederländische Sopranistin Lisanne Clémence Veeneman ist als Christine Daaé das Objekt seiner psychologisch komplizierten Begierde.
Erzeugt die oben beschriebene Bilanz Stress, oder spornt sie eher an? „Erst einmal spürt man Druck“, erklärt Anton Zetterholm, „und ich habe mich ernsthaft gefragt, ob ich der Richtige dafür sein könnte. Aber dann habe ich verstanden, dass man eine jünger besetzte, zeitgenössischere Version davon haben wollte, und fand, das könnte gut passen. Jetzt freue ich mich sehr darauf, weil es eine Rolle ist, bei der man täglich Neues entdecken kann und mit der man nie ‚fertig‘ ist. Das ist, wenn man en suite spielt – was mitunter langweilig werden kann –, ein Segen.“
Lisanne Clémence Veeneman hat hingegen intensiv auf diesen Moment hingearbeitet. „Christine ist eine ikonische Rolle, was einem natürlich Stress bereitet. Aber es ist auch meine Traumrolle. Ich habe ‚Phantom of the Opera‘ zum ersten Mal mit 15 Jahren gemeinsam mit meiner Großmutter in London gesehen und mich sofort in diesen Part verliebt. In der Folge habe ich alles darüber gelesen, was ich finden konnte, und mir jeden Film angesehen, der das Thema behandelt. Die aktuelle Fassung geht noch viel mehr in die Tiefe und veranschaulicht die Motive der einzelnen Charaktere stärker, sodass sie greifbarer werden. Ich denke, das macht das Musical um einiges moderner, ohne das Original zu verleugnen.“
Am Klavier mit Phil Collins
„Das Phantom der Oper“ in deutscher Sprache zu singen mobilisiert Lisanne Clémence Veenemans Ehrgeiz zusätzlich. „Mir ist es wichtig, die Sprache gut hinzubekommen, also arbeite ich auch hart daran. Das, was man singt und sagt, soll nicht nur korrekt klingen, sondern man muss den Sinn dahinter spüren. Das hat auch etwas mit Respekt dem Publikum gegenüber zu tun.“ Anton Zetterholm hat „Das Phantom der Oper“ – in der Rolle des Raoul – auch schon in Englisch und in seiner Muttersprache Schwedisch gesungen. „Am besten klinge ich aber in Deutsch. Ich weiß nicht, warum, aber es passt perfekt zu meiner Stimme.“
Er erlebe allerdings immer wieder, dass die universelle Sprache der Musik Verständigungsbarrieren ohnehin überwinde. „Ich saß 2008 gemeinsam mit einem amerikanischen Produzenten und Phil Collins in einem kleinen Zimmer am Klavier. Wir hatten die deutsche Übersetzung des von Collins komponierten Musicals ‚Tarzan‘ vor uns. Niemand von uns sprach damals Deutsch. Aber wir haben in diesem winzigen Raum Musical-Geschichte geschrieben, denn so, wie wir den Sprachfluss rhythmisch festgelegt haben, wird das Stück noch heute gespielt.“
Die große Chance
Für Lisanne Clémence Veeneman ist dies ihre erste Hauptrolle in einem großen Musical. Eine Herausforderung, die ihr gesanglich und physisch viel abverlangt. „Christine ist beinahe ständig auf der Bühne, was es aber auch sehr spannend macht. Ich mag es, den Motor laufen zu lassen. Aber man muss natürlich sehr gut auf seinen Körper achtgeben, da man ihm viel abverlangt. Ein gesunder Lebensstil sollte selbstverständlich sein. Wenn ich am Abend nach Hause komme, trinke ich eine Tasse Tee und gehe zu Bett. Für mich ist es das aber wert.“ Ihre Rolle sieht sie auch als Geschichte einer Emanzipation. „Christine wächst vom Mädchen zur Frau, die weiß, was sie will und wofür sie steht. Und es gelingt ihr, das zu sehen, was hinter den jeweiligen Charakteren steckt; warum das Phantom schreckliche Dinge tut. Dass sie diesen Mann am Ende küsst, ist ein Zeichen ihrer Erkenntnisse über die menschliche Existenz. Der Kuss hat eine enorm starke Kraft.“
Anton Zetterholm sieht die Faszination seiner Rolle auch darin begründet, dass uns dunkle Persönlichkeiten generell faszinierten. Seine Kondition wird zurzeit gleich zweifach auf die Probe gestellt, spielt er doch auch Tony in „West Side Story“ an der Volksoper.
„Das ist schon ein bisschen verrückt“, lacht er, „außerdem habe ich noch zwei kleine Kids zu Hause, was gerade am meisten Kraft kostet. Es ist aber auch ein Luxusproblem, denn beide Häuser haben gut zusammengearbeitet, damit das klappt. Und für einen Schauspieler ist es eigentlich ein Traum, diese beiden Rollen zeitgleich spielen zu können.“
Das Phantom der Oper von Andrew Lloyd Webber
Das „Phantom der Oper“ gehört zu den bekanntesten Musicals. Worum es geht und worauf die Geschichte eigentlich zurückgeht, ist hier kurz zusammengefasst. Weiterlesen...