Dramaturginnen und Dramaturgen widmen sich nicht nur der Recherche und dem Ausarbeiten von Konzepten. Ganz im Gegenteil, denn in den Händen der Dramaturgie laufen unglaublich viele verschiedene Stränge des Theaterbetriebs zusammen. „Man arbeitet mit dem gesamten Produktionsteam an einer bestimmten Inszenierung“, erklärt Lucie Ortmann, Leitende Dramaturgin am Schauspielhaus Wien. „Der Text- und Recherchearbeit kommt dabei eine zentrale Rolle zu, aber es geht auch um alles Sicht- und Spürbare einer Aufführung. Die Dramaturgin oder der Dramaturg fühlt sich für Inhalte verantwortlich und stellt kritische Fragen.“

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Gemeinsam denken, gemeinsam arbeiten

Der zweite große Bereich der Dramaturgie umfasst noch sehr viel mehr als einzelne Inszenierungen. Dramaturginnen und Dramaturgen feilen gemeinsam mit der Leitung eines Hauses an der künstlerischen Ausrichtung des Theaters. Oder wie Lucie Ortmann zu Beginn unseres Gesprächs sehr viel bildlicher zusammenfasste: „Wir entwickeln gemeinsam Fantasien und schmieden Pläne.“ Zu dieser Arbeit gehören alle konzeptionell-inhaltlichen Fragestellungen und Schwerpunkte, beispielsweise die Gestaltung des Spielplans und das Festlegen der Programmausrichtung. Sind die verschiedenen Tätigkeitsfelder in größeren Häusern manchmal etwas strikter getrennt, steht in dem von Tomas Schweigen geleiteten Theater das gemeinschaftliche Arbeiten im Vordergrund. Die Grenzen zwischen den einzelnen Aufgabenbereichen oder Abteilungen seien am Schauspielhaus Wien aber ohnehin fließend merkt die Dramaturgin an. „Zwar bringt jede und jeder eigene Kompetenzen in den Prozess ein, wir denken und arbeiten aber gemeinsam“.

Große Anziehungskraft

Keine Sekunde hat Lucie Ortmann gezögert als sie gefragt wurde, ob sie ans Schauspielhaus Wien kommen möchte. „Obwohl so ein Umzug immer eine große Sache ist und definitiv auch eine schwerwiegende Entscheidung“, fügt sie hinzu. „Die Stelle hat mich aber sehr interessiert, weil sie stark in ein Team eingebettet ist. Wir arbeiten sehr eng zusammen. Das zeichnet die Arbeit hier für mich aus. Das Schauspielhaus hat für mich nicht nur ein spannendes Profil, sondern außerdem als Institution eine perfekte Größe. Für die gemeinsame Arbeit ist das toll. Man ist mit jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe und in fast täglichem Kontakt.“

Bevor Lucie Ortmann ihren Lebensmittelpunkt im August des Vorjahres nach Wien verlagerte, hat sie als Dramaturgin mit Schwerpunkt Tanz bei der Ruhrtriennale gearbeitet. Geboren ist sie in Bochum im Ruhrgebiet, „einer kleinen Arbeiterstadt mit wunderschönem Schauspielhaus“, wie sie schmunzelnd erklärt. Schon als Jugendliche war sie künstlerisch interessiert und pilgerte deshalb regelmäßig für Jugendclubs und Praktika ins Schauspielhaus Bochum. Dass Leander Haußmann als damals jüngster Intendant Deutschlands das Haus führte, verstärkte die Anziehungskraft zusätzlich. „Er brachte da Rock’n’Roll hinein“, fasst sie lachend zusammen. Ihr größtes Interesse galt sofort der Dramaturgie. „Ich habe den Bereich so spannend gefunden, weil in der Dramaturgie so intensiv diskutiert und an Konzepten gearbeitet wurde“.

„Rand“ von Miroslava Svolikova eröffnete die Spielzeit am Schauspielhaus und war Lucie Ortmanns erste dramaturgische Aufgabe in ihrem neuen Job.

Foto: Matthias Heschl

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Routine gibt es nicht

Vor allem in der momentanen Situation steht bei Lucie Ortmann zusätzlich sehr viel Organisatorisches auf der Agenda: „Wir müssen ständig Dinge ändern und adaptieren, außerdem bin ich vielleicht noch enger als sonst mit dem gesamten Team im Austausch.“ Da geht es dann um inhaltliche Themen, aber auch um ganz anderes wie Quarantänebestimmungen. „In der Dramaturgie hat man auf jeden Fall immer viel zu tun“, sagt sie lachend. Es sei definitiv ein Job, bei dem die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit fließend ineinander übergehen, weil einen einzelne Fragestellungen einfach auch zu Hause noch beschäftigten. Da helfe es auch nicht wirklich extrem diszipliniert zu sein.

Wie stark die Dramaturgin oder der Dramaturg in die einzelnen Inszenierungen eingebunden ist, hängt in der Regel von der Arbeitsweise der Regie ab. Lucie Ortmann hat in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren schon unterschiedlichste Herangehensweisen kennengelernt. Dabei wurde ihr unter anderem eine Sache immer klarer: Routine gibt es nicht. „Selbstverständlich ist es so, dass man gewisse Abläufe nach einiger Zeit gut kennt und eine Form der Routine entwickelt, gleichzeitig ist bei jeder Produktion immer wieder etwas neu für mich“, erklärt sie. „Selbst in der Zusammenarbeit mit Tomas Schweigen, mit dem ich schon viel gemeinsam gemacht habe, ist jedes Projekt, das wir zusammen umsetzen, anders.“ Unterschiede ergeben sich beispielsweise daraus, ob eine Autorin oder ein Autor in das Projekt eingebunden ist oder ob der Text beziehungsweise die Handlung während der Proben vom Team entwickelt wird.

Unabhängig davon, ob sie viel oder etwas weniger Zeit auf den Proben verbringt, fühlt sich Lucie Ortmann als Partnerin, „die schaut und erspürt“. Mit dem veralteten Klischeebild des Dramaturgen als gefürchtete Kontrollinstanz möchte sie auf jeden Fall nichts zu tun haben. Bei all der Begeisterung für ihre Arbeit, die sie ausstrahlt, wäre das aber auch nicht mal im Ansatz vorstellbar.  

Zur Person: Lucie Ortmann

Lucie Ortmann studierte Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und anschließend Medienkulturanalyse an der Universität Düsseldorf. Sie war als Dramaturgin in den Bereichen Schauspiel und Tanz u. a. am Schauspiel Köln, am Schauspiel Hannover und am Staatsschauspiel Dresden tätig. Von 2017 bis 2018 war Lucie Ortmann zunächst Teil des Künstlerischen Leitungsteams der Intendanz von Florian Fiedler am Theater Oberhausen, bevor sie als Dramaturgin mit Schwerpunkt Tanz zur Ruhrtriennale unter der Künstlerischen Leitung von Stefanie Carp (2018-2020) wechselte. Seit 2020 ist sie Leitende Dramaturgin am Schauspielhaus Wien.

Der Spielplan des Schauspielhauses wird laufend aktualisiert

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