Perspektiven statt Retrospektive: Das TQW feiert 20 Jahre
Seinen 20. Geburtstag feiert das Tanzquartier nicht mit einer Retrospektive, sondern mit einer Bestandsaufnahme inklusive Zukunftsperspektiven.
Jubiläen, egal welcher Größenordnung, haben es so an sich, dass sie gerne als Türöffner für emotionale und manchmal auch nostalgisch angehauchte Reisen in die Vergangenheit genutzt werden. Im Kunst- und Kulturkontext werden diese Ausflüge „down memory lane“ häufig als Retrospektiven bezeichnet und sind meistens etwas reflektierter und weniger emotional als viele andere runde Geburtstage. Das 20-jährige Bestehen des Tanzquartiers mit einem Rückblick in Form einer Retrospektive abzurunden, wäre also naheliegend gewesen. Doch Bettina Kogler, seit 2018 Intendantin des Tanzquartiers, möchte lieber voraus- als zurückschauen bzw. ihren Blick auf die gegenwärtige Tanzszene richten. „In diesen 20 Jahren war so viel los, dass es unmöglich ist, eine Zusammenfassung anzubieten, die einen Anspruch auf Vollständigkeit hat. Deshalb haben wir für unser Jubiläum einen Themenschwerpunkt erarbeitet, mit dem wir die wichtigsten Strömungen der Gegenwart zu erfassen versuchen“, erklärt Bettina Kogler ihren Ansatz.
Gut vernetzt bleiben
Darüber hinaus ist für die Intendantin und ihr Team aber auch der Blick in die Zukunft wichtig. „Wobei man keinesfalls nur in eine Richtung schauen sollte“, fügt sie hinzu. Denn wie das Tanzquartier in seinem rund einmonatigen Schwerpunkt zeigen wird, sind es viele verschiedene künstlerische Perspektiven und Positionen, die die zeitgenössische Tanzszene – national wie international – ausmachen. „Außerdem ist es uns auch wichtig, Künstler:innen zu unserem Jubiläum einzuladen, deren Arbeiten noch nie im TQW gezeigt wurden. Das wäre bei einer Retrospektive nicht möglich gewesen“, so Kogler. Das Programm des Schwerpunkts besteht zur Hälfte aus Positionen der lokalen Tanzszene, zur anderen Hälfte aus Performances internationaler Künstler:innen. „So wie auch das Tanzquartier selbst funktioniert“, fügt Bettina Kogler hinzu. „Ich finde, dass es zu unserer Verantwortung gehört, die lokale Szene zu unterstützen, aber es ist auch unser Auftrag, international wichtige Produktionen ins Haus zu holen und gut vernetzt zu bleiben.“
Eröffnungswochenende
Am Eröffnungswochenende werden Performances von Manuel Pelmuş und Alix Eynaudi zu sehen sein. „Bruno“, das Tanzstück von Alix Eynaudi, ist nach dem Lichtdesigner Bruno Pocheron benannt. Seit 2005 pflegt sie mit ihm eine intensive Arbeitsbeziehung. Manuel Pelmuş ist mit „Borderlines“ und „Permanent Collection“ gleich mit zwei Arbeiten vertreten. Ab Mitte Oktober sind mit Doris Uhlich und Florentina Holzinger zwei der bekanntesten Künstlerinnen der zeitgenössischen österreichischen Tanzszene im TQW zu Gast.
Doris Uhlich setzt sich in ihrem neuen Stück „Gootopia“ auf verschiedenen Ebenen mit Schleim auseinander. Florentina Holzinger ist in „A Divine Comedy“ auf den Spuren Dante Alighieris unterwegs. Die Arbeit der Tänzerin und Choreografin hatte Bettina Kogler seit ihren Anfängen am Schirm. „Ich habe Florentina Holzingers erste Arbeit ‚Kein Applaus für Scheiße‘ damals beim Imagetanz Festival gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt kannte sie noch kaum jemand. Dass wir ihre Arbeit nun in diesem großen Format, in der Halle E, präsentieren können, dazu gehört auch dieser Weg.“
Halbzeit
Für Bettina Kogler ist nun die zweite Hälfte ihrer Zeit als Intendantin angebrochen. Zeit für eine Bestandsaufnahme, wie sie findet. „Der Zeitpunkt ist deshalb gut, weil man nach vier Jahren die Institution schon besser kennt, versteht wie sie funktioniert und man das Uhrwerk nochmals etwas genauer einstellen kann. Dabei sind natürlich auch neue Ziele entstanden“, erzählt sie in einem Tonfall, der neugierig macht. So gibt es ab Jänner 2022 ein Programm, das es in dieser Form noch nie im TQW gegeben hat.
„Wir werden pro Jahr zwei dreimonatige Arbeitsphasen haben, in denen fünf jüngere Tänzer:innen und Peformer:innen am Haus angestellt werden, um mit einer erfahreneren künstlerischen Position in einer Kompanie zu arbeiten. Wir möchten damit der Entwicklung entgegenwirken, dass man als Absolvent:in einer Schule, kaum noch Möglichkeiten findet, praktische Arbeitserfahrung in einer Kompanie zu sammeln, weil es diese in dieser Weise nicht mehr wirklich gibt“, erklärt die Intendantin. Außerdem bekommt die Training- und Workshop-Schiene des TQW, die nun von Linda Samaraweerová geleitet wird, mit „Körper- und Performancepraktiken“ einen neuen Namen wie auch ein etwas abgeändertes Konzept.
Neugierde wecken
Für das Tanzquartier wünscht sich Bettina Kogler, dass es so gut wie möglich an die Zeit kurz vor Ausbruch der Pandemie anknüpfen kann. „Wir hatten damals eine Phase, die in etwa eine halbe Saison angedauert hat, in der wir regelmäßig Leute nach Hause schicken mussten, weil wir dauernd ausverkauft waren“, erinnert sie sich. Die Neugierde war geweckt, Menschen unterschiedlicher Altersstufen strömten ins Tanzquartier. „Insofern war die Unterbrechung für uns umso schlimmer“. Per Knopfdruck lässt sich diese Neugierde leider nicht herstellen. „Der Mix aus lokalen Größen wie Florentina Holzinger und internationalen Positionen hat einfach gut ineinandergegriffen“, fasst Bettina Kogler zusammen. „Trotzdem geht es in erster Linie darum, dass die Menschen beginnen darüber zu reden. Diesen Punkt kann man fast nicht absichtlich herbeiführen. Und dort waren wir schon.“
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Erinnerungen an die Anfänge
Obwohl das Jubiläum des Tanzquartiers nicht als Rückschau, sondern als Bestandsaufnahme und Blick in die Zukunft gefeiert wird, ist es für Bettina Kogler dennoch eine gute Gelegenheit an die Anfänge des TQW zu erinnern. „Als ich begonnen habe, mich auf beruflicher Ebene mit dem Thema Tanz zu beschäftigen, wurde gerade darüber diskutiert, ob es ein Tanzquartier geben soll. Hervorgegangen ist die Institution aus einer Künstler:inneninitiative, die zehn Jahre lang dafür gekämpft hat. Um seine Bedeutung zu unterstreichen, wollte man, dass es im Zentrum der Stadt angesiedelt ist." Mit dem Museumsquartier als Homebase ist das definitiv gelungen. „Nicht alle Städte haben diesen Prozess geschafft“, fügt sie hinzu. „In Berlin versucht man zum Beispiel immer noch, eine solche Institution zu gründen.“
Für den nächsten runden Geburtstag des Tanzquartiers – und natürlich auch für die Zeit dazwischen – wünscht sich Bettina Kogler, dass die Szene so lebendig und vielfältig bleibt, dass Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Lust darauf haben, ein Teil davon zu sein. Das Jubiläumsprogramm des TQW könnte ein weiterer Schritt in diese Richtung sein.
Zur Person: Bettina Kogler
Bettina Kogler ist seit 2018 Intendantin. Zuvor war die gebürtige Kärntnerin u.a. künstlerische Leiterin des Festivals imagetanz sowie Kuratorin am brut Wien und Verantwortliche der Abteilungen Tanz und Theater am WUK.