… und dann hat es (endlich) BOOM gemacht!
Wie viel Zeit bleibt, um als Künstler*in Erfolg zu haben? Fliegst du, oder hebst du gar nie ab? „tick, tick … BOOM!“, das Musical um den Wettlauf an die Spitze, ist ein Welthit.
Zahlen haben etwas sehr Brutales. Nur zwei Prozent aller Schauspieler*innen können von ihrem Beruf leben. Der Rest? Der hatte auch den Traum, vom Licht, vom Applaus, vom Erfolg. Aber es wird immer ein Traum bleiben. Ich behaupte: Das Rausgehen auf die Bühne gehört zum Mutigsten (lassen wir mal alle anderen Held*innenberufe weg), was man tun kann: das Ich ausgeliefert dem Wohlwollen fremder Menschen, dem Text, der Musik. Und während man hart für den Erfolg arbeitet, tickt die Uhr, man wird älter, die nächste Generation hoffnungsvoller Jungschauspieler*innen drängt nach. Darum geht es im Musical „tick, tick … BOOM!“. Als Netflix-Film ein Superhit. Als Show ebenso. Und es basiert auf der – fast – wahren Geschichte von Jonathan Larson.
Jonathan … wer?
In Österreich ist der Dramatiker und Komponist eher unbekannt. In den USA ist das anders. Sein Rockmusical „Rent“, das 1996 uraufgeführt wurde, zählt zu den erfolgreichsten des Broadways. Es gewann mehrere Tony Awards und einen Pulitzer-Preis. „Rent“ wurde ein Wendepunkt in der Geschichte des Musicals: Es veränderte die Art, wie man Musicals erzählt. Frischer, rockiger, moderner.
Darum geht es in dem Stück
„tick, tick … BOOM!“ hat Larson 1990 als One-Man-Show geschrieben, und es gruselt, wenn man weiß, wie nah der Inhalt des Stücks an der Realität ist: Hauptfigur Jon steht kurz vor seinem 30. Geburtstag und hofft auf seinen Durchbruch als Musicalkomponist. Er weiß: John Lennon hat in dem Alter gerade die Beatles hinter sich gebracht und seine Solokarriere gestartet. Jon hingegen lebt in einer Substandardwohnung in New York, jobbt als Kellner, und wenn „Superbia“, an dem er seit acht Jahren arbeitet, nicht bald einen Produzenten findet und aufgeführt wird, dann ist er kein Musical-Schöpfer, der als Kellner arbeitet, sondern „ein Kellner mit einem Hobby“, wie er selbst verzweifelt erklärt. Seine Freundin hat es satt, immer für Jons Traum zurückzustecken. Sein bester Freund gibt den kreativen Traum auf und wird Werbetexter. Der Druck steigt, und die Uhr tickt. Tick, tack.
Die Wahrheit und die Fiktion
Sechs Jahre nachdem Larson „tick, tick … BOOM!“ am Off-off-Broadway aufgeführt hatte, feierte sein Musical „Rent“, an dem er über acht Jahre gearbeitet hatte, am Broadway Vorpremiere – und genau an diesem Tag starb Larson an einem Aneurysma.
In der Probebühne
Amerika ist weit weg, aber man darf vermuten, dass der Antrieb, die Angst, die Energie, die Niedergeschlagenheit der Künstler*innen international sind.
Unser Termin fand – aus produktionstechnischen Gründen – mitten im Sommer statt. Es ist heiß. Sie brauchen kein Mitleid zu haben: Bei Erscheinen dieser Ausgabe ist die Hitzewelle nur mehr eine verschwitzte Ahnung in der Vergangenheit. Wir treffen uns in jenem Proberaum der Volksoper, der große Fenster zum Gürtel hat.
Dieses Stück wird Türen für die Volksoper öffnen. Es werden Menschen kommen, die noch nie bei uns waren.
„tick, tick … BOOM!“ wird in der Drei-Personen-Variante an die Volksoper kommen – unterstützt von einer kleinen Band. Die drei Publikumslieblinge Jakob Semotan (Jon), Juliette Khalil (seine Freundin Susan) und Oliver Liebl (Mitbewohner Michael) – die beiden Letztgenannten werden auch noch ein paar andere Rollen spielen – sitzen entspannt in und auf Requisiten, die aus verschiedensten Produktionen stammen und hier auf neuerliche Verwendung warten.
Wie ist das, wenn man von seinem eigenen Gesicht leben muss und nicht weiß, ob und wie lange man als Typ gefragt sein wird?
Juliette Khalil: Schön, aber der Grat zur Existenzangst ist schmal. Zuerst hat man die Angst, dass man es nicht schaffen wird. Fragt sich, ob man überhaupt gut genug ist. Und dann, wenn man es ein bisserl weiter geschafft hat, dann kommt die Angst, ob der Erfolg bleiben wird. Das alles wird in dem Stück sehr realistisch gezeigt.
Jakob Semotan: Am Anfang fragt man sich: Ist das überhaupt der richtige Weg? Hätte man nicht etwas anderes machen sollen?
Oliver Liebl: Ich glaube, man kann es in einem Satz zusammenfassen: Man ist sehr verletzbar. Das wird bei „tick, tick … BOOM!“ auch wunderbar herausgearbeitet. Es ist kein Musical über Jonathan Larson, sondern es geht um die Wünsche, Träume und Probleme, die Künstler*innen haben.
Jakob Semotan: Und wir können etwas auf die Bühne bringen, für das wir auch ausgebildet wurden, das wir aber bislang nicht ausspielen konnten: ein echtes Rockmusical. Dieses Stück wird Türen für die Volksoper öffnen. Es werden Menschen an die Volksoper kommen, die noch nie hier waren.
Juliette Khalil: Es ist eine eigene Stimmfarbe, die wir verwenden – keiner von uns hat je an der Volksoper mit dieser Farbe gesungen, und ich freue mich so, dass wir das endlich rauslassen können.
Oliver Liebl: Ich freue mich sehr für Jakob, dass er mit Jon die Hauptrolle spielen wird. Juliette und ich werden alle anderen Rolle spielen: die Eltern von Jon, die Freunde.
Ihr habt es alle ins Ensemble der Volksoper geschafft. Das Publikum liebt euch. Aber ihr werdet auch immer wieder in ähnlichen Rollen besetzt. Ist das etwas, was – bei aller Freude und Bescheidenheit – auch wieder zu inneren Konflikten führt?
Jakob Semotan: Während der Ausbildung träumt man von dieser einen Rolle, die man unbedingt spielen möchte. Ich war damals 22, als ich mit dem Studium fertig war. In diesem Alter kann man nicht akzeptieren, dass es Rollen gibt, die einfach nicht dem eigenen Typ entsprechen. Elf Jahre später weiß ich, dass ich den Tod in „Elisabeth“ niemals spielen werde. Diese Erkenntnis ist ein ganz wichtiger Schritt. (Schmunzelt.) Beim Musical ist das noch strenger als in der Operette oder der Oper. Dort werden ganz klare Typen verlangt.
Oliver Liebl: Jakob ist der Lustige, sagt man. Und darum freue ich mich, dass er an der Volksoper jetzt den Jon spielen kann. Das ist toll für ihn und für das Publikum, das diese Facette jetzt auch kennenlernen darf. Ich habe ja immer die jungen Liebhaber gespielt. Nichts gegen diese Rollen (lacht), aber ich wollte immer schon das Gegenteil ausprobieren und mich kreativ an etwas satt fressen, das ich bislang nicht zeigen konnte.
Juliette Khalil: Es ist, wie ich schon anfangs gesagt habe: Die Sorge hört nie auf, selbst wenn man Erfolg hat. Als Frau kommen dann noch die Gedanken dazu: Was ist, wenn ich schwanger werde? Wie geht es dann weiter? Aber wenn du am Ende eines Stücks oben stehst und alles hat funktioniert und das Publikum tobt, dann ist das schon etwas sehr, sehr Besonderes. Das kann kaum ein anderer Beruf bieten.
Eine kluge Frau sagte mal über euren Job: Es ist ein Pendeln zwischen Burn-out und Bore-out.
(Alle drei lachen herzlich auf.)
Jakob Semotan: Das trifft es total auf den Punkt. Liebe Grüße an die Frau, wer immer sie ist.
Das Zitat stammt von unserer Produktionschefin Veronika.
Jakob Semotan: Sie soll bei unserem Stück vorbeischauen, wir würden uns freuen.
Sag ich ihr.