„Von Mäusen und Menschen“: Zuletzt stirbt auch die Hoffnung
John Steinbecks aufwühlendes Drama „Von Mäusen und Menschen“ beschreibt das Antonym des amerikanischen Traums. Claudius von Stolzmann und Robert Joseph Bartl agieren dabei an den harten Grenzen des Menschseins.

Foto: Stefan Fürtbauer
Erst die Maus. Dann der Welpe. Und am Ende die Frau des Farmersohns. Lennie hat weder seine Kraft im Griff noch seine Sehnsucht nach Zuneigung, die in ungestümen Zärtlichkeitsbekundungen den Tod bringt. Am Ende auch ihm, denn George, sein Kompagnon im Leiden des Wanderarbeiters zur Zeit der alle Hoffnung verschlingenden US-Wirtschaftskrise, sieht sich gezwungen, ihn zu erschießen. Ein zutiefst humanistischer Akt, um Lennie vor der Lynchjustiz des wutentbrannten Mobs zu bewahren.
Autor John Steinbeck ließ persönliche Erfahrungen in diesen a priori auch als Schauspiel und Drehbuch konzipierten Roman einfließen. Er war in den 1920er-Jahren – nachdem er die Universität Stanford ohne Abschluss verlassen hatte – selbst als Wanderarbeiter in Kalifornien unterwegs und erlebte dabei, wie ein bärenstarker Kollege, mutmaßlich das Vorbild für die Figur des Lennie, einen Vorarbeiter erschlug. Das ungleiche Duo Lennie und George eint die Hoffnung auf eine eigene kleine Farm, auf der Lennie Kaninchen züchten – und vor allem streicheln – will. Doch dazu wird es nicht kommen, bewegen sich doch alle Protagonisten der traurigen Geschichte in einer Art Negativbild des „American Dream“. Die kapitalistische Illusion musste indes unbedingt verteidigt werden, weshalb „Von Mäusen und Menschen“ zeitweilig wegen „Wirtschaftsfeindlichkeit“ auf den Literatur-Index für US-Schulen gesetzt wurde.
Glückhafte Besetzung
Robert Joseph Bartl ist zweifellos der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um Lennie mit sensiblem Leben zu erfüllen. „Es gibt eben Rollen, die zu einem passen und irgendwann auch zu einem kommen müssen“, meint er dazu im Interview. „Ich war dafür schon vor zehn Jahren bei den Bad Hersfelder Festspielen im Gespräch, doch dann kam der #MeToo-Skandal um Intendant Dieter Wedel dazwischen, und es wurde nichts daraus. Als ich 2019 an die Josefstadt kam, fragte mich Direktor Herbert Föttinger schon bei der ersten Probe aus dem Nichts heraus, ob ich ‚Von Mäusen und Menschen‘ spielen wolle. Es ist schon erstaunlich, dass man das im Kanon so sehr mit mir verbindet. Corona hat die Realisierung dann noch einmal verhindert, doch nun ist es so weit.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Lennie ist ein großer Mann mit dem Geist eines Kindes. So agiert er auch, was ihn immer wieder in Kalamitäten bringt. Wie nähert man sich einer solchen komplexen Figur an? „Im Grunde genommen ist das alles schon in uns drinnen, wir müssen nur den passenden Schlüssel zu dieser Abteilung unseres Herzkastls finden. Mit dem Geist eines Kindes hat das für mich wenig zu tun. Der Wunsch nach Zärtlichkeit und Geborgenheit ist doch niemandem fremd, man muss diese Empfindsamkeit nur zulassen und dabei wahrhaftig bleiben. Auch die Gefährlichkeit entsteht ja aus einer Not heraus. Wie viele Morde würde es wohl mehr geben auf der Welt, wenn wir nicht alle erlernte Regeln einhalten würden? Und von denen weiß Lennie halt nichts. Es gibt – neudeutsch gesprochen – Triggerpunkte, wo es mit ihm durchgeht. Wenn er ‚in Druck kommt‘, wie George es nennt, kann er sich nicht mehr zurückhalten.“
Claudius von Stolzmann spielt jenen George, der, auch wenn er oft genervt ist von Lennie, diesen kompromisslos beschützt. „Mich interessiert an dieser Rolle das, was mich an allen Figuren, die ich darstelle, interessiert, nämlich die Menschlichkeit. Ich möchte einen Menschen auf die Bühne bringen, von dem die Zuschauer verstehen können, dass er ein guter Freund sein kann und Lennie am Ende dennoch tötet. Das zu vereinen, zu erforschen und authentisch darzustellen, ist mein Ziel. Die beiden schweißt, denke ich, das Nicht-allein- sein-Wollen in einer schroffen Welt zusammen. George hat Lennie vor anderen aus Spaß einmal fast ersaufen lassen. Dieses Erlebnis hat ihn wachgerüttelt, seitdem übernimmt er Verantwortung für Lennie und lässt ihm gegenüber keine Ungerechtigkeit mehr zu.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Es gibt eben Rollen, die zu einem passen und irgendwann auch zu einem kommen müssen.
Robert Joseph Bartl
Berührende Materie
Die Lektüre des Stücks sorgt kaum für Heiterkeit. Wie wirkt sich die Arbeit daran auf die Stimmung der Schauspieler aus? „Mir geht es sehr gut damit, mich mit Ausweglosigkeit zu beschäftigen“, erläutert Claudius von Stolzmann. „Es macht mir Freude, alle Facetten, die das Menschsein mit sich bringt, wiederzugeben, die Probleme und Unzulänglichkeiten in unserer Komplexität und Variabilität zu benennen. Ich könnte mir keine bessere Zeitverschwendung bei allem, was das Leben so bietet, vorstellen.“
Anders verhält es sich bei Robert Joseph Bartl. „Ich gebe zu, dass diese Thematik schon etwas mit mir macht. Es ist wichtig, auf die Psychohygiene zu achten und beispielsweise an freien Sonntagen schöne Dinge zu planen.“ Erschwerend kommt wohl hinzu, dass er einen kleinen Hund zu Hause hat und im Stück versehentlich einen umbringt.
„Das macht mich wirklich fertig, und ich versuche, es bestmöglich auszublenden.“
Zur Entstehung des Romans gibt es übrigens eine schräge Anekdote: John Steinbeck musste nach Monaten des Schreibens noch einmal ganz von vorne beginnen, weil sein Hund das Manuskript gefressen hatte. „Vielleicht ist deshalb der Hund ins Stück eingeflossen“, mutmaßt Claudius von Stolzmann amüsiert. „Vorher war es vielleicht eine Katze“, ergänzt Kollege Bartl nicht minder erheitert.
Mir geht es sehr gut damit, mich mit Ausweglosigkeit zu beschäftigen.
Claudius von Stolzmann
Diffizile Botschaft
„Versuche, deine Mitmenschen zu verstehen. Wer einander versteht, ist auch freundlich zueinander. Einen Menschen gut zu kennen, führt niemals zu Hass und fast immer zu Liebe“, lautet ein Zitat des Literaturnobelpreisträgers Steinbeck. Ist es tatsächlich so einfach?
„Das würde ich hundertprozentig unterschreiben“, antwortet Claudius von Stolzmann. Robert Joseph Bartl nickt:
„Bei jeder Art von Rassismus oder Antisemitismus ist es genauso. Die Leute wissen nichts voneinander. Meist entsteht die Angst oder die geschürte Angst aus einer Unkenntnis heraus.“ Selbst in politisch aufgeheizten Zeiten wie den aktuellen habe das Zitat Gültigkeit, findet Claudius von Stolzmann. „Würde ich politische Andersdenker besser verstehen, wäre ich ihnen gegenüber weniger ablehnend und freundlicher. Das Problem ist die Umsetzung, weil Verständnis für abweichende Meinungen in unserer menschlichen Grundausstattung nicht wirklich vorhanden ist. Eine Gruppe gibt auch Sicherheit, und Verständnis impliziert die Gefahr, selbst so zu werden wie der, dessen Ansichten man nicht teilt. Aber zu verstehen, warum jemand politisch anders denkt, ist nicht schwierig. Man muss sich nur seinen eigenen Background vor Augen führen, dann einen Schritt zurück machen und über- legen, was aus einem wohl mit anderen Eltern und Freunden geworden wäre. Zu verstehen, dass jemand anders denkt, ist weitaus schwieriger.“

Foto: Stefan Fürtbauer
Robert Joseph Bartl und Claudius von Stolzmann stehen erstaunlicherweise zum ersten Mal in gemeinsamen Szenen auf der Bühne. Man schätze und kenne einander aber schon lange. Nun sei man gespannt. Wir sind es auch.