Ein vom Aussterben bedrohter Zugvogel
Lotte de Beer bringt Puccinis selten gespielte Oper „La rondine“ auf die Bühne. Ein Gespräch über die Relevanz von Humor, das Lachen im Kampf gegen Nihilismus, kreativen Familiensinn im Ensemble und die Notwendigkeit, selber Regie zu führen.
„Weder Fisch noch Fleisch“, dafür aber mit großartiger Musik. So klassifiziert Lotte de Beer augenzwinkernd das Libretto jenes Stücks, dessen Regie sie aktuell übernommen hat. Giacomo Puccinis „La rondine“ – zu Deutsch „Die Schwalbe“ – erlebte zwar in den letzten Jahren eine kleine Renaissance, wurde über Jahrzehnte aber kaum gespielt und stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Ursprünglich ein Auftragswerk des Wiener Carltheaters, bezeichnete sein eigener Verleger Tito Ricordi die fertige Oper als „schlechten Lehár“ und weigerte sich, sie in sein Programm aufzunehmen. Schließlich verhinderte der Erste Weltkrieg, in dem sich Italien gegen Österreich-Ungarn stellte, eine Premiere in Wien, sodass die Uraufführung erst 1917 in Monte Carlo stattfand.
Die Geschichte rund um die Mätresse Magda, deren Zofe Lisette, deren jungen Liebhaber Ruggero und den Dichter Prunier ist eine Art „Kameliendame light“ – nur ohne Tuberkulose und Tod. „Es ist wirklich problematisch“, fasst Lotte de Beer zusammen, „aber zum Glück liebe ich Probleme.“ Ihre sechsjährige Tochter habe „La rondine“ als Musicalversion von „La Bohème“ eingestuft. „Für mich ist diese Oper ein Hybrid zwischen klassischem Puccini und etwas sehr Wienerischem. Ich dachte, wenn wir 2024 schon ein Puccini-Jahr haben (100. Todestag; Anm.) – und ich liebe diesen Komponisten –, dann ist ‚La rondine‘ jenes Stück, das die Volksoper einfach machen muss. Es ist musikalisch sehr interessant und bietet die Möglichkeit, auch komödiantisch zu arbeiten.“
Lotte de Beer baut sich aus dem altmodischen male gaze über Weiblichkeit, den der Dichter Prunier im Stück vertritt, und dem merkwürdigen Ende, bei dem Magda einfach geht, ihre eigene Sichtweise. Die Zofe und Opernsängerin Lisette, deren Liebe zu Prunier ziemlich toxisch ist, wird aufgewertet. Sie kämpft um ihre Sichtweise des Librettos, verlangt logischeres Denken im Ablauf, begehrt quasi gegen ihren Schöpfer auf.
„Wir spielen also mit den Klischees, die im Stück liegen, thematisieren die Problematiken unterhaltsam und freuen uns, dass einmal ein Opernlibretto ohne Femizid endet.“
Lebensnah lebensfroh
In der aktuellen Spielzeit konnte die Volksoper mit Stücken wie „Lass uns die Welt vergessen“, „West Side Story“, „tick,tick... BOOM!“, „Salome“, „Aristocats“ und „Die Reise zum Mond“ große Erfolge feiern. Im März hatte „Die lustige Witwe“ Premiere, in der Deutung von Regisseurin Mariame Clément ebenfalls eine Spur emanzipatorischer angelegt. „Die klassische Operette ist eine herrliche Mischung aus Sprech- und Musiktheater. Es ist Entertainment, und in unserer von harter grauer Realität geprägten Zeit haben die Leute das Bedürfnis danach, von der Poesie umarmt zu werden. Sie wollen Melodien zum Mitsingen, und sie wollen lachen. Humor sollte im Heute verankert sein, jeder Witz muss ein Update erfahren, damit man ihn versteht, was in der Operette eine lange Tradition hat. Dazu kommt der Ewigkeitswert, den die Musik mitbringt“, erklärt Lotte de Beer. „Die Kirche hat bei uns weitgehend ausgedient, wir brauchen aber einen Platz, an dem wir zusammenkommen und sowohl das Denken als auch das Fühlen in einer gemeinsamen rituellen Form erleben können. Und das ist das Theater.“
Ihre eigene positive Energie entstamme der Tatsache, dass es in ihrer Familie Fälle schwerer Depression und einige Suizide gegeben habe. „Ich spüre diese Schwermut auch ein wenig in mir selbst. Wenn ich wirklich über das Leben nachdenke, komme ich auf eine sehr nihilistische Perspektive. Ich will das aber nicht! Deshalb muss ich versuchen, jeden Moment meines Lebens schöner zu machen. Nur durch Singen, Tanzen und die Liebe wird die Imperfektion auf dieser Welt erträglich.“
Nur durch Singen, Tanzen und die Liebe wird die Imperfektion auf dieser Welt erträglich.
Lotte de Beer, Direktorin der Volksoper Wien
Erfolg durch Kritik
Aus dem ersten BÜHNE-Interview zu ihrem Amtsantritt stammt folgendes Zitat: „Ich will, dass wir mit großem Ehrgeiz das allerbeste, allerwitzigste und am meisten zeitgemäße Haus der Stadt werden. Eine große kreative Familie.“ Ist das bereits gelungen? Lotte de Beer atmet tief durch, ehe sie zur Antwort ansetzt. „Ich habe einmal im Monat ein Treffen in der Kantine, bei dem das gesamte Ensemble zusammenkommt und bei dem jeder sagen kann, was ihm oder ihr am Herzen liegt. Am Anfang waren die Leute ein wenig misstrauisch, mittlerweile herrscht so viel Vertrauen, dass auch sehr kritische Fragen gestellt werden, weil wir einfach alle wissen, dass wir hier sind, um gute Kunst zu machen. Man spürt auch den Stolz: Wir sind die Volksoper. Dieses Familiengefühl ist außergewöhnlich. Ich gehe momentan jeden Tag mit laut pochendem Herzen in die Arbeit, und das würde ich schon einmal als Erfolg werten“, endet sie mit einem typischen De-Beer-Lachen.
Ist sie gerne Chefin? „Ja, aber nicht im klassischen Sinne. Alle duzen mich, man kann mir alles sagen, und ich höre auch auf die Leute, weil sie oft viel mehr wissen als ich. Ich mag es, in einem System zu arbeiten, in dem ich die Chance habe, idealistisch umzusetzen, woran ich glaube. Und ich liebe es, Dinge zu verbessern, wenn ich sehe, dass sie nicht perfekt sind.“
Gewinnende Philosophie
Lotte de Beer kam über ihre Opernbegeisterung zur Regie. „Erst habe ich Musik studiert, dann Schauspiel. Weil ich aber gemerkt habe, dass ich als ausführende Kraft nicht genügend Talent habe, bin ich einen anderen Weg gegangen und habe zu inszenieren begonnen.“
Und das tut sie auch heute noch gerne und häufig – auch, weil ihr die Präsenz dazu dient, der Volksoper eine bestimmte Handschrift zu verleihen. Führt man als Intendantin „anders“ Regie? „Ja, absolut. Das beginnt schon bei der Auswahl der Werke. Oft sind das Sachen, die ich als Regisseurin nicht vorschlagen würde, von denen ich aber glaube, dass wir sie am Haus unbedingt brauchen. Manchmal ist es so, dass genau diese Stücke niemand inszenieren will, also mache ich es selbst. Man ist generell viel mit dem Wohl des Hauses beschäftigt und damit, was das Ensemble braucht. Bei uns sind die eigenen Leute die Stars, das ist unsere Philosophie. Denn sie sind es, die das Publikum verzaubern müssen.“