Heute Nacht werden die Uhren zurückgestellt, behaupten sie.

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Es sind dann doch die alten Männer aus dem Osten. Sag jetzt nichts, aber so ist es. Sie haben halt dieses eine Postergirl aus Köln, sie haben diesen einen Identitären aus Österreich, sie haben diese 120 Reichsbürger, sie haben diesen Zahnarzt aus Düsseldorf, sie haben diesen mittelständischen IT-Unternehmer, sie haben diese Bundeswehr-a. D.-Fraktion, sie haben diesen Richter aus Baden-Württemberg oder war es Rheinland-Pfalz, sie haben diese NRW-Frau von der Werteunion, überhaupt Werteunion, sie haben diese Abgeordnete und Hessen, sie haben Hessen, Nordhessen, Südhessen, was auch immer, Vogelsbergkreis, Kirtorf, sie haben diese Jugendlichen von überallher.

Das stimmt nicht.

Sie haben nicht diese Jugendlichen von überallher, sie haben nur die einen. Die anderen haben wir ja hier. Aber sie haben diese Bauernverbände, sie haben die Landwirtschaft, sie haben das Land, das große Land.

Sie haben nicht das ganze Land.

Sie haben nicht das ganze Land, aber Ostdeutschland wohl, sieh dir die Umfragewerte an, 36 Prozent erwägen hier im Osten diese Wahl. Und dann Bayern. Sie haben auch in Österreich das Land. Sieh dir die Umfragewerte an. Sie haben überall das Land. Das Land ist faschistisch. Und wenn sie es nicht haben, dann treiben sie die anderen Parteien vor sich her. Sieh dir die Umfragen an. Sie haben die Plätze, sie haben die Orte und abgelegenen Straßen, sie haben die Einfahrt zum Netto und die Dorflinde, sie haben die Tankstellen und Autobahnraststätten, sie haben die Sportplätze und Hotelfoyers.

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Sie haben nicht die Sportplätze. Sie haben nicht die Unternehmenseingänge, sie haben nicht die Schulen.

Sie haben die Sprache. Sie wollen Diskurshoheit. Sie wollen Begriffe prägen. Jedes Tool, jeden Gedanken von links nehmen sie und eignen sich ihn an. Freiheit, Heimat, subversiv, Antiestablishment, Denken, Aufklärung, aktivistisch, sie kapern die ganze Sprache.

Das stimmt nicht.

Denk an die Codes of Conduct, das ist das Nächste. Kam von Metoo, kam von linken Gruppen, und jetzt? Ein gutes Instrument liberaler Politik? Denk an den Vorwurf des Antisemitismus. Auch das kann ein hervorragendes Tool sein, um sich kritischer Stimmen zu entledigen. Oder der Freiheitsbegriff. Immer beliebt. Sie genießen es, für die Freiheit einzutreten, die nur Grobheit bedeutet. Sie genießen es. Sie genießen es, anderen Doppelmoral vorzuführen. Sie genießen es, den anderen Dummheit vorzuwerfen, die sie jetzt überall sehen.

Burgtheater
Aufstehen, bevor es wieder finster wird. Die Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Tendenzen fand auf der Bühne, in Diskussionen und Lesungen, aber auch auf der Straße statt.

Foto: Laura Reichert

Also ich sehe da nichts. Kannst du das mal langsam scharf stellen?

Sie sagen, der Bundeskanzler hält sich für schlau, der Wirtschaftsminister hält sich für schlau, die Außenministerin hält sich für schlau, aber wir sind da schlauer. – Ich folge doch dieser Frau auf Instagram. Ich bin auf Facebook mit diesem Typen verlinkt. 

Sie posiert mit Traktoren, sie nutzt die Bauerndemos. Er nutzt die Coronaleugner, sie nutzen die Esoteriker und Heilpraktiker, sie nutzen die kritischen Köpfe –

Ich bitte dich!

Ich bitte dich: Wenn jemand fortwährend erwiesenermaßen lügt und deswegen umso mehr als authentisch gilt, das hatten wir doch schon! Denk an Trump, denk an Trump, denk an Trump!

Ich denke nicht an Trump. Ich kenne das auch von ganz anderer Seite.

… Wenn jemand fortwährend unwahre Sachen behauptet, so schnell, dass man gar nicht hinterherkommt, sie zu widerlegen –

… Das kenne ich aber auch aus anderen Zusammenhängen. Einfach sehr schnell nacheinander Dinge behaupten, das wird einem ja regelrecht beigebracht in jedem Managementtraining. Und irgendwann hört man sich selbst sagen, man argumentiere ganz faktenbasiert. „Fakten, Fakten, Fakten, da bin ich ganz Journalist“, hört man sich plötzlich sagen, obwohl man weiß, dass man falsch liegt.

Sie sagen: Man merkt an einer Stelle, da stimmt etwas nicht. Also die Zahlen stimmen nicht, von einer Demo. Und dann liest man Studien, obsessiv Studien. Sie sagen, sie seien jetzt aufgewacht. Wir seien noch Schlafschafe. Sie sagen: Bei uns hat es klick gemacht.

Ach, bei dir noch nicht?

Und das Postergirl taumelt derweil von den Corona­leugnern zu Roger Waters zu den Bauern, sie gibt Denken als Hobby an, und ihre Harmlosigkeit verbindet sich immer mit Entschiedenheit. Wir können ihr Bild nicht scharf stellen. Sagt sie gerade: Ich bin Sophie Scholl?

Suspendierte Polizisten. Ohnmacht bei vollen Be­zügen. Chatgruppen, die einfach da waren und immer noch sind. Ereignisse ohne Ende. Tote ohne Zeugnis. Das Bild bleibt nicht stehen. Es hätte auch keine Konsequenzen. Das, was überbleibt, ist bleierne Konsequenzlosigkeit.

Sie haben die Angst. Ihnen gehört all die Angst.

Irrtum, sie behaupten, wir würden allen Angst einjagen. Wir seien die Monster.

Sage ich ja, sie sind Angstbeschleuniger. Immer schneller geht das. Sie ahmen sich im Angstmachen nach. Sie schauen sich alles ab, während wir noch ewig debattieren, ob wir da etwas verbieten dürfen. Als fehlten noch Beweise. Aber die Bilder fehlen nicht mehr.

Als müsste man stets noch auf den letzten Beweis warten. Warten, bis es garantiert schiefgeht.

Sie sagen, sie seien die Juden von damals. Sie sagen, wir würden schießen, dabei haben sie die Waffen, sie haben alle Waffen. Ein jeder Bundeswehrler nimmt was mit. Es bestehen Kontakte zu Waffenläden. So und so viel Schuss Munition habe man da und dort gefunden. Ganze Waffenlager, Waffenkeller, Waffenhäuser findet man.

Burgtheater
Marie-Luise Stockinger liest Sabine Gruber. Die eigens vom Burgtheater in Auftrag gegebenen Texte wurden im Rahmen einer Matinee am 17. März im Burgtheater erstmals gelesen.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Sie haben nicht alle Waffen.

Sie haben die Waffen, sie faseln vom Tag X, der da kommen wird. Sie werden schneller sein. Wir sind immer zu langsam. Wir sind immer zu demokratisch langsam, während sie rasend schnell sind.

Autorität ist rasend schnell.

Und was werde ich da gefragt: Sagt mal, habt ihr Bilder dazu? Habt ihr das Ganze gefilmt? Wo sind eure Geheimkameras? Mitten im Bundestag? Mitten im Hotel? Mitten im Bahnhofsrestaurant? Es sind ja mittlerweile sehr öffentliche Orte.

Als ob es noch Bilder bräuchte.

„Weil, wir sehen noch immer nichts. Könnt ihr das nicht schärfer stellen? Wir sind immer noch mitten in der Unschärfe.“

Wir sind längst in keiner Unschärfe mehr und schon gar nicht in deren Mitte.

„Weil, wir müssen sicher sein. Der Schaden eines schiefgegangenen Verbotsverfahrens wäre immens, das weißt du doch. Wir müssen uns absichern.“

Wir haben keine Zeit mehr fürs Ganz-sicher-Sein.

Du musst zugeben, das Bild wackelt noch. Es sitzt nicht richtig.

Der wütende CDU-Mann, der sich falsch angefasst fühlt. Weil die CDU nicht rechtsextrem ist und nicht in die rechtsextreme Nähe gestellt werden möchte. Er steht aber neben dem CDU-Typen, der zur Schusswaffe griff. Die Werteunionstante war bei dem Geheimtreffen auch dabei. Der Werteunionsonkel, der überall dabei sein will. Die freien Wähler, immer neue Gruppen kommen dazu. Und hier wird rumdiskutiert, ob man Björn Höcke die Grundrechte entzieht.

Was machen sie jetzt? Einen Krieg vorbereiten – keine Ahnung, wie ich das jetzt sagen soll, das klingt doch absurd. Irgendwie die Parlamente stürmen, irgendwie was mit Stromausfall, Entführung und Erschießung.

Schießübungen, natürlich, man musste ja fit werden.

Wie ein böses Märchen, auf Pause gedrückt, das niemand mehr nachahmen kann. Das ihnen ganz alleine gehört.

Die waren alle mal bei der Bundeswehr. Die haben alle ihre Phantasieuniformen noch nicht an den Haken gehängt. Die haben alle ihre Einsatzzentralen im Kopf schon fertiggestellt.

Lange haben sie geschwiegen, bei jedem Verfahren geschwiegen, doch jetzt reden sie viel. Du weißt, was das bedeutet, wenn sie viel reden. Es reden die Leute, die sich sicher fühlen. Wenn sich Rechtsextreme sicher fühlen, beginnen sie zu reden. Sie reden dann plötzlich sehr viel. Sie platzen aus den Nähten. Das passiert jetzt gerade. Schau, wie sie reden. Sie reden sich einen Bär. Einen Wolf. Sie reden sich jedes verfügbare Wildtier. Ach, wenn Tiere sprechen könnten. Die echten Tiere bleiben blass zurück. Die echten Tiere drehen die Uhr nicht zurück. Die echten Tiere sprechen ihre Sprache nicht auswendig, sie können ihre Gesten nicht auswendig, sie können ihre Techniken nicht auswendig, ihre Strategien. Sie können ihren Kulturkampf nicht wie am Schnürchen. Sie rufen jetzt: Es reicht! Aber was bedeutet das?

Wahrscheinlich wird bald jeder einen potentiellen Mörder haben. Nein. Man kann nur dort etwas finden, wo man auch hinschaut.

Heute Nacht werden die Uhren gewaltig zurückgestellt, behaupten sie. Aber so was von gewaltig: Ihr werdet die Uhrzeit nicht mehr erkennen. Diese Uhrzeit gibt es nicht. 

Videos online abrufbar. 

Online-Fassungen der Lesungen können über die Website des Burgtheaters kostenlos abgerufen werden. Die Texte wurden geschrieben von:
Jean-Baptiste Del Amo, Sabine Gruber, Michal Hvorecký, Dorota Masłowska, Terézia Mora, Kathrin Röggla, Antonio Scurati, Gerhild Steinbuch und Tena Štivičić.