Die Nette und das Biest
Holland ist ein guter Nährboden für kaiserliche Egomaninnen. Auch Annemieke van Dam wurde als Elisabeth bekannt – und mit „Mary Poppins“ berühmt. Nun ist sie in „Rebecca“ sowohl gütige Beatrice als auch drastische Mrs. Danvers.
Rasante Verfolgungsjagden auf der Autobahn. Am besten auf einem PS-starken Motorrad. So stellte sich Annemieke van Dam in sehr jungen Jahren ihr späteres Berufsleben vor. „Ich wollte Polizistin werden. Ganz im Geheimen will ich das immer noch“, gesteht sie lachend. Auch eine Sportkarriere als Tennisspielerin stand im Raum. Oder Fußball. Wobei sie da schon längst auch Ballett tanzte und ihre Mutter sie nicht ganz unbegründet darauf hinwies, dass man die Beingesundheit als Grundkapital des Tanzes vielleicht doch nicht auf dem ballestrischen Spielfeld opfern sollte.
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Wie praktisch, dass Annemieke van Dam neben dem sportlichen auch noch ein musisches Talent aufweisen konnte. Mit selbigem – in Form einer ausdrucksstarken Stimme – gewann sie als 15-Jährige die niederländische „Soundmix Show“, entschied sich aber dennoch gegen eine Popkarriere und für eine grundsolide Ausbildung in der Fachrichtung Musiktheater. „Es war ja nicht so, dass ich plötzlich die holländische Britney Spears gewesen wäre. Ich wusste, dass Pop vor allem wöchentliche Auftritte in Clubs bedeutet hätte. Auf Dauer wäre das nichts für mich gewesen.“ Also absolvierte sie das Brabants Conservatorium in Tilburg, debütierte in ihrer Heimat als Dornröschen und ging bald darauf nach Deutschland. Statt auf Verbrecher zu zielen, hat sie es seitdem auf die Herzen des Publikums abgesehen.
Es verwundert den halbwegs Musicalkundigen wohl kaum, dass auch ihre Karriere in „Elisabeth“ – österreichisches Nationalheiligtum der jüngeren Musikgeschichte – Fahrt aufnahm. Erst als Zweitbesetzung, in der Musicalsprache Cover genannt, in Stuttgart, später als Hauptdarstellerin in Berlin, Zürich und schließlich, von 2012 bis 2014, auch in Wien. Insgesamt war sie in fünf Ländern und drei Sprachen als extravagante Regentin erfolgreich. „Elisabeth“ hatte vor ihr bereits zwei Niederländerinnen – Pia Douwes und Maya Hakvoort – als Karriereturbo gedient. Hingegen sang noch keine Österreicherin diese umjubelte Partie in einer größeren Produktion. Erstaunlich, oder?
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„Ich habe mich einmal mit Sylvester Levay, dem Komponisten von ‚Elisabeth‘, darüber unterhalten und denke, es hat mit einem gewissen Klangideal zu tun, das die Macher im Ohr hatten“, erklärt Annemieke van Dam. „Die höhere Stimmposition, die man im Niederländischen hat, ist für das Belting (schmetternde Gesangstechnik, Anm.) leichter. Das ist aber nur meine Idee dazu. Würde die nächste Elisabeth wieder eine Holländerin werden, wäre ich als Österreicherin aber auch genervt“, fügt sie einigermaßen glaubhaft an. Sie selbst arbeitet seit 2005 ausschließlich im deutschsprachigen Raum, weil die Möglichkeiten einfach größer seien als im kleinen Holland.
Würde die nächste Elisabeth wieder eine Holländerin werden, wäre ich als Österreicherin auch genervt.
Annemieke van Dam Musical-Darstellerin
So verkörperte sie etwa Lisa Carew in „Jekyll & Hyde“, kreierte die Rolle der Guinevere in der Uraufführung von „Artus – Excalibur“, war als Florence in „Chess“ zu sehen, als titelgebende Evita und natürlich – eines ihrer persönlichen Highlights – in der Titelpartie der deutschsprachigen Erstaufführung von „Mary Poppins“ im Ronacher. In vielerlei Hinsicht eine wichtige Erfahrung. „Dadurch habe ich noch einmal einen anderen Zugang zum Musical gefunden, weil ich gemerkt habe, dass man nicht immer die großen Dramen geben muss, um das Publikum zu begeistern. Außerdem habe ich es geliebt, mit Kindern zu arbeiten, was mich wohl so geprägt hat, dass ich bald darauf ebenfalls Kinder bekommen wollte.“ Zwei sind es geworden.
Konträre Frauen – eine Darstellerin
Aktuell kann man die Wahlösterreicherin am Raimund Theater in „Rebecca“ bewundern. Und zwar in gleich zwei Rollen. „Ich bin in erster Linie die Erstbesetzung der Beatrice, habe aber bei der Audition darum gebeten, auch für Mrs. Danvers vorsingen zu dürfen. Es war ein Glück, dass mir das erlaubt wurde – und noch viel mehr, dass ich nun an jeweils drei Abenden im Monat tatsächlich Mrs. Danvers singen kann.“ Beatrice, die Schwester des von Mark Seibert gespielten Maxim de Winter, müsse sie in der Stimmfarbe viel weicher anlegen als Mrs. Danvers.
Allein schon deshalb, weil sie im Stück weitaus freundlicher sei als die ablehnende Haushälterin Mrs. Danvers, sei für sie eine andere Technik notwendig. „Wenn man eine Rolle nicht jeden Tag spielt, muss man sich weitaus stärker konzentrieren, das beginnt schon im Auto auf dem Weg ins Theater. Mitunter auch schon in der Nacht davor, wenn ich aufgrund meiner Kinder nicht schlafen kann“, erläutert Annemieke Van Dam die unterschiedlichen Herausforderungen. „Genau diese Abwechslung schätze ich!“ Rollenpräferenz habe sie diesfalls keine. Generelle Wünsche allerdings schon.
„Ich finde, ‚Next to Normal‘ ist ein fantastisches Stück. Dafür war ich bisher immer zu jung, aber jetzt würde es gehen. Auch ‚Wicked‘ ist großartig, für die Elphaba werde ich aber langsam zu alt.“ Annemieke van Dam lacht. Das tut sie oft und hochansteckend. De facto sei sie glücklich. Eventuell möchte sie mit Mann und Kindern einmal im Wohnmobil nach Australien. „Aber das ist für Holländer ja nicht wirklich ungewöhnlich …“
Zur Person: Annemiecke van Dam
kam in Rotterdam zur Welt, absolvierte das Brabants Conservatorium in Tilburg, war in ihrer Heimat in unterschiedlichen Rollen zu sehen und feierte im deutschsprachigen Raum ihren Durchbruch als Elisabeth. Sie war u. a. in „Jekyll & Hyde“, „Artus – Excalibur“ oder „Evita“ erfolgreich und überzeugte am Wiener Ronacher als Mary Poppins. Zurzeit spielt sie Beatrice und dreimal monatlich auch Mrs. Danvers in „Rebecca“ am Raimund Theater.