Es hat lange gewährt. Selbst für Wiener Verhältnisse ein bisschen sehr lang. Antonio Salieris Oper „Kublai Khan“ fiel kurz vor der Uraufführung der damaligen Politik zum Opfer.

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Offenbar wurde die Geschichte rund um den Tatarenherrscher und seinen kognitiv eher unsportlichen Sohn als spöttische Kritik am russischen Zarenhof gewertet. Und weil dieser ein Bündnispartner Josephs II. im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg war, entschloss man sich 1787 in Wien, das Werk einzuschläfern. Doch sollte es nicht 100 Jahre im Dornröschenschlaf verharren, sondern 237.

Die Rolle des prinzlichen Wachküssers fällt nun Christophe Rousset zu, dem der geschätzte Bärenreiter-Verlag, in dessen Archiven „Kublai Khan“ lange döste, anbot, das Dramma eroicomico endlich in seiner italienischen Originalversion auf die Bühne zu bringen. Und wo könnte das besser gelingen als in jener Stadt, in der Antonio Salieri seit seinem 16. Lebensjahr zu Hause war und es bis zum Kapellmeister der kaiserlichen Hofmusikkapelle brachte?

Die Braut sagt Nein

„Das Libretto ist interessant, weil es eine verrückte Geschichte erzählt. Was das mit dem damaligen Russland zu tun haben soll, entzieht sich zwar unserem Verständnis, schmälert aber nicht den Witz. Kublai Khans Sohn Lipi wurde fernab vom Vater in eine völlig falsche Richtung erzogen, sodass er nun dumm dasteht. Als er die Prinzessin Alzima heiraten soll, merkt diese schnell, dass mit Lipi etwas nicht stimmt, und weigert sich, seinen Antrag anzunehmen. Das führt am Ende des ersten Akts zum großen Eklat“, erklärt Christophe Rousset, dem die Vorfreude förmlich ins Gesicht geschrieben steht.

Was macht für ihn, den Salieri-Kenner, diese Oper musikalisch reizvoll? „Salieri war immer schon ein großer Innovator. Bei ‚Kublai Khan‘ sind die Arien zum Beispiel sehr kurz – was ein Vorteil ist, weil die Handlung nie lange unterbrochen wird.“ Er habe über die Jahre einige Stücke von Antonio Salieri am MusikTheater an der Wien konzertant zur Aufführung gebracht und erwarte nun gespannt die Möglichkeit einer szenischen Umsetzung. Und um „Kublai Khan“ endgültig zu konservieren, hat er sich entschieden, es auch aufzunehmen. „Wie man weiß, habe ich eine Leidenschaft für Salieri. Dieses Stück muss ab und zu gehört werden.“

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Christophe Rousset
„Heute kommen die Leute zu mir und bieten mir unbekannte Stücke oder Komponisten an, weil ich als Spezialist für Seltsamkeiten gelte“, so Rousset.

Foto: Eric Larrayadieu

Gegeneinander ausgespielt

Christoph Rousset ist so etwas wie der Anwalt Antonio Salieris, ein Vertrauter und Kenner des italienischen Musikmigranten, der sich als kaisertreuer Österreicher verstand. Warum wird Salieri aber selbst in Wien so selten zu Gehör gebracht?

„Natürlich ist Mozarts Schatten ein Problem“, sagt der Dirigent und schmunzelt. Auch wenn sich nur wenige Belege für eine echte Rivalität der beiden finden lassen – und der Hofkapellmeister sicher ein privilegierteres Leben führte als der freischaffende Komponist –, wurde Salieri stets großer Neid unterstellt und er sogar verdächtigt, Mozart vergiftet zu haben.

„Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass sich Salieri sehr auf große Formen wie Oper und Oratorium konzentriert hat, wohingegen Mozart auch viele Klavierstücke und Kammermusik geschrieben hat. Mozart konnte also auch zu Hause am Klavier gespielt werden, wodurch seine Musik präsent blieb. Und er hatte mit ‚Don Giovanni‘, ‚Die Zauberflöte‘ und ‚La clemenza di Tito‘ drei erfolgreiche Opern, die laufend aufgeführt wurden. Antonio Salieri wurde stark mit seiner Karriere assoziiert, und als diese zu Ende war, verschwand auch seine Musik zunehmend aus dem Repertoire.“

Heute bieten mir die Leute unbekannte Stücke an, weil ich als Spezialist für Seltsamkeiten gelte.

Christophe Rousset, Dirigent

Salieris wahre Größe ließe sich an seinen drei französischen Opern ersehen. „Dabei steht er auch nicht im Schatten Mozarts, denn Mozart hat nie eine französische Oper geschrieben. Salieri war ein Schüler Glucks, der ihm die Chance eröffnete, nach Paris zu kommen. Hier geht er künstlerisch wirklich weit, erfindet ganz neue Farben. Das Ende von ‚Les Danaïdes‘ ist eine einzige Explosion präromantischer Musik und öffnet sich dem 19. Jahrhundert in einer Art, wie es Mozart nie getan hat.“

Er liebe Salieris Musik, weil sie so viele Türen aufmache. „Er war sehr respektiert in Wien. Franz Schubert war sein Schüler. Und für Ludwig van Beethoven hat er in dessen 7. Symphonie sogar Trommel gespielt.“

Zeitmaschine Cembalo

Christophe Rousset, heute weltweit gefragter Dirigent, begann seine musikalische Karriere als Cembalist. „Ich war noch sehr jung, als ich bereits ein Faible für die Vergangenheit hatte, vor allem für das Grand Siècle, Louis XIV., Versailles und die Theaterstücke von Molière und Racine. Warum, weiß ich nicht. Ich bin in Aix-en-Provence, einer früheren römischen Siedlung, aufgewachsen, wir sind mit der Schule nach Orange oder Saint-Rémy gefahren und haben uns römische Ruinen angeschaut, was mich dazu gebracht hat, Archäologe werden zu wollen. Das Cembalo wurde dann meine Archäologie, eine Art Zeitmaschine, mit der ich in die Vergangenheit eintauchen und neues Repertoire entdecken konnte. Als ich begann, Cembalo zu spielen, kannten die Leute kaum mehr als Couperin, Rameau, Scarlatti, Bach und Händel. Die unbekannten Komponisten waren also ein jungfräuliches Gebiet, neue Stücke zu finden war aufregend."

Jürgen Rose

Jürgen Rose: Nach Strich und Faden

Jürgen Rose ist eine Theaterlegende. John Cranko hat ihn geprägt, Otto Schenk gefördert, Marcia Haydée begeistert. Aktuell erarbeitet der 86-jährige Bühnen- und Kostümbildner in Wien erneut das 1978 in Stuttgart gemeinsam mit John Neumeier kreierte Ballett „Die Kameliendame“. Le grand finale. Weiterlesen...

Der Anfang als Dirigent sei ähnlich gewesen. „Ich war neugierig und habe mich für neapolitanische Musik interessiert, da Neapel einmal ein kreatives Zentrum war. Mozart hätte sich glücklich geschätzt, für das Teatro di San Carlo komponieren zu dürfen, bekam aber nie die Möglichkeit dazu. Andere Komponisten, wie Johann Christian Bach, hingegen schon. Das wollte ich ergründen.“

Aus dieser Neugierde entstanden zwei Weltkarrieren. „Heute kommen die Leute zu mir und bieten mir unbekannte Stücke oder Komponisten an, weil ich als Spezialist für Seltsamkeiten gelte“, sagt er und lacht. „Erst kürzlich habe ich ‚Fausto‘ von Louise Bertin aufgenommen. Wahrscheinlich haben Sie noch nie von ihr gehört, sie komponierte um 1850, sehr romantisch, und ich musste unbedingt einen Weg finden, das zu realisieren.“

Hoffnung für den Herrscher

Auf einen solchen Weg kam auch „Kublai Khan“ zu ihm. Welche Erwartungen verknüpft er mit dieser Uraufführung? „Eine Neuproduktion ist immer spannend, weil man, im Gegensatz zu einer Wiederaufnahme, in den gesamten Kreationsprozess eingebunden ist. Ich mag es, mit Regisseuren zu arbeiten, das inspiriert und stimuliert mich, weshalb ich wirklich zuversichtlich bin. Wir haben die große Verantwortung, es so überzeugend wie möglich zu machen, weil es eben noch nie gespielt wurde. Aber Salieri hat Erfolge vorzuweisen, und es gibt keinen Grund, warum es nicht funktionieren sollte.“

Nun wird es also endlich gut – und zwar im italienischen Stil des 18. Jahrhunderts, wie Christophe Rousset am Ende des Gesprächs augenzwinkernd betont haben will. „Auch wenn das Umfeld orientalisch anmutet, ist es nicht wie in ‚Die Entführung aus dem Serail‘. Die Musik klingt nicht sehr exotisch. Man wähnt sich nicht in Tadschikistan.“ In anderen Worten: Es ist kein Amadeus. Es ist ein Antonio.

Zur Person: Christophe Rousset

Der gebürtige Franzose machte sich erst als Cembalist einen Namen, gründete 1991 das Ensemble Les Talens Lyriques und reüssierte schließlich auch als Dirigent weltweit. Sein Anliegen ist es, den Reichtum und die Vielfalt der barocken, klassischen und vorromantischen Musik zu erfassen und zu erhalten. Der „Anwalt Salieris“ ist regelmäßiger Gast am MusikTheater an der Wien.

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