Schnell erklärt: Wie entstand der Spitzentanz?
Der Spitzentanz verstärkt den Eindruck, dass das Ballett jene Kunstform sein könnte, in der eine Überwindung der Schwerkraft tatsächlich möglich ist. Ende des 18. Jahrhunderts begann der Siegeszug des Spitzenschuhs, dazwischen wurde er immer wieder in Frage gestellt und in die Ecke gepfeffert.
Im Barock tanzten sowohl Männer als auch Frauen in Schuhen mit kleinen Absätzen. Marie Camargo, Tänzerin an der Pariser Oper, begann Mitte des 18. Jahrhunderts damit, die Absätze von ihren Schuhen zu entfernen, um besser springen zu können. Die ersten Tänzerinnen, die auf Spitze getanzt haben, waren Amalia Brugnoli (1800–1830), Geneviève Gosselin (1791–1818) und Marie Taglioni (1804 –1884), die nicht zuletzt wegen ihrer Spitzenschuhe zu einem Star des Balletts wurde. 1832 tanzte sie die Titelrolle im Ballett „La Sylphide“ komplett auf Spitze. Ihr Auftritt und ihr scheinbares Schweben löste einen Sturm der Begeisterung aus.
Die Technik wurde nach und nach immer virtuoser und gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der Spitzentanz schon stark verbreitet. Pierina Legnani, die Primaballerina des kaiserlichen Balletts in St.Petersburg, trug als eine der ersten Tänzerinnen Spitzenschuhe mit einer abgeflachten Schuhspitze. Als erste Ballerina drehte sie die 32 Fouettés in der Ballszene von „Schwanensee“. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich schliesslich die sogenannte „Box“ entwickelt, die das Stehen auf den Zehen massgeblich erleichterte. Viele Bewegungen, die wir heute mit dem Ballett verbinden, wie die bereits erwähnten Fouettés, wurden durch den Tanz auf den an der Spitze verstärkten Schuhen möglich.
Kritik am Spitzentanz
Im 20. Jahrhundert gab es immer mehr Tänzerinnen, Choreografinnen und Choreografen, die sich vom Spitzentanz abwandten. Darunter Isadora Duncan, die sagte: „For the dancer of whom I speak has never tried to walk on the end of her toes. Neither has she spent time practicing leaps in the air to see how many times she could clap her heels together before coming down again. She wears neither corset nor tights, and her bare feet rest freely in her sandals.“
Aus feministischer Perspektive wurde der Spitzentanz immer wieder der Kritik unterzogen. Unter anderem deshalb, weil er konservative Weiblichkeitsideale repräsentiere. Die Spitzentechnik und das damit einhergehende Ringen ums Gleichgewicht würde die Abhängigkeit der Tänzerin von ihrem Partner verstärken und damit typische Rollenbilder reproduzieren, wie sie lange Zeit propagiert wurden.
Der Spitzentanz verschwand jedoch nie. Auch die Avantgarde interessierte sich für ihn und die Ausdruckskraft, die er ermöglichte. Choreografen wie William Forsythe entwickelten einen eigenen Umgang damit und eine eigene Bewegungssprache auf Spitze.
The Winter’s Tale: Shakespeare auf Spitzenschuhen
Liebe, Rache, Tod, Vergebung. Starchoreograf Christopher Wheeldon hat „The Winter’s Tale“ zur intensiven Tour de Force menschlicher Emotionen verdichtet. Drei Tänzerinnen verkörpern alternierend in Wien die zentrale Rolle der Hermione. Weiterlesen...