Paul Schweinester: Pure Unterhaltung in der Kammeroper
„La finta giardiniera“ schickt sieben Liebende in ein amouröses Labyrinth, aus dem am Ende drei Paare herausfinden. Paul Schweinester gibt lustvoll und physisch präsent den machtgeilen Don Anchise. Der Tenor über Gesang als Alleinstellungsmerkmal, sein Debüt als Filmschauspieler und warum es ihm Spaß macht, endlich „altes Eisen“ zu sein.
Mozart goes Slapstick. Was bei Opern grundsätzlich nicht auszuschließen ist, wird bei dieser wirkungsvoll ausgereizt: Die Handlung ist dermaßen verwirrend, dass man schon einige Anläufe braucht, um sich Durchblick zu verschaffen. „Ich habe es gelesen und beim ersten Mal überhaupt nicht gecheckt“, gibt Paul Schweinester zu Protokoll. Das beruhigt. „Zum Glück hatte ich sechs Wochen Probenzeit, also habe ich mich zunächst auf die Musik und meine Rolle konzentriert.“
Das Stück sei in der Kammeroper schnell, frech, facettenreich inszeniert und lebe vom Moment des gemeinsamen Spielens. Wolfgang Amadeus Mozart schrieb sein eher selten gespieltes Frühwerk als Auftragsarbeit für den Münchner Fasching, wo es 1775 unter Beisein des Kurfürsten zur Uraufführung gelangte. Der Komponist war damals noch keine 19 Jahre alt und – wie fast immer – von erotischen Phantasien beflügelt. „Den Humor des 18-jährigen Mozart kann man beinahe schon als Slapstick bezeichnen. Die Rollenspiele und Verkleidungen sind ziemlich schräg, bei späteren Opern wie ‚Cosi fan tutte‘ und ‚Don Giovanni‘ war der Humor bereits viel reifer“, so Paul Schweinester.
Liebestrunkener Machtmensch
Er spielt im dramma giocoso rund um sieben Liebende den Podestà von Lagonero, Don Anchise, und freut sich über diese eher reife Rolle. „Sonst bin ich immer der junge Hupfer, aber hier bin ich endlich das alte Eisen. Da die Kammeroper für diese Produktion mit dem Musikkonservatorium Wien und der Theaterakademie August Everding kooperiert, also einige junge Absolventen dabei sind, braucht man generationstechnisch auch einen Älteren. Und der bin ich.“
Don Anchise habe prominente Auftritte und treibe die Handlung voran. „Er ist ein Buffo, würde ich sagen. Aber auch ein lyrischer Spieltenor, das ist nicht klar abgegrenzt. Die Amplitude von sehr tiefen bis zu sehr hohen Tönen geht ebenso an die stimmliche Substanz wie der viele gesprochene Text. Es ist eine Art Hickhack-Gesang“, erklärt er die musikalischen Herausforderungen seines Rollendebüts. „La finta giardiniera“ sei eine barocke Oper mit klassischer Orchestrierung. „Das Werk entstand quasi im Übergang vom Barock zur Klassik, was sehr reizvoll ist.“ Den Charakter seiner Partie sehe er ein wenig wie den Grafen Almaviva in „Le nozze di Figaro“.
Sonst bin ich immer der junge Hupfer, aber hier bin ich endlich das alte Eisen.
Paul Schweinester gefällt sich in der Rolle des Älteren
„Er hat die Macht und ist der vermeintliche Entscheidungsträger, aber rund um ihn spinnen alle eifrig ihre eigenen Netze und Intrigen. So groß, wie er meint, ist seine Macht vielleicht gar nicht. Don Anchise ist ein notgeiler, stets von sexuellen Motiven getriebener Machthaber, der eigentlich liebt, aber nie gelernt hat, seine Gefühle auszudrücken und deshalb im letzten Moment meist seine Macht benützt, um an die Gefühle zu kommen. Das funktioniert natürlich nicht. In Mozart-Opern sind solche Figuren auch als Kritik am Establishment zu sehen. Könnte er seine Macht teilen, würde er auch Liebe erfahren. Weil er das aber nicht will, bleibt er am Ende als Einziger alleine übrig.“
Was hat ihn generell an diesem wilden Bühnentreiben interessiert? „Ganz klar Mozart. Noch dazu in Wien. Ich habe bis jetzt ‚Le nozze di Figaro‘, ‚Don Giovanni‘, ‚Die Entführung aus dem Serail‘, ‚Cosi fan tutte‘ und ‚Bastien und Bastienne‘ gemacht und finde es wichtig, einmal im Jahr Mozart zu spielen, weil man das Repertoire auf diese Weise gut kennenlernt. Sollte man später einmal in die Regie oder Intendanz gehen wollen, bringt es große Vorteile, im Oeuvre bewandert zu sein, weil man sonst in der Recherche immer auf Dramaturgen angewiesen ist.“
Seine persönlichen Erwartungshaltungen in Bezug auf „La finta giardiniera“ sind ebenso präzise wie groß: „Pure Unterhaltung!“
Vom Sopransolisten zum Operntenor
„Als Kind wollte ich Kindergärtner, Koch, Jurist oder Opernsänger werden“, erinnert sich der gebürtige Innsbrucker. Da er als Sopransolist bei den Wiltener Sängerknaben früh und intensiv das Liveerlebnis kennenlernen durfte, erhärtete sich die Sache mit dem Singen schon recht früh. „Zwischen 14 und 18 war es dann etwas weniger cool, aber spätestens mit 18 Jahren wusste ich, dass ich etwas hatte, was andere nicht hatten. Ein Alleinstellungsmerkmal. Der Drang, auf einer Bühne zu stehen, war groß. Mir wurde dann gesagt, dass ich das Zeug dazu hätte, Sänger zu werden. Also habe ich es probiert, und es ging recht schnell sehr gut.“
Er habe das klassische Singen als Kind auf spielerische Art gelernt und später gar nicht darüber nachgedacht, ob es eventuell auch Rock oder Pop hätte sein können. „Man führt das weiter, was man kann und überlegt, wo man den Raum für seine Stimme findet. Natürlich muss man die Ästhetik des klassischen Gesangs spüren, sonst würde man wahrscheinlich nur schreiende Menschen auf einer Bühne wahrnehmen.“
Die Leute fliegen nach Barcelona, um Beyoncé live zu sehen, und zahlen 450 Euro für ein Ticket, wohingegen eine Stehplatz-Karte in der Oper nur ein paar Euro kostet.
Paul Schweinester über den Mythos der Elite
Er singe eine Rolle nur selten ein zweites Mal. Außer Pedrillo in „Die Entführung aus dem Serail“ und Brighella in „Ariadne auf Naxos“ habe er immer nur Neues gespielt. „Ich würde mir wünschen, sagen zu können, dass ich den Ottavio oder den Belmonte ständig singe, aber so ist es nicht. Es erleichtert das Leben eines Opernsängers enorm, wenn er zweimal im Jahr eine Serie mit einer Rolle singen kann, weil er diese dann nicht mehr großartig üben muss. Notfalls kann man dann auch einspringen, weil man die Partie im Schlaf kennt, sie ist intramuskulär abgespeichert. Das ist das Schöne am Reproduzieren.“ Aber eben noch Zukunftsmusik. Es ist genau diese Art von Ehrlichkeit, die Paul Schweinester ebenso authentisch wie gewinnend macht.
Yoga, Sauna, Meditation
Zum Interview in einem Innenstadtcafé ist er trotz Schneeregens mit dem Fahrrad gekommen. Dass Bewegung in seinem Leben eine wesentliche Rolle spielt, sieht man ihm an. „Ich glaube, dass es viele Opernsänger gibt, die gar keinen Sport machen, da ist die Bühne der Sport, und der Körper ist durch die Arbeit auf der Bühne einfach fit“, erklärt er, wie man die physische Anstrengung von mehrstündigen Aufführungen durchhalten kann. „Wenn ich mich konkret vorbereite, darf ich keinen Sport machen. Ich bin ein hypertonischer Mensch, also überspannt und schnell, und muss mich runterbringen. Das gelingt mit Yoga, Meditation, Saunabesuchen, gutem Essen, Physiotherapie und Osteopathie. Andere Leute müssen sich hingegen aktivieren.“
Dass er in seiner Arbeit andauernd und unmittelbar von anderen beurteilt werde, sehe er gelassen. „Oft werden Dinge gelobt, die ich als Zuschauer nicht nachvollziehen kann, und oft werden Produktionen, die wirklich anständig gemacht sind, nicht einmal erwähnt. Insofern kann und muss ich auch das eigene Beurteiltwerden, egal ob gut oder schlecht, aus der Distanz betrachten. Es ist einfach eine Geschmackssache, wobei Kritik natürlich auch stimmen kann. Wir tendieren generell dazu, für das Feuilleton zu spielen, aber in Wahrheit kann ich nur für den Augenblick, für das Publikum, das gerade vor mir sitzt, spielen.“
Von der Oper als Veranstaltung für einen kleinen elitären Zirkel will Paul Schweinester nichts hören. „Das ist lächerlich. Die Leute fliegen nach Barcelona, um Beyoncé live zu sehen, und zahlen 450 Euro für ein Ticket, wohingegen eine Stehplatz-Karte in der Oper nur ein paar Euro kostet.“
Student und Filmschauspieler
„Alle Bereiche der darstellenden Kunst können mir Zuhause sein. Ob Oper, Schauspiel, Operette, Musical, Liederabend, Film oder Performance“, schreibt Paul Schweinester auf seiner Homepage. Er tritt als Sänger des Orchesters Divertimento Viennese auch bei großen Bällen auf. Hat er keine Angst davor, sich in Details zu verlieren. „Ich verzettle mich ständig“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, „aber irgendwie geht es sich meistens aus. Das Risiko gehe ich gerne ein, denn ich bin kein Sicherheitstyp. Als freischaffender Künstler füllt sich der Kalender mit dem, was kommt, ich kann gar nicht sehr wählerisch sein. Ich habe während der Pandemie ein Studium begonnen, Agrarwissenschaften, einfach, weil es mich interessiert. Und ich hatte das Vergnügen, im Kinofilm ‚Die Schachnovelle‘ eine kleine Rolle spielen zu dürfen. Vieles ist Glück, Zufall, man muss es als Freischaffender auch laufen lassen können.“
Ich habe während der Pandemie ein Studium begonnen, Agrarwissenschaften, einfach, weil es mich interessiert. Und ich hatte das Vergnügen, im Kinofilm ‚Die Schachnovelle‘ eine kleine Rolle spielen zu dürfen.
Paul Schweinester über den Reiz des Neuen
Heuer im Sommer inszenierte Paul Schweinester im Rahmen der Mozartwoche Salzburg das von ihm geschriebene Stück „Der alte Baum oder Franzis Reise bis ans Ende der Welt“ am Marionettentheater Salzburg. Der Auftakt für eine Karriere als Autor und Regisseur? „Ich habe meine Fühler in den letzten Jahren schon in Richtung Regie ausgestreckt, weil ich glaube, ein Gespür dafür zu haben. Als Darsteller kann ich in jeder Produktion intensiv mit den Regisseur*innen zusammenarbeiten, mich einbringen und, wenn es sein muss, meine eigene Personenregie führen. Ich bin aber auch wahnsinnig glücklich, wenn das jemand für mich übernimmt. Wenn zum Beispiel Christof Loy inszeniert, bin ich Diener vor dem Herrn und versuche, jede Nuance zu finden, die gewünscht ist. Aber Regie zu führen interessiert mich, ganz klar, weil ich zu verstehen glaube, was Sänger*innen brauchen, was die Musik braucht. Ich behaupte, dass ich das kann, und beim Projekt in Salzburg hat es auch sehr gut funktioniert. Es wird auch an mehreren Orten Wiederaufnahmen des Stücks geben. Diese Reise ist noch nicht zu Ende.“
Berühmte letzte Frage: Was kommt als Nächstes? „Richard Wagners ‚Die Meistersinger von Nürnberg‘ in Madrid, Richard Strauss‘ ‚Ariadne auf Naxos‘ in Teneriffa – und danach Operetten. Es bleibt also, was es immer war, abwechslungsreich.“