„Digital ist besser“ stand in blassrosa Schrift auf dem 1995 erschienenen Debütalbum der Band Tocotronic. Ein augenzwinkernder Kommentar auf eine musikalische Ära an der Schnittstelle zwischen Vinylschallplatte und CD.

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Obwohl sich der Autor und Regisseur Roman Senkl in seiner Arbeit vor allem auf digitale und hybride Theaterformen konzentriert, würde er das für seine Kunstform so nicht unterschreiben. Allerhöchstens augenzwinkernd.

Wenn man dem gebürtigen Grazer zuhört, wird nämlich rasch klar, dass es in der Diskussion über unterschiedliche Theaterformen keinesfalls darum gehen sollte, ob digital oder analog besser ist. Zudem spielen sich viele seiner Inszenierungen genau dort ab, wo beide Universen aufeinandertreffen – manchmal auch aufeinanderprallen. „In einer idealen Welt ist das alles einfach Theater – egal ob es digital oder analog stattfindet“, so Senkl, der für seine Inszenierung „Das Haus“ zum ersten Mal mit dem Ensemble des Burgtheaters arbeitet. Das Stück wird über die digitale Plattform Twitch zu sehen sein, Nestroy-Preisträgerin Lisa Wentz hat den Text dazu geschrieben.

Ausgangspunkt war das – aufgrund von Sanierungsarbeiten – derzeit nicht bespielbare Kasino am Schwarzenbergplatz, das nun zur digitalen Bühne wird. Eine leichte Abwandlung einer zugegeben ziemlich überstrapazierten Redewendung drängt sich auf: „Wenn eine analoge Tür zugeht, öffnet sich eine digitale.“

Kunst oder Informatik?

Wie die Welt aussieht, die sich hinter dieser digitalen Türe verbirgt, sei an dieser Stelle kurz zusammengefasst: In einem theatralen Großprojekt arbeitet die junge Regisseurin Mona ihre Familiengeschichte auf. Das Premierenpublikum schält bereits Hustenzuckerl aus ihren knisternden Verpackungen, doch hinter der Bühne ist noch kaum etwas bereit. Als dann auch noch ihre Mutter, eine bekannte Wiener Schauspielerin, auftaucht, gerät Mona in einen Irrgarten zwischen Realität und Fiktion – zwischen Gegenwart und verdrängter Vergangenheit.

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„Mich haben Themen wie Schuld und Verantwortung, aber auch Utopie und Nostalgie interessiert“, sagt Roman Senkl, der das Stück als Livestream inszeniert. Das bedeutet: An jedem Abend wird live gespielt und das Gespielte gefilmt. Über die vor allem aus dem Gaming-Kontext bekannte Plattform Twitch gelangt das Geschehen ans Publikum.

Die Chat-Funktion ermöglicht es den Zuschauer*innen, sich auszutauschen und zu interagieren. „Was ich in meiner Arbeit auf keinen Fall möchte, ist, dass Technologie um der Technologie willen stattfindet. Ich sehe mir deshalb immer genau an, ob ein Live-Chat der Erzählung tatsächlich hilft oder nicht“, hält der Autor und Theatermacher fest.

Ihm und seinem Team sei es außerdem wichtig, die für das Theater so wichtige Kopräsenz von Spielenden und Publikum in ihrer Arbeit zu thematisieren. „Wir können nie so tun, als wären diese Menschen, dieser Raum und dieser Chat nicht da. Das bedeutet, dass wir versuchen, stets sehr wach zu sein und unterschiedliche Begegnungsmomente zu schaffen. Was es immer gibt, sind Augenblicke, in denen die Spielenden in den Chat schauen können. Dadurch haben sie die Möglichkeit, das Publikum und die Stimmung im Publikum wahrzunehmen“, erklärt Senkl, der seit mehr als zehn Jahren Theaterformate im Netz konzipiert und inszeniert.

In einer idealen Welt ist das alles einfach Theater – egal ob es digital oder analog stattfindet.

Roman Senkl, Autor und Regisseur

Sein Interesse am digitalen Medien wurde schon früh geweckt, erzählt er.

„Das führte unter anderem dazu, dass ich mich direkt nach der Schule entscheiden musste: Informatik oder irgendwas mit Kunst. Die Entscheidung fiel glücklicherweise zugunsten der Kunst aus.“

Roman Senkl studierte schließlich Szenisches Schreiben und später Regie in Berlin. Zu dieser Zeit begann er bereits, mit Livestreaming und Inszenierungen auf sozialen Plattformen zu experimentieren, und begegnete – vor allem im Rahmen von Förderanträgen – immer wieder folgende Frage: Ist das denn überhaupt Theater?

Während des Regiestudiums erlebte er eine Art von Erweckungserlebnis: „Ich habe mit einem jungen Ensemble an einer Stückentwicklung gearbeitet, in der wir uns mit der Frage auseinandersetzen wollten, was eigentlich mit unseren Daten passiert, wenn wir uns im Netz bewegen – und ob es ein Verhältnis zwischen diesen Daten und unseren Körpern gibt. Im Laufe der Proben geriet das Thema immer mehr in den Hintergrund, und ich begann mich zu fragen, ob es heimlich abgewählt wurde. Die Ursache dafür war jedoch, dass uns einfach die Form und die Mittel gefehlt haben, um diese Dinge als tatsächliche Erfahrungen und nicht als reine Monologe auf die Bühne zu bringen. Ab diesem Moment dachte ich mir, dass ich mich nun zur Gänze darauf konzentrieren möchte, auf diese Fragen Antworten zu finden.“

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Den digitalen Raum erobern

2021, in der Hochblüte der Covid-Pandemie, wurde er mit der virtuellen Inszenierung „Das HOUSE – Reinventing the Real“, die er mit seinem Kollektiv minus.eins entwickelt hat, zu „Stages Unboxed“ des Berliner Theatertreffens eingeladen. Eine Arbeit, die sich unter anderem mit der Frage beschäftigte, wie sich das Gefühl von Gemeinschaft und Kopräsenz im digitalen Raum herstellen lässt. Wie viel von dem Hype rund um digitale Formate, der zu dieser Zeit aufkam, heute noch spürbar sei, möchten wir noch von Roman Senkl wissen. Es hätten sich einige Theater herauskristallisiert, die das ernsthaft und ehrlich vertiefen wollen, fasst er zusammen und ergänzt:

„Die Themen werden trotzdem bleiben und sogar immer wichtiger. Als Kunstform gesellschaftlich relevant zu bleiben, heißt auch, diesen Themen, wie etwa KI, Raum zu geben.“

Eine Frage taucht gegen Ende unseres Gesprächs noch einmal auf: Ist digitales Theater denn nun wirklich Theater? „Genauso wie Theater auf großen und kleinen Bühnen, auf öffentlichen Plätzen und auf der Straße stattfinden kann, muss es auch im digitalen Raum stattfinden können. Meine Antwort lautet also: Ja, es ist Theater. Darüber hinaus sehe ich eine gewisse Verantwortung der Theaterhäuser, auch digitale Räume mitzugestalten und diese nicht dem rechten politischen Lager zu überlassen“, so Senkl, der es schön fände, mit seiner Arbeit einerseits das klassische Burg-Publikum anzusprechen, andererseits vielleicht auch neues Publikum zu erreichen – „und diese Menschen mit ihren Themen, Fragestellungen und Ästhetiken abzuholen“.

Geht es darum, ein offenes Theater zu führen, bedeutet das demnach, auch die Tür zur digitalen Welt weit aufzustoßen. Was sich dahinter befindet? Zunächst der Home-Bildschirm des eigenen Computers. Und dann vielleicht: „Das Haus“.

Zu den Spielterminen von Das Haus im Burgtheater!