Christian Rey Marbella, der Mephisto in Saigon
Er hat nie eine Musicalschule besucht, sondern Medizin studiert: Christian Rey Marbella ist in „Miss Saigon“ der Hit im Hit. Er ist der Engineer, und er tanzt und singt, als wäre Sammy Davis Jr. von den Toten auferstanden. Porträt eines Außergewöhnlichen.
Nein, er schraubt nicht den Hubschrauber zusammen, der kurz nach der Pause auf der Bühne des Raimund Theaters landet – übrigens das erste Flugobjekt, das jemals in Wien Zwischenapplaus bekommen hat: Die Rede ist vom Engineer, dem Ingenieur, wie er genannt wird, was er aber nicht ist. Denn der Engineer ist nichts anderes als ein Zuhälter, ein „Pimp“. Wollten die Macher da eine jugendfreie Berufsbezeichnung? War es ihr britischer Humor – frei nach dem Zugang: Der beherrscht die Technik, wie man Menschen zur käuflichen Liebe verführt, perfekt – und daher nennen wir ihn ... Egal.
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Der Ingenieur des Sex
„Der Engineer sorgt dafür, dass alles in Schwung bleibt. Er ist die Körperlichkeit des Stücks: der Sex.“ Der Mann, der das sagt, ist Oedo Kuipers, und er muss es wissen, denn er spielt Chris, die Hauptrolle in „Miss Saigon“. Der Engineer ist der Publikumsliebling, und das, obwohl er nichts Liebevolles an sich hat. Während Chris und Kim damit beschäftigt sind, die Tragik ihrer Beziehung bis zum bitteren Ende zu durchleben, rockt der Engineer das Theater. Mit großen, rasanten Revue- Nummern und einer Körperspannung, die am Anschlag ist.
Er ist der Mephisto des Musicals, und er wird am Raimund Theater in Wien von einem Mann verkörpert, der nie eine Musicalschule von innen gesehen hat: Christian Rey Marbella. Und er macht es so eindrucksvoll mitreißend, dass selbst der Hubschrauber zur Nebenrolle wird.
Der Mann, dem unsere Lobeshymne gilt, grinst sympathisch zurückhaltend und meint: „Es ist eine dankbare Rolle. Der Engineer ist der Einzige der Schauspieler, der die vierte Wand durchbrechen darf und direkt mit dem Publikum interagieren kann.“
Bevor wir uns der überraschenden Lebensgeschichte Marbellas widmen, lassen Sie uns einen kurzen Exkurs zur Vita des Engineers machen. Auf der Bühne sieht man nur den Ausschnitt der Jahre 1975–1978. In Saigon betreibt der Engineer das Dreamland, ein Bordell für amerikanische Soldaten.
Ich würde gern das Phantom der Oper oder King George in ‚Hamilton‘ singen.
Christian Rey Marbella über „colourblind castings“
Er ist es auch, der Kim für seinen Club engagiert und an den GI Chris vermittelt. Er wird später – nach der Machtübernahme des Vietcongs und einer misslungenen dreijährigen Umerziehung – mit Kim und deren Sohn nach Bangkok flüchten und dort als Promoter eines Sexclubs arbeiten. Immer in der Hoffnung, nach Amerika gehen zu können und dort ein neues Leben zu beginnen. Ein Plan, den er mit aller Brutalität und Konsequenz durchzusetzen versucht, und die ist seiner eigenen Lebensgeschichte geschuldet.
Christian Rey Marbella: „Es gibt ein Lied, in dem der Engineer darüber erzählt, wie er im ersten Indochinakrieg in Nordvietnam geboren wurde. Dass sein Vater Tätowierer war und seine Mutter Prostituierte, der er bereits als Kind die Kunden zuführen musste. Das prägt einen Menschen.“
Vom Labor zum Casting
Christian Rey Marbella – nein, das ist kein Künstlername, er heißt wirklich so – ist auf den Philippinen geboren. „In meinem Heimatland gehört Singen und Tanzen zum Alltag, wir lieben es.“ Seine Schwester bringt ihn zu „Miss Saigon“: „Es muss Anfang der Neunziger gewesen sein, da hat mir meine Schwester eine Kassette mit der Musik zum Geburtstag geschenkt, ich habe sie rauf und runter gehört.“
Zum Abschluss seiner Highschool- Zeit bringt er das Stück auf die Schul- bühne: Christian Rey Marbella führt selbst Regie und spielt John, den besten Freund von Chris.Danach studiert er Medizin: „In meinem Lehrlabor habe ich Blut untersucht, Leber- und Nierenwerte bestimmt.
Das Theater war nur noch Hobby für mich.“ Er nimmt Ballettunterricht, der ist gratis, weil es zu wenige Männer gibt. Er singt weiterhin nur privat. Anfang der 2000er-Jahre suchen die Produzenten in Manila neue Darsteller*innen für die Produktion in London. Tausende bewerben sich, darunter auch Christian Rey Marbella. „Die Nacht davor konnte ich nicht schlafen, fragte mich: Soll ich? Oder soll ich nicht? Meine Mutter konnte auch nicht schlafen. Am nächsten Morgen hat sie an meine Tür geklopft und gesagt: ‚Wenn du nicht hingehst, wirst du dich immer fragen: Was wäre gewesen, wenn ...?‘“ Nachsatz: „Sie müssen etwas in mir gesehen haben, dass etwas da ist, was besonders ist.“
Er bekommt eine von sechs Rollen und beginnt im „Miss Saigon“-Ensemble, lernt und arbeitet sich langsam nach vorn.
„Ich habe zuerst Thuy, Kims Verlobten, gesungen.“ Auch das recht beeindruckend, ist doch die Rolle oft mit einem gelernten Opernsänger besetzt. „Dann wurde ich die Zweitbesetzung des Engineer. ‚Miss Saigon‘ hat die Welt für mich geöffnet. Ich war vorher noch nie aus meinem Land herausgekommen, war nie gereist.“
Phantom und Hamilton
Christian Rey Marbella spielt in London, geht mit der Show auf Tour durch Europa und die USA. Dort spielt er auch in anderen Musicals: „Jesus Christ Superstar“, „The King and I“ oder „Beauty and the Beast“.
„Für asiatische Darsteller erweitert sich die Bandbreite langsam, die Ent- wicklung geht in Richtung mehr Vielfalt. Es gibt auch immer mehr Theater, die colourblind castings machen“, sagt er. Und seine Reise, wo soll die hingehen, wenn er sich etwas wünschen darf? Chris Rey Marbella grinst: „Ich würde gern das Phantom der Oper spielen oder King George in ‚Hamilton‘.“
Wer Marbella im Raimund Theater live gesehen hat, wird beide Wünsche für mehr als realistisch halten.
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