Jeder Schritt ist eine Note
Er sieht sich als Komponist der Bewegung und ist ein glühender Befürworter moderner Musik. Andrey Kaydanovskiy zeigt im Rahmen der Ballett-Premiere „Begegnungen“ eine Uraufführung. Den Klangteppich webt Christof Dienz.
Der Mann hat dieser Tage wenig zu lachen. Er tut es dennoch. Andrey
Kaydanovskiy erscheint ein wenig müde zum Interview in einem Wiener Innenstadt-Kaffeehaus. Direkt von den Proben kommend, bei denen ein weltbekanntes Virus immer wieder für personelle Ausfälle sorgt. Dem aufgeräumten Wesen des feinhumorigen Choreografen kann dieser unerfreuliche Umstand dennoch kaum etwas anhaben.
In Moskau geboren und als Sohn einer Tänzerin und eines Schauspielers „am Bolschoi-Theater aufgewachsen“, wie er selbst sagt, kam er 2007 in das heutige Wiener Staatsballett, wo er sich sehr erfolgreich durch die Weltliteratur tanzte. Schon früh erwachte aber auch sein Drang, eigene Choreografien zu erschaffen. „Beim Ballettclub gab es für mich die Möglichkeit, Choreografie ganz zwanglos auszuüben. Man hatte die Bühne, das Licht, die Kostüme. Es sprach also nichts dagegen. Ich habe mit klaren, logischen Schritten begonnen, und immer wieder ging eine neue Tür auf – die Suche nach passender Musik etwa, nach Geschichten. Das machte mir so viel Spaß, ich empfand es als sehr bereichernd“, erinnert er sich an seine Anfänge vor 13 Jahren.
„Drei Unbekannte“ hieß sein Debüt, in dem er selbst mittanzte. 2013 schuf er mit „Zeitverschwendung“ seine erste Arbeit für das Wiener Staatsballett, der noch im selben Jahr „Das hässliche Entlein“ und 2017 „Der Feuervogel“ folgten. Bis heute kann Andrey Kaydanovskiy auf eine ganze Reihe erfolgreicher Arbeiten – neben Wien vor allem in Russland und Deutschland – verweisen.
2019 choreografierte er die Balletteinlagen des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker. Zum Ende dieser Saison hat er seinen Vertrag als Tänzer des Wiener Staatsballetts beendet, um sich ganz der Choreografie zu widmen.
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Komponist & Regisseur
„Ich bin wie ein Komponist, der dem Orchester seine Musik ohne Noten beibringen muss“, zieht er einen bildhaften Vergleich. „So wie ein Komponist sich jede Note überlegen muss, so muss sich der Choreograf jede Bewegung überlegen. Je mehr man mit Geschichten arbeitet, desto mehr sollte man auch Regisseur sein. Wenn man abstrakter choreografiert, kann man auch impulsiver sein.“
Für die Premiere von „Begegnungen“ in der Volksoper experimentierte der Geschichtenerzähler Andrey Kaydanovskiy durchaus mit abstrakteren Darstellungsformen – als Teil einer Trilogie, der auch die Uraufführung von Martin Schläpfers „In Sonne verwandelt“ zu Ludwig van Beethovens „4. Klavierkonzert“ und Alexei Ratmanskys 2013 erschaffenes Stück
„24 Préludes“ angehören.
Zur Person: Andrey Kaydanovskiy
Der in Moskau geborene Tänzer wurde 2007 ans Wiener Staatsballett engagiert. Schon 2009 stellte er seine erste eigene Choreografie vor. Es folgten eine Reihe von international erfolgreichen Arbeiten und renommierte Auszeichnungen.
Für seine „Begegnungen“-Choreografie an der Volksoper kooperierte er eng mit dem Komponisten, Fagottisten und Zitherspieler Christof Dienz. Denn Andrey Kaydanovskiy ist überzeugt davon, dass moderner Tanz auch zeitgenössische Musik benötigt.
Andrey Kaydanovskiys noch namenlose Arbeit ist ebenfalls eine Uraufführung, für die er den Komponisten, Fagottisten, Zitherspieler und Kopf der Neue-Volksmusik-Pioniere „Knoedel“ – Christof Dienz – gewinnen konnte. „Ich bin stets auf der Suche nach Musik, das ist in der Entstehung eines neuen Stücks der am längsten dauernde Prozess“, erklärt er. „Als ich in München an ‚Cecil Hotel‘ gearbeitet habe, bin ich auf Musik von Christof Dienz gestoßen, ohne zu wissen, wer er ist. Ich habe dann auch Musik von ihm verwendet, aber erst später zu seiner Person recherchiert. Dabei habe ich herausgefunden, dass er nur 10 Minuten von mir entfernt in Wien lebt.“ Man traf sich also bei nächster Gelegenheit und fasste den Plan zur engeren Zusammenarbeit.
Andrey Kaydanovskiy findet es höchst notwendig, mit zeitgenössischen Komponisten zu arbeiten. „Wir sind es gewohnt, immer die gleichen Sounds zu hören. Das ist nicht zeitgemäß. Und es ist nicht richtig, weil wir dadurch das Hier und Jetzt verlieren. Jedes Jahrhundert hat seine eigene Musik hervorgebracht, weshalb wir auch ein so großes Repertoire haben. Wir aber machen heute Musiktheater und produzieren kaum Musik, das ist ja absurd. Wir müssen einfach weitergehen und unsere Zeit auch musikalisch dokumentieren.“ Das sei auch für Orchester eine große Chance, tatsächlich neue Töne anzuschlagen.
Kleine Männchen
Die Frage, wie er seine Choreografien festhalte, quittiert er mit einem Lachen. „Ich zeichne kleine Männchen.“ Wenn man wenig Zeit habe, arbeite man natürlich auch mit Video. „Aber Papier und Stift sind eigentlich meine wichtigsten Materialien.“ Muss man selber Tänzer sein, um Choreograf werden zu können? „Ich denke, ja. Man sollte wissen, wie man Bewegungen macht, die spektakulär aussehen, die Tänzerinnen und Tänzer aber nicht schon in den ersten 30 Sekunden umbringen. Gute Choreografen können sich auch selbst gut bewegen.“
Und weil man es so gar nicht erwartet, zum Schluss noch eine kleine Überraschung: Andrey Kaydanovskiy hört privat bevorzugt Heavy Metal. „Very Heavy Metal!“
Zur Person: Martin Schläpfer
Der Direktor des Wiener Staatsballetts zeigt für „Begegnungen“ ebenfalls eine Uraufführung zu Beethovens „4. Klavierkonzert“. Der Titel „In Sonne verwandelt“ weist auf Bilder voller Wärme hin.
„Harmonisch, aber nicht friedlich, wissend, aber nicht dominierend, zur Ruhe gekommen, aber nicht still, fließend, aber nicht drängend: wie ein breiter Bach, kurz bevor er in den See mündet, die eine Lichtung in Gold verwandelt und dem Wald das Enge und Dunkle nimmt, obwohl seine Stämme dicht an dicht stehen.
Zentimeter werden zu Metern, Gefahr wird zur Chance“, präzisiert er seine Arbeit, die den Abschluss des Abends darstellt.
Zur Person: Alexei Ratmansky
Der in St. Petersburg geborene Tänzer und Choreograf ist ein Weltstar des klassischen Balletts. Sein Weg führte ihn vom Bolschoi-Ballett in Moskau, dessen Direktor er 2004 wurde, nach New York, wo er seit 2009 als Artist in Residence das
American Ballet Theatre prägt.
Er eröffnet „Begegnungen“ mit dem 2013 für das Royal Ballet London choreografierten Stück „24 Préludes“, in dem acht Tänzer*innen auf hinreißende Weise die ganze emotionale Palette unterschiedlichster Beziehungen entfalten.
Zugleich ist es eine Hommage an den britischen Tanz des
20. Jahrhunderts – an Antony Tudor und Frederick Ashton.