Mailand–Wien–Mailand. Patti Smith war da, auch Pedro Almodóvar und Schauspieler Louis Garrel. Die jährliche Saisoneröffnung des Teatro alla Scala ist nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis, sondern kommt stets einem Staatsakt nahe. Elīna Garanča sang die Prinzessin Eboli in Verdis „Don Carlo“ und erntete damit sehr viel mehr Applaus als der glücklose Regisseur der Neuproduktion.

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Vier Tage später sitzt sie am frühen Nachmittag in einer Suite des Hotels Sacher, um ihre nächsten Projekte zu besprechen. „Ich habe den ersten realistischen Flug genommen, um hierherzukommen“, erzählt sie erstaunlich entspannt. Sie wird auch den nächsten realistischen retour nehmen, denn zwei Abende später ist sie bereits wieder im „Don Carlo“-Einsatz.

Doch jetzt geht es um etwas ganz anderes. „Am 3. Juli findet ‚Klassik unter Sternen‘ zum 15. Mal statt, was ich selbst kaum glauben kann. Zum Glück gibt es immer noch Stücke, die ich dort noch nicht gesungen habe“, scherzt die für ihren trockenen Humor bekannte Mezzosopranistin. Und auch „Klassik in den Alpen“ steht am 6. Juli erneut auf dem Open-Air-Programm. „Wir feiern beides mit Maria Callas, die 2023 hundert Jahre alt geworden wäre, und mit Giacomo Puccini, dessen Todestag sich 2024 zum hundertsten Mal jährt.“

Das genaue Programm steht – wie auch das zu erwartende namhafte Ensemble – noch nicht fest. Dass die Callas mit Puccini Triumphe feierte, ist indes kein Geheimnis, weshalb es klug ist, die beiden Opernikonen tonangebend miteinander zu verbinden.

Primadonna assoluta

„Maria Callas ist es zu verdanken, dass die Oper theatralischer geworden ist, weg von dem, was man ‚park and bark‘ nennt, also einfach dazustehen und geradeaus nach vorne zu singen“, erklärt Elīna Garanča. „Man kann auch menschlich viel von ihr lernen. Sie hatte diesen unglaublichen Ruhm in der Gesellschaft und die tiefste Einsamkeit im Privatleben. Ich glaube, dass sie die erste Instagrammerin war, weil sie sich auch außerhalb der Opernhäuser inszeniert und, wenn es sein musste, auch gegen Kollegen oder Dirigenten ausgeteilt hat. Sie hat das Showbiz beherrscht, verkehrte mit Kennedy und Sinatra, was natürlich das Interesse der Klatschpresse weckte.“

Das frühe Ende ihrer Karriere war ein tragischer Aspekt, der aber wesentlich zur Mythenbildung beitrug. „Die stimmliche Strapaz war allein schon aufgrund der vielen Vorstellungen, die sie gesungen hat, enorm. Sie reiste sehr viel, trat oft in Südamerika auf, und auch die emotionale Belastung ermüdet den Körper irgendwann. Es ist wie bei einem Hochleistungssportler. Wenn man Marathon auf Weltniveau laufen will, kann man nicht immer wieder für ein halbes Jahr pausieren, was Maria Callas aber getan hat.“

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Fernmündliches Consulting

Als Vorbild für jene „ZukunftsStimmen“, die Elīna Garanča und Karel Mark Chichon auch heuer wieder suchen, kann die Callas also nur bedingt gelten. Wer aus dem Nachwuchscontest, für den man sich noch bis 10. März bewerben kann, als einer von drei Siegern hervorgeht, darf sich nicht nur über Auftritte bei den Klassik Open Air-Events freuen.

„Alles, was ich bisher an Erfahrungen gewonnen habe, gebe ich an die nächste Generation weiter. Die Gewinner bekommen meine Mobilnummer und können mich jederzeit kontaktieren und um Rat fragen. Es ist eine wirklich umfangreiche Begleitung, und ich könnte mir sogar vorstellen, das nach dem Ende meiner eigenen Karriere noch auszubauen.“

Warum sind ihr, der international gefragten Sängerin, solche autonomen Projekte wie „Klassik unter Sternen“ überhaupt wichtig? „Man hat dabei eine gewisse Entscheidungsfreiheit, die man an einem Opernhaus, wo ich Teil einer Produktion bin, nicht hat. Ich hoffe, mit diesen Abenden auch Schwellenängste abzubauen. Viele trauen sich gar nicht in die Oper, und ich muss ehrlich sagen, dass die angebotenen Inszenierungen auch uns Sängern manchmal Angst machen. Wir werden gebucht, ohne zu wissen, wer Regie führt oder wie die Produktion ausschauen soll. Dann kommen wir an und müssen uns dem Stockholm-Syndrom ergeben.“ Elīna Garanča lacht. „Man lernt, den Täter zu lieben. Wir lassen uns im Laufe von drei, vier Wochen Probenzeit überzeugen und verteidigen dann das Projekt, von dem man uns eingeredet hat, dass es toll wird und Sinn ergibt, mit voller Power.“

Bei den eigenen Konzerten könne sie hingegen unterschiedliche Stile anbieten und das Publikum mit der Crème de la Crème der Opernliteratur vielleicht nachhaltig für das Genre gewinnen.

„Man lernt, den Täter zu lieben.“

Elīna Garanča

Stargast beim Opernball

„Aller guten Dinge sind drei“, erklärt sie die Entscheidung, heuer gemeinsam mit Piotr Beczała und Serena Sáenz die Eröffnung des Opernballs zu bestreiten. „Ich habe das bereits 2005, als ich meine erste große Premiere an der Staatsoper hatte, gemacht. Und ein zweites Mal 2011, als ich gerade mit meiner Tochter schwanger war. Ich denke, der Auftritt heuer ist der Abschluss eines Zyklus. Manchen Leuten, die nicht oft in die Oper gehen, kann ich so auch vermitteln, dass ich noch immer da bin.“ Selbige müssten allerdings hinter dem Mond leben.

Auf dem festlichen Programm stehen die „Barcarolle“ aus „Les Contes d’Hoffmann“, die Polonaise aus „Eugen Onegin“, Arien aus „Carmen“ und „Don Carlo“ sowie „Granada“ von Agustín Lara. An die Wiener Staatsoper wird Elīna Garanča Ende März zurückkehren, um erneut die Kundry im „Parsifal“ zu geben.

Intensiver Ungarischunterricht

„Direkt nach dem Opernball fahre ich zu meinem Lehrer und arbeite an der Judit in ‚Herzog Blaubarts Burg‘ von Béla Bartók, die ich in Neapel singen werde. Das ist eine sehr spannende Rolle, für die man mich zum ersten Mal in ungarischer Sprache hören wird.“ Das phonetische Auswendiglernen der Partie erledige sie während der Haus- und Gartenarbeit via Kopfhörer. „Mich motiviert die Herausforderung, denn es ist wahnsinnig schwer. Nach so vielen Jahren in diesem Beruf gibt es nur noch wenige Partien, die mich interessieren.“ Welche wären das?

„Jetzt bin ich 47, mit 50 plus würde mich eine Ortrud in ‚Lohengrin‘, eine Azucena in ‚Il trovatore‘ und eine Klytämnestra in ‚Elektra‘ sehr reizen. Und, etwas später, die Gräfin in ‚Pique Dame‘. So viele sind es also gar nicht mehr.“ Und weil Opernprojekte stets ein paar Jahre Vorlaufzeit haben, sollten sich Intendanten schon jetzt Gedanken dazu machen.

Klassik Open Air

Auch 2024 werden Elīna Garanča und Karel Mark Chichon ihre umjubelten Sommerkonzerte im Herzen der Wachau und in den Kitzbüheler Alpen fortsetzen. Mit dabei: hochkarätige Freunde, viel versprechende „ZukunftsStimmen“ und das Volksopernorchester.

Infos und Tickets:

Klassik unter Sternen am 3. Juli im Stift Göttweig, 19.30 Uhr

Klassik in den Alpen am 6. Juli in Kitzbühel, 20 Uhr

klassikuntersternen.at

klassikindenalpen.at