Claudia Waldherr: Miss Schweiz
Alpiner Mythos mit touristischem Mehrwert. Johanna Spyris Romanklassiker „Heidi“ attestiert der Hauptfigur messianische Züge und übernatürliche Gutherzigkeit. In Claudia Waldherrs Neuinszenierung ist alles anders. Zum Glück.
Das Gras ist grün. Das Bächlein blau. Und selbst die Geißlein haben nichts zu meckern. Vor idyllischem Bergmassiv entspinnt sich auf saftigen Almen eine durchaus dramatische Handlung, in der ein junges Mädchen um seinen Platz im Leben kämpft und dabei allen anderen Protagonisten – vom großväterlichen Alm-Öhi über den arglosen Ziegenpeter bis hin zum pädagogisch hinterfragenswerten Fräulein Rottenmeier – Lektionen fürs Leben erteilt:
Heidi, das unbeirrbar liebreizende Waisenkind, 1880/81 in zwei Büchern erdacht von Johanna Spyri und nicht zuletzt dank einer 52-teiligen japanischen Zeichentrickserie zu Weltruhm gelangt. Allein die volkstümliche Titelmelodie von Gitti & Erika können vermutlich mehrere Generationen von TV-Konsumenten noch heute auswendig mitsingen.
Vor 22 Jahren dramatisierte Thomas Birkmeir das Original und brachte es im Theater der Jugend erstmals auf die Bühne. Nun nimmt sich Claudia Waldherr, bis dato vor allem als Schauspielerin in Erscheinung getreten, des kontroversiellen Stoffs an. Und räumt gleich einmal mit ein paar Klischees auf.
Ohne Heiligenschein
„Ich wollte in erster Linie die Geschichte einer jungen Frau erzählen, die ihren Weg geht“, erklärt die Regisseurin. „Bei uns ist sie keinesfalls spießig, sondern ein tougher Teenager auf der Suche nach seinem Platz in der Welt. Heidi ist alles andere als langweilig und konformistisch. Sie ist vielmehr ein rotziges, goschertes Wesen, das sich erst einmal nichts gefallen lässt. Sie hat in unserer Fassung auch sicher keinen Heiligenschein.“
Heidi ist ein rotziges, goschertes Wesen, das sich erst einmal nichts gefallen lässt.
Claudia Waldherr, Regisseurin & Schauspielerin
Anders als in der Romanvorlage ist sie im TdJ auch nicht fünf Jahre alt, sondern zwölf oder dreizehn, also in der Blüte ihrer Pubertät. „Meiner Meinung nach behandelt das Stück vor allem die Thematik der Fürsorge: Heidi schaut auf den Großvater und auf Peter, der sich wiederum um seine Großmutter kümmert.
Später, in Frankfurt, wird Heidi von Klara umsorgt. Es geht darum, wer sich um wen kümmert. Um Gespür füreinander, um zwischenmenschliche Beziehungen, um Freundschaften – darum, dass Familien auch ganz anders ausschauen können als das herkömmliche Vater-Mutter- Kind-Bild. Das ist ebenfalls eine wichtige Message.“
Dass es sich bei Heidi um eine weibliche Hauptrolle handelt, habe ihr interpretatorisches Interesse zusätzlich bestärkt.
„Es gibt noch immer viel mehr männliche Rollen am Theater, obwohl die Zahl der Schauspielerinnen überwiegt. Dadurch haben es Frauen automatisch schwerer, weil die Konkurrenz größer ist.“ Mit Heidi, Klara, Fräulein Rottenmeier und der Großmutter umfasst das Personal zumindest vier interessante weibliche
Charaktere. Gespannt sein darf man auch auf die Musik von Severin Salvenmoser, der nicht nur für die Bühne komponiert, sondern auch schon den Sound für vier Fashionshows von Vivienne Westwood beisteuerte. Mit dem anfangs erwähnten alpinen Partykracher „Heidi“ dürfte seine Tonkunst jedenfalls wenig gemein haben. Vielmehr wird – um einiges subtiler – eine Mundharmonika zum instrumentalen Einsatz kommen.
Zur Person: Claudia Waldherr
studierte an der Schauspielakademie Elfriede Ott und spielte noch während ihrer Ausbildung u. a. bei den Nestroy-Spielen Liechtenstein. Sie war im Ensemble des Landestheaters Linz, ist seit 2017 regelmäßiger Gast am TdJ, trat im Rabenhof Theater sowie im Bronski & Grünberg auf und war 2018 als „Bester Nachwuchs weiblich“ für einen NESTROY nominiert. „Heidi“ ist ihre zweite Arbeit als Regisseurin.
Faschingsgilde Döbling
Was hat Claudia Waldherr schließlich dazu bewogen, neben ihrer Arbeit als Schauspielerin auch Regie führen zu wollen? „Ich habe das weder geplant noch gewollt“, erklärt sie überraschend, aber glaubhaft. „Aber ich wollte auch nie Schauspielerin werden. Mir ist beides mehr oder weniger passiert.“
Zwar sei sie in ihrer Waldviertler Heimat im Laientheater aktiv gewesen, habe nach ihrem Schulabschluss aber in einem Reisebüro gearbeitet. „In erster Linie wollte ich weg vom Land, rein in die große Stadt. In Wien habe ich meine Laienspielgruppe dann doch vermisst, woraufhin mir meine Mama die Döblinger Faschingsgilde als Ersatz empfohlen hat. Ich war nicht sehr überzeugt, hatte aber auch nichts zu verlieren. Der Anspruch bei dieser Faschingsgilde war erstaunlich hoch, man leistete sich sogar einen professionellen Regisseur.
Und dieser, der leider schon verstorbene Jean-Jacques Pascal, hat mich schließlich ermutigt, Schauspiel als Beruf in Erwägung zu ziehen. Ich habe nicht gewusst, dass es Menschen gibt, die durch den gesamten deutschsprachigen Raum tingeln, um an unterschiedlichen Schauspielschulen Aufnahmeprüfungen abzulegen. Mir war der Unterschied zwischen Reinhardt-Seminar und Konservatorium nicht klar. Aber ich kannte Elfriede Ott aus dem Fernsehen und habe mich an ihrer Akademie beworben. Und weil ich auch nicht wusste, was genau man da vortragen sollte, habe ich meine Monologe selbst geschrieben ...“
Die Ott erkannte dennoch großes Potenzial und nahm Claudia Waldherr auf. Seit ihrem Diplom sind nun zwölf Jahre vergangen, in denen ein Engagement das andere ablöste.
Dass sie nun auch inszeniert, habe mehrere Gründe. „Zum einen habe ich Regisseure und Regisseurinnen erlebt, denen in erster Linie die Hierarchie wichtig war. Mir geht es aber darum, mit Menschen künstlerisch zu arbeiten und gemeinsam ein Stück zu entwickeln. Ich habe Bock darauf, die ganze Geschichte zu erzählen und nicht nur den Ausschnitt, der mich als Schauspielerin betrifft. Mein Interesse gilt dem gesamten Bogen einer Dramaturgie. Und ich mache es, weil ich unterhalten möchte."
Ihr offizielles Regiedebüt gab sie im Sommer 2024 bei den Komödienspielen Porcia mit „Der gestiefelte Kater“ – „Heidi“ ist nun ihre zweite Inszenierung. „Das Komische daran ist für mich, dass ich nicht mitspiele, obwohl ich das sehr gerne würde. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass meine Aufgabe mit der Premiere erledigt ist. Das wird auch bei ‚Heidi‘ so sein. Vielleicht kann ich eines Tages beides machen, aber jetzt ist es dafür noch zu früh. Nun geht es erst einmal darum, meine Stimme als Regisseurin zu finden, weshalb es vonnöten ist, die Bereiche sorgfältig voneinander zu trennen.“ Ihr Stil? „Antiautoritär!“
Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass meine Aufgabe mit der Premiere erledigt ist.
Claudia Waldherr, Regisseurin & Schauspielerin
144 Jahre Erfolg
Bis heute wurde Johanna Spyris „Heidi“ in mehr als 50 Sprachen übersetzt; allein in Japan gibt es davon mindestens 123 verschiedene Auflagen; der Stoff fand Eingang in zahlreiche Filme, Animes, Comics und Musicals. Worin liegt diese mehr als ein Jahrhundert andauernde Begeisterung begründet?
„Ich glaube schon, dass die Zeichentrick-Serie sehr dazu beigetragen hat, dass wirklich fast jedes Kind diese Geschichte kennt“, erklärt Claudia Waldherr.
„Sehr spannend daran ist auch der Stadt-Land-Konflikt, mit dem sich ebenfalls viele identifizieren können. Ich komme selbst vom Land, das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, zählt 36 Häuser. Jetzt lebe ich seit Jahren in einer Millionenstadt, und der Kontrast könnte nicht größer sein. Man darf nicht vergessen, dass auch viele Kinder aus den Bundesländern nach Wien kommen, um sich Theaterstücke anzuschauen. Und für diese ist es, denke ich, schön, auch einmal ihr ureigenstes Thema vertreten zu sehen.“
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Heidi zieht es von Frankfurt schließlich wieder zurück in die Berge. Kann die Regisseurin das nachvollziehen? „Als Teenie wollte ich unbedingt weg aus dem Waldviertel. Ich hatte großes Bedürfnis nach der Stadt. Jetzt sehne ich mich nach einem Garten im Grünen. Diese Naturliebe ist auch der Grund, warum ich so gerne im Schweizergarten bin. Eigentlich habe ich mir die Location für die Fotos gar nicht überlegt, sondern danach ausgesucht, dass ich in der Nähe wohne und gerne hierherkomme.“
Dabei passt der Park beim Arsenal perfekt zum Stück. Denn: „Nach dem Ersten Weltkrieg haben die Schweizer viele österreichische Kinder aufgenommen, um sie aufzupäppeln. Als Dank dafür erhielt der Schweizergarten, der davor Maria-Josefa-Park hieß, seinen Namen.“ Besser hätte sich das auch Heidi nicht ausdenken können.