„Denis & Katya“: Timothy Connor in der Kammeroper
Er sang in einer gefeierten Oper für Babies, verehrt Beyoncé und hat sich das Motto von Ru Pauls Mutter zu Herzen genommen. Nun ist der nordirische Bariton Timothy Connor gemeinsam mit Hasti Molavian im Teenagerdrama „Denis & Katya“ – nach einer wahren tragischen Geschichte – zu erleben.
Es klingt nach „Romeo & Julia“ – und es endet auch wie in Shakespeares berühmter Liebestragödie. Ein junges russisches Paar, beide 15, versteckt sich 2016 nach einem Streit mit den Eltern in einer Jagdhütte, wird dort von einem Spezialkommando der Polizei aufgespürt und lässt seine Follower via Social Media ungefiltert am Geschehen teilhaben. Realität und digitale Wahrnehmung interferieren, Follower mischen sich als Kommentatoren und Agitatoren direkt in die Abläufe ein, die Situation eskaliert – Denis und Katya überleben die aufgeheizte Stimmung nicht. Bis heute ist nicht geklärt, unter welchen Umständen sie beim finalen Einsatz der Exekutivkräfte ums Leben kamen.
Der britische Gegenwartskomponist Philip Venables, dessen Werk stets einen Fokus auf soziale und politische Brisanz legt, hat gemeinsam mit Autor und Regisseur Ted Huffman aus dem Stoff eine mehrfach ausgezeichnete Oper gemacht, deren deutsche Fassung in der Kammeroper ihre österreichische Erstaufführung erlebt.
Sechs Charaktere, davon zwei real existierende Zeitzeugen, prägen das Stück – die Titelpersonen selbst kommen in den 112 Mikroszenen gar nicht vor. Begleitet von vier Celli und elektroakustischen Klängen, stellen der nordirische Bariton Timothy Connor und die persisch-deutsche Mezzosopranistin Hasti Molavian die gesamte Besetzung der Oper dar. Wenige Tage vor der Premiere am 27. September trafen wir einen gut gelaunten Timothy Connor zum Interview.
Digitale Parallelwelten
Was hat ihn am Stoff der Oper interessiert? „Es ist ein Lehrstück darüber, wie Menschen andere Menschen online behandeln, und es zeigt, dass niemand im digitalen Raum sein wahres Gesicht zeigt. Wir haben als Ausgangssituation zwei Teenager, die sich ein wenig in Schwierigkeiten bringen – und in der Folge sind alle Erwachsenen, alle Personen, die sich in die Geschichte einklinken, mitverantwortlich dafür, dass sie völlig aus dem Ruder läuft. Da gibt es Leute, die Denis und Katya online dazu auffordern, auf die Polizei zu schießen, und es gibt andere, die Katya, ein minderjähriges Mädchen, bedrängen, ihre nackten Brüste zu zeigen. Es ist verrückt, niemand würde so etwas auf der Straße zu jemandem, den er nicht kennt, sagen. Es ist aber auch ein interessanter Aspekt in unser aller Umgang mit Social Media. Keiner ist authentisch. Im Falle von Denis und Katya ist das der Grund für ihr schreckliches, sinnloses Ende.“
Timothy Connor will sich nicht an den Spekulationen beteiligen, was damals in der Datscha tatsächlich passiert sein könnte. „Das waren Kinder, die wahrscheinlich einfach ein bisschen rummachen, vielleicht auch Alkohol trinken und Spaß haben wollten. Dann ist es aus dem Ruder gelaufen, aber ich glaube nicht, dass sie suizidgefährdet waren oder Böses im Sinn hatten.“
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Reale Auswirkungen
Beeinflusst die Tatsache, dass es sich bei zwei der von ihm dargestellten Personen um tatsächlich lebende handelt, seine Arbeit? „Ich denke schon. Als Opernsänger habe ich es meist mit Geschichten zu tun, die 150 bis 400 Jahre alt sind und in denen die Figuren nicht real oder zumindest nicht mehr am Leben sind. Hier ist es so, dass ich mich auf seltsame Art als Teil des Problems sehe, indem ich die Geschichte wieder erzähle. Ich habe erst vor Kurzem den richtigen Namen jenes Freundes von Denis herausgefunden, den ich auf der Bühne auch darstelle. Und ich denke mir, dieser Junge muss komplett traumatisiert sein. Ich fühle mich ihm sehr nahe, und das ist sicherlich ein Unterschied zu herkömmlichen Opern.“
Die Tatsache, dass er gemeinsam mit Hasti Molavian ununterbrochen auf der Bühne steht und 112 Mikroszenen bewältigen muss, sei gar kein so großer Kraftakt, wie man meinen könnte. „Das Stück ist für die Gesangsstimme gut komponiert. Schwieriger ist, dass es keinen Dirigenten gibt und wir alle Informationen via Clicktrack direkt ins Ohr bekommen. In meinem Falle ins linke, und manchmal denke ich, dass ich dadurch regelrecht taub bin. Aber, wenn man quasi die Hälfte seines Audiosinns einbüßt, muss man sich wirklich aufeinander einlassen. Hasti und ich sind schnell Freunde geworden, es war eine der wichtigsten Erfahrungen für mich, ihre Energie spüren zu lernen.“
Eine weitere Herausforderung liege darin, dass alles schnell gehen müsse. „Es gibt Szenen, die nur zwei, drei Takte lang sind. In der nächsten muss man aber schon wieder zwei Plattformen hochgesprungen sein und eine schöne hohe Kopfnote singen. Darin liegt die zentrale Stärke“, meint er amüsiert.
Sinn fürs Moderne
Wiewohl mit 35 Jahren im Fach des Baritons „noch ein Baby“, wie er lachend anmerkt, hat Timothy Connor sich bereits ein großes klassisches Repertoire erarbeitet. Dazu zählen Partien wie Figaro in „Il Barbiere di Siviglia“, Frank in „Die Fledermaus“, Dancairo in „Carmen“, Angelotti in „Tosca“ oder Papageno in „Die Zauberflöte“. Im MusikTheater an der Wien war er im November 2022 als Giorgio in Tobias Kratzers Inszenierung von Rossinis „La gazza ladra“ zu sehen.
Immer wieder kann man ihn aber auch in zeitgenössischen Arbeiten erleben. So stand er etwa in Ian Burnsides „A Soldier and a Maker“ auf der Bühne, sang Kris Kelvin in der Oper „Solaris“ des japanisch-britischen Komponisten Dai Fujikura und war Nanda in „The Transposed Heads“ der australischen Komponistin Peggy Glanville-Hicks. Heuer im Sommer machte er bei den Bregenzer Festspielen als Townsend Harris in Fabian Panisellos „Die Judith von Shimoda“ auf sich aufmerksam. Diese Co-Produktion mit der Neuen Oper Wien ist ab 2. November auch im Theater Akzent zu sehen.
Würde er also der Behauptung zustimmen, er habe ein Faible für Ur- und Erstaufführungen? „Es ist ein echtes Privileg, etwas zum allerersten Mal zu machen, weil man dabei am meisten über den jeweiligen Charakter herausfinden kann. Er gehört einem dann, man besitzt ihn gewissermaßen. Wenn ich an Papageno oder Ford in ‚Falstaff‘ denke, sehe ich Ludovic Tézier oder Simon Keenlyside vor mir und überlege, wie ich an ihre Leistungen herankommen kann. Man hat also immer eine Reverenz im Kopf, was bei Uraufführungen komplett wegfällt.“
Ausgezeichnet! Entbehrungsreich?
Als heuer am 7. September im Wiener Rathaus die Verleihung des Österreichischen Musiktheaterpreises stattfand, durfte sich in der Kategorie „Bester Nachwuchs männlich“ Timothy Connor über die Statue freuen – er gewann sie gemeinsam mit seinen Kollegen Andrew Morstein und Johannes Schwendinger für die Kammeroper-Produktion „The Lighthouse“.
„Es klingt abgedroschen, weil es jeder sagt, aber es war schon eine Riesenfreude, nominiert zu sein. Dann tatsächlich zu gewinnen, war fantastisch. Der Abend ist insgesamt großartig gewesen, wir saßen an einem Tisch mit Nina Stemme. Andreas Schager und Camilla Nylund waren da … und Otto Schenk! Mir gibt ein solcher Preis das Vertrauen, auf dem richtigen Weg zu sein.“
Apropos feiern: Ist das Leben eines Opernsängers wirklich so entbehrungsreich, wie viele behaupten? Kaum Alkohol trinken? Wenig reden? Früh zu Bett gehen? Timothy Connor lacht nun schallend laut. „Vielleicht mit zunehmendem Alter. Natürlich mache ich am Abend vor einer Premiere nicht Party und esse kein scharfes Curry, weil ich sonst Reflux bekommen könnte, aber wenn du kein Leben hast und dich nur ängstlich daheim im Bett verkriechst, hast du auch nichts, worüber du singen kannst. An meinem ersten Tag im Royal College in London hat uns der damalige Leiter der Gesangsabteilung einen Rat gegeben: Geht aus, unternehmt viel, besucht Museen, lest Zeitungen, interessiert euch für Kunst, Politik und Finanzen, sonst werdet ihr nichts haben, worüber ihr singen könnt. Und das habe ich mir gemerkt.“
Countrydiva für einen Tag
In einem Jahre zurückliegenden Interview antwortete Timothy Connor auf die kuriose Frage, welche prominente Persönlichkeit er gerne für 24 Stunden wäre: Dolly Parton. Eine lustige Vorstellung angesichts der Tatsache, dass man einem geschätzt 1,90 Meter großen Hünen gegenübersitzt, wohingegen die platinblonde US-Ikone gerade einmal 1,52 misst. Warum also sie und nicht zum Beispiel Genrekollegin Maria Callas?
„Dolly Parton hat in ihrer Zeit Grenzen durchbrochen, sie hat gegen Frauenfeindlichkeit gekämpft und ist seit Jahrzehnten erfolgreich. Wer hat schon eine solche Karriere? Und sie ist lustig. Sie nimmt ernst, was sie tut, sich selbst aber nicht. Das ist ein goldener Ratschlag, den man jedem geben sollte.“ Heute würde er auf dieselbe Frage übrigens Beyoncé antworten, die er heuer auf ihrer „Renaissance“-Tour in Stockholm live gesehen hat. Googelt er sich selber? „Nein, ich habe drei Nichten in Irland, die das für mich erledigen“, grinst er belustigt. Findet man ihn auf Barihunks – einem Blog, der gutaussehenden, meist oberkörperfrei abgelichteten Baritonen huldigt? Gelächter. „Vor neun Jahren hätte man mich dort gefunden, ja. Ich habe den Gentleman, der diese Seite betreibt, sogar einmal in New York kennengelernt. Damals habe ich eine Oper für Babies an der MET gemacht.“
Haben wir richtig gehört: Eine Oper für Babies? „Ja, sie heißt ‚BambinO‘ und stammt von Lliam Peterson. Die Musik ist wundervoll und sehr komplex; diese Oper wurde für ein Publikum von 30 Kleinkindern zwischen sechs und achtzehn Monaten komponiert. Wir haben pro Woche bis zu zwölf Vorstellungen gespielt, die Babies waren wie gebannt, sie haben es geliebt. Kleine Kinder geben einem das ehrlichste Feedback. Wenn du nicht gut bist, hören sie dir einfach nicht mehr zu.“
Unmittelbare Zukunft
Nach „Denis & Katya“ kann man Timothy Connor, wie bereits erwähnt, als Townsend Harris in „Die Judith von Shimoda“ im Theater Akzent sehen. Im Februar 2024 singt er in der Halle E Grégorio in Charles Gounods „Romeo et Juliette“, und im April gibt er in der Kinderoper „Hamed und Sherifa“ – dieses Mal in der Kammeroper – Prinzessin Sherifa. Ja, Sie haben richtig gelesen.
Zum Abschluss eine ebenso professionelle wie persönliche Frage: Wie geht er mit der ständigen, unmittelbaren Beurteilung um, der er als Opernsänger ausgesetzt ist? „Ein weiterer Guru von mir ist Ru Paul (Sänger, Moderator und Drag-Personality, Anm). Dessen Mutter hat einmal gesagt: ‚Solange sie deine Rechnungen nicht bezahlen, schenke ihnen auch keine Beachtung.‘ Wenn ich, meine Kollegen und das Team glücklich sind mit dem, was ich mache, habe ich meinen Job erfüllt. Natürlich freut es mich, wenn mich die Leute auch mögen, aber es beeinflusst meinen Beruf nicht. Was ich wirklich versuche, ist authentisch zu sein – und zu bleiben.“
Zur Person: Timothy Connor
Der Bariton Timothy Connor studierte an der Guildhall School of Music and Drama und am Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance, war Mitglied des Opernstudios am Landestheater Linz und der International Opera School des Royal College of Music, wurde als Britten-Pears Young Artist gefordert und erhielt internationale Preise.
Er trat bereits an der Neuen Oper Wien, am Landestheater Linz, am Theatre du Chatelet in Paris, an der MET in New York, beim Manchester International Festival, am Londoner Barbican, der Oper Wuppertal und der English Touring Opera auf. Diese Saison ist er in der Kammeroper als Balzes/Officer 2 in Maxwell Davies’ The Lighthouse, Laurent in Therese Raquin, Figaro in Il barbiere di Siviglia und in den JET-Specials Der Fall Straus und Don Giovanni Last Minute sowie im Theater an der Wien als Graf von Liebenau in Lortzings Der Waffenschmied zu erleben.