Geboren an einem 13. Gestorben auch. Kein leichtes Los für einen, der, wie Musikrevolutionär Arnold Schönberg, zeit seines Lebens unter panischer Angst vor der Zahl 13 litt. Der Titel des ihm gewidmeten Aufführungszyklus‘ darf als humoristische Anspielung auf eben jene Phobie, die im Fachjargon Triskaidekaphobie heißt, gewertet werden. Wenigstens besteht die von Michael Boder und Johannes Erath kreierte sinnlich-verrückte Schönberg-Revue aus 16 und nicht aus 13 Werkfragmenten.

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Zur Aufführung bringt das MusikTheater an der Wien dieses immersive Theatererlebnis, bei dem sich die Handelnden genauso wie das Publikum durch drei Räume bewegen, im Reaktor, ehedem bekannt als „Grand Etablissement Gschwandner“, inmitten des Wiener Vorstadtbezirks Hernals. Von „beeindruckend“ bis „originell“ lautete das Kritikerurteil nach der Premiere – stets voll des Lobes für die Mitwirkenden wie das Klangforum Wien unter Anna Sushon, den Arnold Schönberg Chor und die Solistinnen Magdalena Anna Hofmann und Christine Schäfer. Mit den beiden Letztgenannten haben wir unmittelbar vor der Uraufführung gesprochen.

Gibt es auch eine Schönberg-Phobie?

Warum, so die erste Frage, haben eigentlich so viele Menschen regelrecht Angst vor der Musik Arnold Schönbergs? Christine Schäfer lächelt wissend. „Ich habe in meinem Leben viele moderne Werke interpretiert, und Schönbergs Musik prägt sich tatsächlich schwer ein. Wenn man zum Beispiel Alban Berg zwei, drei Mal hört, hat man die Musik im Ohr, Anton Weberns Musik ist wiederum so anders, dass sie dadurch einen hohen Wiedererkennungswert hat. Schönberg aber hat eine Kompliziertheit, die für manche schwer nachvollziehbar ist. Offenbar gibt es viele Menschen, die Dissonanzen nicht mögen, was wiederum für mich nicht nachvollziehbar ist. Ich denke, das ist der Hauptgrund.“

Magdalena Anna Hofmann nickt zustimmend. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass der Genuss erst bei oftmaligem Hören kommt. Das ist auch beim Studium dieser Musik so. Man beginnt mit dem Lernen und kann möglicherweise anfangs noch nicht viel damit anfangen. Je öfter man allerdings wiederholt, desto mehr erkennt man die Strukturen, desto stärker entwickelt sich eine Tonalität, obwohl es eine solche vielleicht gar nicht gibt, desto leichter wird es zugänglich. Das Publikum aber hört es in der Regel zum ersten, zweiten oder dritten Mal, hat es also nicht so sehr im Ohr wie beispielsweise den ‚Rosenkavalier‘.“ Für sie biete Arnold Schönbergs Musik unendlich viel Freiheit. „In der Gestaltung, in der Tongebung, in den Farben. Ich bin immer auf der Suche nach unterschiedlichen Farbnuancen, und solche kann man auch nach Jahren der Beschäftigung immer wieder neue finden.“ Christine Schäfer schätzt an Schönbergs Musik ihre außergewöhnliche Ausdruckskraft. „Bei mir entstehen sofort Bilder im Kopf, fast explosionsartig, weil sie so abstrakt ist, manchmal surrealistisch. Immer wieder darauf zurückkommen zu dürfen, ist für mich sehr wertvoll.“

Theater an der Wien
Christine Schäfer tritt seit zehn Jahren nicht mehr als Sängerin auf. In „Freitag, der Dreizehnte“ brilliert sie darstellerisch und mit Sprechgesang. Im Hintergrund das Klangforum Wien.

Werner Kmetitsch

Der Nichtgesang als Begründung

„Freitag, der Dreizehnte“ ist eine vergleichsweise kleine Produktion für ein fortgeschrittenes Publikum. Was hat die beiden so sehr daran interessiert, dass sie sofort zugesagt haben. „Dass ich nicht singen muss“, erklärt Christine Schäfer. „Ich singe seit zehn Jahren nicht mehr aktiv, was bedeutet, dass ich es auch nicht mehr auf höchstem Niveau kann. Als Michael Bode mich angerufen und gefragt hat, ob ich Lust hätte, an diesem Projekt teilzuhaben, hat er mir auch gleich gesagt, dass ich nicht singen muss. Somit war klar, dass ich es mache. Weil ich diese Arbeit, hauptsächlich die Proben, so sehr vermisse. Für mich ist das wie ein kleiner Ausflug, danach ist dann wieder Schluss.“ Dirigent Michael Boder ist knapp nach Probenbeginn unerwartet verstorben. Der Abend ist also auch sein Vermächtnis und wird im Gedenken an ihn realisiert.

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„Bei mir sind die Faktoren vielfältig“, so Magdalena Anna Hofmann, „einerseits liegen sie in meiner langjährigen Zusammenarbeit mit Michael Boder, der nun leider nicht mehr dabei ist, begründet, andererseits hieß es, Christine Schäfer und ich seien in unserer Unterschiedlichkeit das perfekte Match. Dazu kommt meine Liebe zu Schönberg und, dass es mich sehr gereizt hat, mit Regisseur Johannes Erath zusammenzuarbeiten, dessen Inszenierungen ich wirklich schätze. Die Probenarbeit ist tatsächlich bereichernd. Obwohl er klare Vorstellungen und ein durchdachtes Konzept hat, ist er flexibel und gibt uns enorm viel Freiheit. Man fühlt sich weder alleingelassen, noch hat man das Gefühl, in ein starres Konstrukt eingepasst zu werden.“

Christine Schäfer verkörpert im Clownkostüm mittels Sprechgesang „Pierrot lunaire“ und spielt „Ein Überlebender aus Warschau“. Es gäbe auch drei Töne, die sie freiwillig singe. Magdalena Anna Hofmann singt „ein bisschen mehr.“ Also etwa große Teile der „Erwartung“, ein „Brettl-Lied“ oder ein „Pierrot“-Stück. „Der ganze Abend ist eine Collage mit Handlung“, betont sie. Und das sei, so ergänzt Christine Schäfer, bei allem Ernst und aller Bitterkeit manchmal ziemlich komisch.

Theater an der Wien
Magdalena Anna Hofmann vor dem „Klaviersarg“, in dem Christine Schäfer liegt. Es musiziert das Klangforum Wien unter der musikalischen Leitung von Anna Shushon.

Werner Kmetitsch

Sehr nah dran

Das MusikTheater an der Wien verspricht ein immersives Theatererlebnis, bei dem die Zuschauer*innen auch die Räume wechseln. Wie geht es den Künstlerinnen mit diesem eher unüblichen Setting? „Davor hatte ich anfänglich die meiste Angst“, gesteht Christine Schäfer, „aber es gibt zum Glück drei Statisten, die einem helfend signalisieren, wo man hinmuss. Dadurch fühle ich mich nicht mehr außerhalb meiner Komfortzone.“ Auch für Magdalena Anna Hofmann war dieser Umstand zu Beginn ein großes Fragezeichen. „Der Abstand zum Publikum ist kaum vorhanden, es gibt keinen Orchestergraben dazwischen, keinerlei Distanz, was natürlich eine ganz andere Art von Intimität erzeugt. Und zwar für beide Seiten.“

Vielleicht nimmt das aber auch etwas von der vielzitierten Schwellenangst. Außerdem hat das Publikum bei freier Platzwahl ohnehin die Entscheidungshoheit darüber, ob es ganz vorne oder lieber weiter hinten stehen möchte. „Diese Schwellenangst wird meiner Meinung nach aber auch ein bisschen dahergeredet“, findet Christine Schäfer, „denn ich kenne wirklich viele junge Menschen, die gerne in die Oper gehen. Sogar, als ich 16 war, sind wir schon abgerockt und nicht im schönen Kleidchen in die Oper gegangen, weil wir provozieren wollten. Das gibt es auch heute noch. Oper wird in der Schule viel zu wenig gefördert, wobei das in Österreich wesentlich besser ist als in Deutschland. Darin liegt der Grund, warum sie manche ätzend finden.“

Spaziergang mit Jonny Greenwood

Christine Schäfer ist im Gegenzug auch keine, die bei Populärmusik Beklemmungen erleidet. Ganz im Gegenteil. In einem Interview mit dem SZ Magazin bekannte sie bereits vor vielen Jahren, dass sie gerne gemeinsam mit der britischen Rockband Radiohead Musik machen würde. Ging dieser Wunsch jemals in Erfüllung? „Leider nein, das hat nicht geklappt. Jonny Greenwood (Keyboarder, Lead-Gitarrist und Virtuose auf dem monophonen elektronischen Musikinstrument Ondes Martenot, Anm.) plante ein Crossover mit klassischer Musik, bekam dann aber Muffensausen und sprang ab. Ich durfte lediglich einmal mit ihm spazieren gehen. Aber ich würde meine Stimme nach wie vor gerne durch elektronisches Ambiente jagen, weil ich diese Art der Verzerrung faszinierend finde. Das kann ja noch kommen. Wobei, eigentlich singe ich gar nicht mehr …“ Magdalena Anna Hofmann widerspricht: „Doch, du bist wieder da!“

Die beiden stehen laut eigenen Aussagen hundertprozentig hinter „Freitag, der Dreizehnte“ und hegen die Hoffnung, dass dieses Projekt auch beim Publikum gut ankommen möge (was es tut, die Abende sind ausverkauft) und Arnold Schönbergs reiche Facetten und unterschiedliche Talente möglichst gut zur Geltung kämen. „Das musikalisch hinzukriegen, ist die eigentliche Herausforderung“, meint Magdalena Anna Hofmann, „wobei es für mich bis auf das ‚Brettl-Lied‘ bekanntes Repertoire ist, das ich schon mindestens einmal gesungen habe. Man frischt es gewissermaßen auf und schüttelt es neu wieder in seinen Körper. Das muss man auch tun, wenn man dazwischen zwanzig andere Sachen gesungen hat.“

Viel und „nichts“

Was steht nach „Freitag, der Dreizehnte“ auf dem künstlerischen Programm? „Ich bewege mich wieder ins Wagner-Fach. Es steht eine Walküre an, ein Siegfried, Brünhilde, Isolde … und auch ein Wozzeck“, gibt Magdalena Anna Hofmann Auskunft. „Ich finde es wahnsinnig wichtig, flexibel im Repertoire zu bleiben, gerade, wenn man im dramatischen Fach zuhause ist. Deswegen genieße ich das hier auch so sehr. Immer wieder ein bisschen vom Gas zu gehen, ist, glaube ich, das Einzige, was die Stimme frisch hält. Und den Kopf. Und das Herz.“

„Nichts“, beantwortet Christine Schäfer die Frage. „Ich unterrichte in Berlin an der Hochschule, und das füllt mich auch sehr aus. Aber das hier beglückt mich. Fürs Erste ist nichts Neues geplant, sollte allerdings ein interessantes Angebot kommen, bin ich keineswegs abgeneigt.“

Freitag, der Dreizehnte


Reaktor
Geblergasse 40
1170 Wien

theater-wien.at