Der „Barbiere" in der Kammeroper: Wenn George Jackson Rossini serviert
Dem in London geborenen Dirigenten George Jackson ist es wichtig, dass Musik und Schauspiel eine dialogische Verbindung eingehen. So erlebt er es auch momentan an der Wiener Kammeroper.
Wenn klassische Musik auf Schauspiel trifft, hat man es in der Regel mit einer Operninszenierung zu tun. So einfach, so gut. Darüber, wie dieses Treffen aussieht – ob es tatsächlich ein Aufeinandertreffen ist oder doch ein Aufeinanderprallen ist – sagen solch stark vereinfachte Definitionen jedoch nichts aus. Für den Dirigenten George Jackson, der als Kind einer Schauspielerin und eines Schauspielers beide Welten in sich vereint, ist es wichtig, dass dieses Zusammentreffen nicht bloß eine kurze Begegnung, sondern eine gemeinsame Suche ist. An seinem fröhlichen Gesichtsausdruck lässt sich gut ablesen, dass er das in dieser Form auch momentan an der Kammeroper erlebt, wo er in einer Inszenierung von Christoph Zauner, Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ dirigiert.
„Il barbiere di Siviglia“: Rossini-Keks mit Stahlkanten
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„Ich habe sehr eng mit dem Regieteam zusammengearbeitet. Wir haben gemeinsam beschlossen, was wir streichen wollen. Dieser Dialog ist mir sehr wichtig. Es entspricht nicht meiner Herangehensweise eine Oper zu dirigieren, zu der ich davor keinerlei Input bekommen habe“, erklärt der gebürtige Londoner in einer Pause zwischen zwei Proben. An einem Haus wie der Kammeroper ist es, ergänzt er, wirklich möglich, die Arbeit an einer Inszenierung wirklich als Prozess zu sehen. „Ein Luxus“, merkt er lachend an. „Und eine großartige Möglichkeit, jeden Tag neue Dinge in der Partitur zu entdecken.“
Mission Rossini
Im März 2020 musste die Inszenierung der Theissing-Oper „Genia“ in der Kammeroper pandemiebedingt abgesagt werden, erzählt George Jackson, der seine Karriere als Assistent am Theater an der Wien begann. Daher ist der „Barbiere“ nun seine erste Produktion in der intimen Atmosphäre der Kammeroper. Die Nähe zum Publikum sieht er als Chance, Details in den Beziehungen der Figuren zueinander auszuleuchten. „Il barbiere di Siviglia“ ist aber nicht nur geographisch gesehen eine Rückkehr zu seinen beruflichen Anfängen. „Es hat sich so ergeben, dass die ersten Arbeiten, an denen ich als Assistent beteiligt war, im Belcanto-Repertoire angesiedelt waren“, erinnert er sich. „Ich finde, dass Rossinis Musik von vielen Missverständnissen umgeben ist. Oft wird der Eindruck vermittelt, sie sei sehr einfach. Ich sehe es deshalb schon als eine meiner Missionen an, dem Publikum zu zeigen, wie raffiniert seine Kompositionen sind und welche Dramatik in ihnen steckt“, so Jackson.
Wie Christoph Zauner im Interview mit der BÜHNE erklärt, ist die Oper für ihn ein Beispiel dafür, wie bewusst schöne, schnelle und bunte Musik genommen wird, um genau das Gegenteil im Bild zu zeigen. „Ich zeige das Stück in einer Zukunft, als echte Dystopie, voll schwarzem Humor und Absurdität. Die Musik ist dazu wie ein Wirbelsturm“, bringt es der Regisseur auf den Punkt. Für George Jackson unterstreicht die Musik, dass Rosina ihrer Situation entkommen möchte. Sie unterstütze, so Jackson, die Idee der Rettung Rosinas. „Fast schon so, als wäre sie ein eigener Charakter auf der Bühne.“
Der Dirigent als Stütze
Ganz im Sinn des eingangs beschriebenen Treffens, sieht George Jackson seine wichtigste Aufgabe als Dirigent darin, gemeinsam mit dem gesamten Team die Geschichte des Grafen, Rosinas, Figaros und all der anderen Figuren zu erzählen. „Ich möchte Rossinis Musik schützen und keinesfalls in irgendeiner Weise stören, trotzdem ist es wichtig zu erkennen, dass es den einen ‚Barbiere‘ nicht gibt". Bei seinen Überlegungen spielte auch eine kürzlich erschienene Monografie der amerikanischen Musikwissenschafterin Hilary Poriss eine wichtige Rolle. „Der Schwerpunkt ihres Buches liegt darauf, wie sich die Oper nach der Premiere in Rom entwickelt hat“, so Jackson. Bei der Lektüre des Buches fand er auch heraus, dass die ursprüngliche Arie Rosinas in der Szene, in der sie auf den Musiklehrer trifft, kaum aufgeführt wurde.
Auch in der Kammeroper wird sie nicht zu hören sein. „Statt der werden wir Alban Bergs Lied ‚Schlafen‘ aus ‚Dem Schmerz sein Recht, op.2‘ speilen. Wir dachten uns, dass es schön wäre, wenn Sofia Vinnik, als deutschsprachige Sängerin, an dieser Stelle ein Lied von Alban Berg singt. Die Forschung war sehr hilfreich, weil sie uns noch mehr darin befreit hat, wie wir diese Geschichte erzählen wollen“, erklärt George Jackson, der als Jugendlicher über die Geige immer mehr in die klassische Musik fand.
Ich habe denn Sänger*innen gesagt, dass meine Rolle der eines Kellners gleichkommt, der einen Gang nach dem anderen serviert."
George Jackson
Im Gespräch möchte der Dirigent außerdem betonen, welch wichtiger Stellenwert den Sänger*innen in dieser Oper zukommt. Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, bezieht er sich auf eine Zeichnung von Eugène Delacroix, die zeigt, wie Rossini drei Sänger*innen stützt. Diesem Ansatz möchte sich auch George Jackson anschließen – vor allem dann, wenn er Opern aus dem Belcanto-Repertoire dirigiert.
„Deshalb habe ich auch darauf verzichtet, mich zu genau und zu verkopft mit der Partitur zu beschäftigen. Ich wollte die Sänger*innen zuerst hören“, sagt Jackson. Einige Ensemblemitglieder seien vielleicht ein bisschen überrascht gewesen, als sie von ihm gefragt wurden, was sie gerne machen möchten, fügt er lachend hinzu. Und setzt nach: „Ich habe ihnen gesagt, dass meine Rolle der eines Kellners gleichkommt, der einen Gang nach dem anderen serviert. Das ist bei dieser Musik einfach so.“ Damit begann ein auf Dialog aufgebauter Prozess – ein in viele Probenstunden aufgeteiltes Aufeinandertreffen.
Reisender zwischen den Welten
Nach dem „Barbiere“ geht es für George Jackson wieder nach England. Für die Grange Park Opera in Surrey dirigiert er Leoš Janáčeks „Die Ausflüge des Herrn Brouček“. Regie führt Sir David Pountney. Zwischen England und dem europäischen Festland hin und her zu wechseln, empfindet der Dirigent als abwechslungsreich und bereichernd. Unterschiede in der Herangehensweise ergeben sich vor allem durch das Publikum.
„In England gibt es diese Opernkultur, wie wir sie in Deutschland und Österreich haben, nicht. Das bedeutet, dass wir so spielen, als ob das Publikum noch nie eine Oper gesehen hätte. Wohingegen wir hier in Wien annehmen, dass jede und jeder den ‚Barbiere‘ schon einmal gesehen hat. Dadurch hat auch der Regisseur eine andere Funktion, weil er sich fragen muss, was die Oper für unsere heutige Zeit relevant macht“, fasst Jackson zusammen.
Zur Person: George Jackson
Der in London geborene Dirigent George Jackson wurde 2015 mit dem Aspen Conducting-Preis ausgezeichnet und erregte mit der österreichischen Erstaufführung von Michael Jarrells Ombres mit dem ORF Radio Symphonieorchester Wien die Aufmerksamkeit der Fachwelt. Zu den jüngsten Highlights gehören sein Debüt mit dem Orchestre de Paris, wo er kurzfristig für Daniel Harding eingesprungen war, sowie Mozarts „Così fan tutte" im Opera Holland Park.