Wie die Faust aufs Auge: Auf der Bühne wird geboxt
Wenn der Schlagabtausch nicht nur verbal stattfindet: Zwischen der Theaterbühne und dem Boxsport scheint es eine besondere Verbindung zu geben. Überzeugen kann man sich davon derzeit im Ateliertheater.
Ob als inszenatorisches Mittel, als einzelner Handlungsstrang oder als übergeordnetes Thema, zwischen dem Theater und dem Boxsport scheint es eine besondere Anziehungskraft zu geben. Ohne Box-Metaphern hier allzu sehr überstrapazieren zu wollen: Es passt wie die Faust aufs Auge. Einen Sieg nach Punkten (dann ist wirklich Schluss mit den Metaphern, versprochen!) feierte zum Beispiel die Uraufführung des Stückes „Der Boxer“ von Felix Mitterer 2015 im Theater in der Josefstadt. Auf Tatsachen basierend zeichnet das Stück die Lebens- und Leidensgeschichte des Boxers Johann „Rukeli“ Trollmann nach, der 1944 im KZ ermordet wurde. Ernst Dörr (Kickboxweltmeister von 1989) zeichnete damals für die Boxchoreografie und das Coaching von Gregor Bloéb und Raphael von Bargen, der Rukelis Kontrahenten Reinhard Wolf spielte, verantwortlich.
Mich begeistert, dass man Boxen nicht spielen kann, wie man zum Beispiel Tennis oder Basketball spielt. Wenn man einen Schlag kassiert, dass kassiert man diesen Schlag.
Rikki Henry, Regisseur
Der britische Regisseur und Nestroy-Preisträger Rikki Henry ließ seinen „Othello“, der 2021 am Landestheater Niederösterreich Premiere feierte, in einem Boxring spielen. Für Rikki Henry einerseits ein wichtiges Mittel, um eine zeitgemäße Verbindung mit dem Publikum herzustellen, andererseits faszinierte den Regisseur die Kombination aus Einsamkeit und Berühmtheit, die den Boxsport auszeichnet. „Darüber hinaus hat mich der Gedanke begeistert, dass man Boxen nicht spielen kann, wie man zum Beispiel Tennis oder Basketball spielt. Wenn man einen Schlag kassiert, dass kassiert man diesen Schlag. Es ist eine professionelle Angelegenheit, die persönliche Kosten mit sich bringt“, erklärt Rikki Henry im Interview mit der BÜHNE. Das rückt den Sport für ihn auch in die Nähe des Schauspiels, denn auch wenn der Begriff selbst etwas anderes suggeriert, sind die Dinge auf der Bühne nicht bloß vorgespielt. „Wenn man auf der Bühne weint, sind es die immer die eigenen Tränen“, untermauert der Regisseur seine Argumentation.
Das Große im Kleinen durchgespielt
Wer sich aktuell davon überzeugen möchte, dass Theater sehr viel mehr sein kann als „nur“ verbaler Schlagabtausch, der kann das im Ateliertheater tun, das in der Wiener Burggasse beheimatet ist. „Infight – wer blutet, verliert“ basiert auf dem Buch „Gemma Habibi“ des österreichischen Autors Robert Prosser, der 2011 selbst dem Kampfsport verfiel. Es ist die Geschichte eines Boxers, der von seinem wichtigsten Kampf, aber auch vom Krieg in Syrien und den darauffolgenden Flüchtlingsbewegungen erzählt.
„Das Boxen, Kampfsport, ist ein Anlaufhafen für sehr viele aus dem arabischen Raum, aus Tschetschenien, aus Afghanistan, die nach Europa kommen und dadurch wieder Anschluss finden. Es wird im Boxen im Kleinen durchgespielt, was die Gesellschaft im Großen bewegt“, so der Autor in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Er fügt hinzu: „Ich glaube, was daran interessant ist, ist eine gewisse Ambivalenz, die im Kampfsport existiert, dieses Egalitäre, das gerade im Moment des Kampfes entsteht, also dass es vollkommen egal ist, von woher du kommst und was dich in den Ring gebracht hat. Da geht es in diesem Moment, in diesen drei Runden, da geht es um ganz was anderes. Da entsteht ein besonderer Moment.“
Reise ins Ungewisse
Die Zusammenarbeit mit dem Ateliertheater kam mehr oder weniger zufällig zustande, erinnert sich Georg Hartmann, der das Theater seit dieser Saison leitet. „ORF III hat hier im Theater ein Interview mit Robert Prosser aufgezeichnet, so kamen wir ins Gespräch. „Wenn er aus seinen Texten vorträgt, ist das sehr viel mehr als eine klassische Lesung. Er hat einen eigenen, sehr fließenden und rhythmischen Stil. Häufig – so auch bei uns – arbeitet er mit einem Schlagzeuger zusammen. Mir war vom ersten Moment an klar, dass das gut wird.“
Man ist auf verschiedenen Situationen vorbereitet, weiß grundsätzlich was geschieht, trotzdem kann alles passieren.
Georg Hartmann, Intendant Ateliertheater
Schnell wurde auch beschlossen, dass neben Autor und Erzähler Robert Prosser, dem Schlagzeuger Lan Sticker auch Boxer*innen Teil des Bühnengeschehens sein sollten. Christina Pöppelmeyer (Boxschmiede Wien) und Ahmet Simsek machen zum Beat des Schlagzeugs den Sport boxend und Seil springend für das Publikum erlebbar. „Obwohl der Boxsport ein unglaublich schneller Sport ist, möchten wir es dem Publikum ermöglichen, zu verstehen, was ein Schlag bedeutet, was dieser Austausch von Gewalt für einen Effekt auf die Boxer*innen hat und welche Gefühle sie dabei entwickeln“, erklärt Georg Hartmann. „Darüber hinaus geht es in der Inszenierung, die als Gemeinschaftsprojekt entstand, natürlich auch um die Situation von Menschen aus verschiedenen Kulturen, die beim Boxen eine Gradmessung haben, die anders funktioniert als die Vorurteilswelt, in der sie sich sonst bewegen. Es gibt klare Parameter, zu denen nicht gehört, welche Sprache jemand spricht.“
Eine Parallele zwischen Boxsport und Theater erkennt Georg Hartmann unter anderem in der Ungewissheit: „Man ist auf verschiedenen Situationen vorbereitet, weiß grundsätzlich was geschieht, trotzdem kann alles passieren.“