Bezaubernd und anmutig. Alte Begriffe, viel zu selten verwendet. Beides Wörter, die auf Milica Jovanović zutreffen. Auch dann, wenn es später Nachmittag ist und der Publikumsliebling noch nicht ganz auf Betriebstemperatur scheint. Sechsmal hat die gebürtige Deutsche, die in Niederösterreich lebt, die Carlotta Giudicelli im „Phantom“ gespielt. Nur in der vergangenen Woche, wohlgemerkt.

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Wie schafft man das? „Mit Mut. Vor allem für die Koloraturen muss ich auf den Zug springen. Ich habe meine Rituale. Es braucht mentale Stärke, daher meditiere ich. Ich arbeite einmal die Woche mit meiner Stimmlehrerin, um auf dem Pfad zu bleiben – denn im En-suite-Betrieb schleichen sich leicht Dinge ein, die auf Dauer nicht gesund sein könnten.“

Milica Jovanović lächelt und setzt nach: „Aber was mich wirklich jeden Abend motiviert, ist diese große Musik. Wenn ich das Hauptthema in der Ouvertüre höre, dann habe ich nur Lust, rauszugehen. Diese Musik ist so wunderschön komponiert, und das ‚Phantom‘ hat eine ganz große Geschichte, der man sich nicht entziehen kann.“ Und: „Ich mache den Job zwar schon sehr lange, aber ich werde nicht müde. Ich möchte nur auf der Bühne sein und singen. Das ist es, was mich glücklich macht.“

Musik als Lebenskraft

Sie macht eine kleine Pause, lächelt, das wiederum macht den Zuhörer glücklich, und sie setzt fort: „Ich identifiziere mich derart mit meiner Arbeit und meiner Stimme, dass ich sofort mit allem hadere, wenn etwas nicht so gut läuft, weil ich nicht wüsste, wie ich dieses Glück, das ich auf der Bühne spüre, generieren könnte. Ich brauche dieses Leben!“

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Carlotta Giudicelli, ihre Rolle, ist ein Star der Pariser Oper, und sie hat ein Problem: In ihrer Gegenwart passieren Unfälle. Sie fühlt sich nicht mehr sicher. Der Grund: Das Phantom liebt die jüngere Christine und will, dass sie singt. Salopp gesagt: Es ist Mobbing, das total eskaliert. Aber ohne Fallhöhe und Drama im Stück wäre es auch kein so großer Welthit geworden.

Milica Jovanović
Milica Jovanović in „Das Phantom der Oper“. Die Rolle: Die Sopranistin Carlotta Giudicelli, Star der Pariser Oper, wird vom Phantom recht rüde gemobbt, weil es sich in eine jüngere Sängerin verliebt hat.

Foto: Deen van Meer/ VBW

Aufgewachsen ist Milica Jovanović in Recklinghausen. Ihre Eltern stammten aus dem ehemaligen Jugoslawien, ihr Vater wollte auch Schauspieler werden, wurde dann aber Arzt. Die Tochter setzt den Traum um. Sie lernt als Kind Geige („Ich habe mit meiner Schwester in einem Swing-Orchester gespielt“), später nimmt sie an Gesangswettbewerben teil. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt, wo es ging. Ich hatte eine Vorstellung in München, und in der Nacht haben sie mich dann weiter nach Klagenfurt zu einem Wettbewerb gefahren, und ich habe am Rücksitz geschlafen.“

Jovanović studiert in München und startet ihre Karriere am Gärtnerplatztheater: mit Musical, Operette und auch Oper – etwa als Papagena, als Eliza.

„Ich habe die Zeit dort sehr genossen, wurde von meinen erfahreneren Kolleg*innen durchgetragen – danach habe ich mich aber nur mehr für Musicals beworben.“

Champions League VBW

Sie spielt, tanzt und singt sich durch die großen Hits: „Evita“, „Les Misérables“, „Mary Poppins“, „Sunset Boulevard“, „Schikaneder“, „Mamma Mia!“, „Liebe stirbt nie“, „Der kleine Horrorladen“...

Musical wird mit Verstärkung gesungen – also mit Mikro. Eine eigene Sportart des Gesangs, trickreich aus vielerlei Gründen, aber auch mit vielen Vorteilen: „Beim Musical kann ich eine Person direkt ansingen, ohne darauf zu achten, dass mein Mund immer in Richtung Publikum schaut, weil ich ja verstärkt bin, und ich kann viel stärker in die Emotion gehen und feiner singen – eben weil es immer gehört wird. Und das Mikro hilft uns, dass wir das immense Arbeitspensum leichter schaffen. Es ist gesünder so.“

Mitunter diskutieren wir bei der BÜHNE mit Leser*innen, die Musical nicht auf künstlerischer Augenhöhe mit der Oper sehen. Die Überzeugung gelingt, aber warum ist das so?

„Musical hat in Europa eine andere Tradition als in Amerika, wo es historisch schon viel länger existiert und von Anfang an als eigenständige Kunstform mit dem gleichen Stellenwert wie Oper oder Schauspiel anerkannt wurde. Dort beginnt die Ausbildung oft schon im Kindesalter, mit einer starken Verbindung von Gesang, Tanz und Schauspiel. Im deutschsprachigen Raum hat sich das Musical erst später etabliert, und deshalb war es hier anfangs vielleicht nicht auf demselben Niveau angesehen. Es hat sich aber viel verändert. Vor allem auch durch die Arbeit der Vereinigten Bühnen Wien, die durch viele Uraufführungen eine eigene, hochwertige Musicalkultur entwickeln konnten. Was hier in Wien passiert, ist die Champions League. Das Orchester ist großartig – so etwas gibt es in dieser Größe nirgends auf der Welt. Die Maske, die Kostüme, all das ist hochprofessionell – und offensichtlich sieht das unser Publikum auch so und kommt ...“ Milica Jovanović lacht.

Die Liebe zur Volksoper

Macht einen der Stress eigentlich manchmal auch krank?

„Ich hatte vergangenes Jahr eine Phase, da klang meine Stimme müde, ich habe trotzdem weitergesungen. Das war nicht so schlau. Ich habe dann zwei Wochen Pause gemacht, und dann ging es wieder, und alles war und ist wieder gut.“

Es ist spät. Milica Jovanović muss sich einsingen gehen. Schade.

Was wäre eigentlich ein Traum für die Zukunft? Sie lächelt: „Hier weitersingen! Oder einmal ins Ensemble der Volksoper. Ich liebe das Programm, ich liebe das Haus!“ Na ja, das sollte eigentlich kein Problem sein. Wir rufen schon mal Lotte de Beer an ...

Aber jetzt heißt es noch Carlotta!

Milica Jovanović
Dieses BÜHNE-Foto entstand im Foyer des Raimund Theaters.

Foto: Stefan Fürtbauer

Hier zu den Spielterminen von Phantom der Oper!