Der Meister selbst soll mit der Wahl zufrieden sein. Der Abt des Bernhardianer-Ordens Claus Peymann empfindet dem Vernehmen nach Frank Castorf als „erste Liga“ (also seine), so jedenfalls der Gossip aus der Josefstadt-Kantine. Herbert Föttinger beweist ja schon zum dritten Mal Nerven aus Stahl, indem er dem „Theaterberserker“ (Bernhard über Peymann) immer wieder sein Haus anvertraut, zuletzt mit einem sehr gediegenen „Warten auf Godot“. Und das kann, wie alle Theateratis in dieser Stadt wissen, für die gesamte Mannschaft megaanstrengend sein.

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Die Boomer-plus-Generation wird sich noch mit wohligen Schauern daran erinnern: Als Thomas Bernhard vom damaligen Burgtheater-Direktor Peymann den Auftrag bekam, ein Stück zum 50. Bedenkjahr des Anschlusses zu schreiben, zögerte er zuerst und schlug stattdessen eine Aktion vor, die Schaufenster der Läden mit Plakaten mit der Aufschrift „Dieses Geschäft ist judenfrei“ zu überkleben. Damals stand die Republik in vorauseilender Hysterie kopf.

Ständig wurde das Stück in der Folge in irgendwelchen Taxis vergessen, rechtslastige Whistleblower verfütterten die ärgsten Passagen des „Nestbeschmutzer“-Dramas an die „Kronen Zeitung“, und vor allem die, die nie auch nur eine Zehenspitze in das Burgtheater setzten, hatten die größten Schaumwolken um die Mundpartie. Wie auch, wie Studien belegen, in Österreich die aufgeregtesten Antisemiten dort leben, wo die jüdische Bevölkerung am geringsten oder gar nicht vorhanden ist.

Kein Schock für Bernhard

Tatsächlich gestaltete sich die „Heldenplatz“-Premiere Anfang November 1988 vergleichsweise harmlos, in den tobenden Applaus mischten sich Buhrufe vom Stehplatz, getätigt von schmissigen Verbindungs-Junkern, angeführt vom Ibiza-Touristen HC Strache. Dass dieser Stehplatz-Gröler später einmal Vizekanzler der Republik werden sollte, hätte den diabolischen Bernhard wahrscheinlich weniger schockiert, als mit einer amüsierten Genugtuung erfüllt, Marke „Hab ich’s euch nicht schon immer gesagt? Was soll man da noch groß beschmutzen? Dieses sogenannte Nest ist naturgemäß bereits völlig verroht und verrottet, durchsetzt von Nazi-Gesindel, schon lange vor den Nazis, diese sogenannte Kulturnation schon immer durch und durch hinterhältig, heimtückisch und völlig verroht und verrottet gewesen …“

Damals, in einem von Jörg-Haider- und Kurt-Waldheim-Parteiergreifern aufgeheizten Land, wie heute, wo die Bevölkerungsaustausch-Paranoiker sich sukzessive ins Herz der Bevölkerung keppeln, zielt die rechte Kulturkritik hämisch darauf ab, dass die geförderte Kunst einer liberal versauten Elite vorbehalten ist und die Kunst- und Kulturpfründen von einem „Spinnennetz der Linken“, wie das einmal eine FPÖ-Kultursprecherin formuliert hat, überzogen sind.

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So gesehen kommt Castorf gerade zu der Rechten Zeit, denn inzwischen hat „Heldenplatz“ vom Aufregungsfaktor her ein wenig Patina angelegt, und es ist, man darf es nur flüstern, nicht unbedingt Bernhards bestes Stück. Die genialische Wut, die wir aus „Ritter, Dene,Voss“, „Der Theatermacher“ oder „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ kennen, kommt in „Heldenplatz“ etwas schaumgebremst daher. Deswegen ist es die ideale Entscheidung, dieses Drama dem alten weißen Wilden Castorf zum Fraß vorzuwerfen. Keine Gefahr von biederer Psychologisierung. Und ein Miniskandälchen würde uns alle ein wenig glücklich machen. Und Nostalgiegefühle aufkommen lassen für jene Zeiten, als vor Burg-Premieren eine brodelnde Stimmung, nicht unähnlich einem Ländermatch, im Zuschauerraum herrschte.