Monteverdi Superstar
Der Krieg und die Liebe. Lautenist David Bergmüller und Regisseur Olivier Fredj verdichten Claudio Monteverdis ewig gültige Themen zum permanenten Loop. „Combattimenti“ – ein emotionales Ereignis.
Seit 400 Jahren modern. Ein Stück, das 1624 uraufgeführt wurde, muss wohl von zeitloser Qualität sein, wenn man es heute noch relevant findet und hören will. Monteverdis „Il combattimento di Tancredi e Clorinda“ ist ein solch seltenes Beispiel. Es bildet den dramatischen Höhepunkt des achten Madrigalbuches, dessen Gesänge um Krieg und Liebe kreisen. Dabei geht es um die tragische Geschichte von Clorinda, die in Männerrüstung gegen den Kreuzritter Tancredi, den sie eigentlich liebt, in den Kampf zieht. Am Ende der Schlacht ist einer der beiden Kontrahenten tot.
David Bergmüller, international gefragter Lautenist – aus Tirol stammend, in Wien lebend –, und der französisch-britische Regisseur Olivier Fredj wurden vom Theater an der Wien miteinander bekannt gemacht, um Monteverdi zeitgemäße Ausdruckskraft zu verleihen. In intensivem Austausch erarbeiteten die beiden das Musiktheaterprojekt „Combattimenti“, mit dem die Kammeroper die neue Saison eröffnen wird.
„Wir machen aus Monteverdis ‚Il combattimento‘, das nur 20 Minuten dauert und Teil eines Programms war, einen ganzen Abend“, erklärt David Bergmüller, der sein Debüt als musikalischer Leiter geben wird. „Im Grunde erzählen wir die Geschichte von Clorinda und Tancredi, verwenden dabei aber auch andere Kompositionen von Monteverdi und kreieren so etwas Neues.“ Zum Zeitpunkt des Interviews befand sich das Stück noch im regen Aufbau.
„Wir arbeiten wirklich Hand in Hand“, so Olivier Fredj. „Das heißt, jede Note sollte eine Auswirkung auf die Inszenierung haben und umgekehrt. Mich hat die Thematik von Krieg und Liebe in ihrer zeitgeschichtlichen Kontinuität sofort fasziniert. Es ist eine endlose Wiederholung – die Liebe endet und fängt wieder an, der Krieg endet und beginnt von Neuem.“ So wird es auch auf der Bühne sein. „Eine Art Repetition desselben innerhalb jener unterschiedlichen Referenzcodes, die wir in der Musik- und Bühnengeschichte haben.“
Zur Person: David Bergmüller
begann mit acht Jahren Gitarre zu spielen und entdeckte während seiner Ausbildung am Tiroler Landeskonservatorium die Laute für sich. Heute zählt er international zu den gefragtesten Lautenisten und gilt als feinsinniger Interpret Alter Musik, aber auch von zeitgenössischer und elektronischer Musik. Er schafft als Komponist einen außergewöhnlichen Klangkosmos, wovon eine umfangreiche Diskografie zeugt, und unterrichtet seit 2023 an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.
Man werde sicherlich keine aktuellen politischen Bezüge herstellen, erläutert David Bergmüller, man spiele allerdings klar darauf an, dass der Krieg eine immense Anziehungskraft ausübe.„Der Mensch verliert nie die Freude daran, und dieses repetitive Element findet sowohl in der Inszenierung als auch in der Musik seinen Ausdruck. Wir wiederholen Teile von ‚Il combattimento‘ und lassen immer wieder die kriegerische Vorfreude erklingen. Stets aus einer anderen Perspektive, von einem anderen Sänger gesungen, anders instrumentiert, unterschiedlich inszeniert, aber das Elend der Menschheit, die immer wieder dem Krieg verfällt, bleibt bestehen. Monteverdis Musik ist zeitlos. Er hatte den Anspruch, Emotionen direkt zu vermitteln, den Text musikalisch auszudrücken. Das hat damals die Leute berührt und tut es noch heute. Es ist kein Klangbad, kein instrumentales Virtuosenfest, sondern im Vordergrund steht das Wort. Ihm ist alles andere untergeordnet“, so David Bergmüller.
Natürliche Entwicklung
Für ihn sei die musikalische Leitung, die er diesfalls zum ersten Mal übernimmt, ein organischer Schritt. „Ich mache kein Ausdrucksdirigat, denn das ist eine hohe Kunst, vor der ich größten Respekt habe. Zu Zeiten Monteverdis waren die Dirigenten oftmals einfach die Taktschläger, das konnte auch ein Primussänger sein. In der Barockoper ist es nicht selten, dass der Dirigent zugleich auch der Cembalist ist. Und auch ich werde Laute spielen und den Tactus schlagen.“ Oder besser gesagt werde er die Laute zwicken, wie er erklärt. „Dadurch kann man zwei oder mehr Saiten gleichzeitig spielen.“
Im Sinne von Genre ist bei mir jede Musik gleichberechtigt, im Sinne von Qualität und ästhetischem Anspruch gibt es natürlich Bevorzugungen.
David Bergmüller, Lautenist und musikalischer Leiter
Er sei ganz sicher kein Historizist, den das Museale inspiriert, ihn fasziniere an diesem Instrument, das in der Renaissance seine Hochblüte erlebte, schlicht der Klang. Sein Repertoire erstreckt sich dementsprechend auch von Alter Musik bis hin zu elektronischen Sounds, wobei viele der auf Tonträgern konservierten Kompositionen vom Musiker selbst stammen. „Im Sinne von Genre ist bei mir jede Musik gleichberechtigt, im Sinne von Qualität und ästhetischem Anspruch gibt es natürlich Bevorzugungen.“
Wie kommt ein junger Mann überhaupt zu diesem verhältnismäßig seltenen Instrument? „Ich war als Teenager klassischer Gitarrist und habe auch E-Gitarre gespielt. Der Vater eines Schulfreunds hat mich im Rahmen eines Projekts gefragt, ob ich nicht eine Laute ausprobieren wolle. Ich habe dann sehr schnell und vehement beschlossen, dass ich dieses Instrument erlernen möchte.“
Als Lautenist tritt David Bergmüller solo, im Duo oder mit Orchester auf. Für „Combattimenti“ hat er extra ein neues Ensemble gegründet. Es heißt Proxima D – „Der Name bezieht sich auf einen kürzlich entdeckten Exoplaneten im nächsten Sonnensystem“ – und soll ebenso neue Wege gehen wie das ganze Projekt selbst. Man kann den Ausnahmemusiker am 25.Oktober auch in der „Hölle“ des wiedereröffneten Theaters an der Wien erleben, wo er sich gemeinsam mit Klarinettist David Orlowsky und dem Programm „Alter Ego“ auf eine Reise in tatsächlich unerforschte Klangwelten begeben wird, denn die Kombination von Laute und Klarinette kennt keine historischen Vorbilder.
Aus dem Leben gegriffen
Olivier Fredj inszenierte 2019 „Der Freischütz“ halbszenisch am Theater an der Wien und streut dem Haus Rosen. „Hier habe ich viele Stücke genau so gesehen, wie ich sie sehen möchte: mit einem starken Bekenntnis zur Musik und zur inhaltlichen Basis, aber auch mit einer modernen Lesart davon. Ein Theater, das keine musealen Stücke produziert – und ich denke, in der heutigen Welt ist es mehr als notwendig, die Oper als lebendige Kunst zu begreifen und zu verteidigen.“
Der in Paris geborene Regisseur studierte englische Literatur, koordinierte Bildungs- und Sozialprojekte und arbeitete als Kulturjournalist, ehe er quasi auf Umwegen zurück zum Theater kam.
„Denn dort hat für mich alles begonnen, ich habe als Teenager Gesangsunterricht genommen und klassische Gitarre gespielt. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass alle anderen besser waren als ich, und habe aufgehört. Bis man mir als Kulturjournalist eines Tages eine Regieassistenz angeboten hat.“ Es wurden mehrere daraus – und schließlich die erste eigene Inszenierung.
Niemand möchte ins Gefängnis. Aber wenn man einmal in einem sein muss, schöpft man daraus Erfahrungen, die man mit dem Publikum teilen kann.
Olivier Fredj, Regisseur
Seit 2015 ist er als freischaffender Regisseur vor allem in Europa tätig. „Immer mit dem Fokus auf Musiktheater.“ Neben diesen beauftragten Inszenierungen leitet er aber auch seine eigene Company „Paradox Palace“. Dabei entwickelt er einmal pro Jahr Produktionen mit tatsächlich existierenden Personen vor deren ebenfalls realem sozialem Hintergrund. Die Aufführungen können in Krankenhäusern ebenso stattfinden wie in Gefängnissen. „Ich kritisiere kein Projekt, das sich zum Beispiel mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt, aber meist ist es doch so, dass damit Leute angesprochen werden, die ohnehin konform gehen mit dem, was sie auf der Bühne sehen. Es macht für mich einen Unterschied, ob ich Menschen zu Wort kommen lasse, die das, was sie darstellen, auch erlebt haben. Niemand möchte ins Gefängnis. Aber wenn man einmal in einem sein muss, schöpft man daraus Erfahrungen, die man mit dem Publikum teilen kann. Man kann es also in etwas Positives verwandeln. Der andere Aspekt ist, dass man Menschen mit Kultur in Verbindung bringt, denen kaum Gehör geschenkt wird. Das hat direkte Auswirkungen.“
Bei einem der Theaterprojekte wurden Unternehmer, die auf Personalsuche waren, eingeladen, sich eine Vorstellung mit Inhaftierten anzuschauen. „Wenn man jemanden auf der Bühne sieht, erkennt man unterschiedliche Qualitäten in dieser Person, die man bei einem Gefängnisbesuch nicht ausmachen würde. Wir haben mit den zuständigen Richtern ausgehandelt, dass die Häftlinge entlassen werden, wenn sie ein Arbeitsangebot hätten. Und so ist es auch geschehen. Wir haben es geschafft, dass zwanzig Personen das Gefängnis vorzeitig – und mit einem sicheren Arbeitsplatz – verlassen haben. Das hatte also einen unmittelbaren Effekt auf ihr Leben.“ Zuletzt inszenierte Olivier Fredj „L’Orfeo“ beim Monteverdi Festival in Cremona sowie „Bastarda“ und „Macbeth“ am Brüsseler Opernhaus La Monnaie. „Combattimenti“ ist seine zehnte eigenständige Opernregie.
Zur Person: Olivier Fredj
studierte englische Literatur, koordinierte soziale Projekte und publizierte als Kulturjournalist, ehe er als Regieassistent zur Oper kam. Er kooperierte mit Regisseuren wie Robert Carsen oder Simon McBurney und begann vor neun Jahren selbst zu inszenieren. Seit 2019 produziert er – neben seinen Regie-Engagements – mit seiner Kompanie „Paradox Palace“ jährlich ein soziales Musiktheaterprojekt in Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Gefängnissen und ist auch als Autor aktiv.
Komprimierte Atmosphäre
Welche Auswirkungen hat der intime Rahmen der Kammeroper auf das Werk? „Wir kehren damit zurück an jenen Ort, für den Monteverdi ‚Il combattimento‘ geschrieben hat: in den Ballsaal. Denn es wurde in einem solchen zum Karneval in Venedig uraufgeführt, und auch die Kammeroper war früher ein Ballsaal (des Hotels Post, Anm.). Der Kontakt zum Publikum ist viel direkter als in einem großen Theater“, so Olivier Fredj. David Bergmüller freut sich, dadurch Intimität und Subtilität erzeugen zu können. „Wir werden dennoch mit akustischen Hilfsmitteln wie Mikrofonen und Verstärkern arbeiten, denn wir müssen leise spielen dürfen und können. Ich will, dass man die ästhetischen Feinheiten einer Laute oder einer Geige auch noch in der letzten Reihe hört.“