Hello, Covent Garden. WhatsApp sei Dank. Kristina Mkhitaryan sitzt bestens gelaunt in einem Apartment nahe des Royal Opera House, wo sie am Vorabend des Interviews Tatjana in „Eugen Onegin“ gesungen hat. Eine ihrer „Wohlfühlrollen“, wie sie sagt. Solche wechsle sie aus Rücksichtnahme auf ihre Stimme immer wieder mit vokalen Kalibern wie Violetta in „La Traviata“ ab – eine Partie, die ihre Karriere nachhaltig beförderte.

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Nun steht in Wien ein weiterer Marathon für Sopranistinnen auf ihrem Spielplan. Zum ersten Mal im Übrigen. Sie wird in Massenets „Manon“ – 2007 von Andrei Serban mit Anna Netrebko in der Titelrolle inszeniert und später u.a. von Patricia Petibon und Pretty Yende gesungen – ihr Debüt geben. „Eine große, schwierige Aufgabe, von der ich aber seit Langem träume“, erklärt Kristina Mkhitaryan. Da sie nicht Französisch spricht, müsse sie sich jedes Wort phonetisch einprägen. „Und drei Tage später hat man alles wieder vergessen. Aber ich arbeite intensiv daran, weil man den Text verstehen muss, um seine unterschiedlichen Nuancen ausdrücken zu können.“

Wie lange beschäftigt sie sich bereits mit der Rolle? „Seit drei Jahren“, kommt die überraschende Antwort, begleitet von einem hochinfektiösen Lachen. „Ich wusste immer, dass ich diese Oper eines Tages machen würde, und wollte gut darauf vorbereitet sein.“ Das Schöne und zugleich Tückische an Manon sei ihre entlang der Handlung zu bewältigende vokale Reise. „Anfänglich dazu bestimmt, ins Kloster zu gehen, was sie allerdings nicht will, ist sie sehr naiv, wofür man eine eigene Farbe finden muss. Später, während sie in Paris ein Luxusleben führt, ist die Energie sexuell aufgeladen, und am Ende, als sie eine geläuterte, gebrochene Frau ist, wird es richtig dramatisch.“

Jules Massenet habe viele Notizen mit genauen Anweisungen hinterlassen. „In einer beschreibt er seine ideale Manon. Diese habe eine reiche, dunkle Farbe im mittleren Bereich sowie in den tiefen Tönen und klinge in den hohen Noten wie Champagner.“ Das gelte es umzusetzen.

Frühkindliche Prägung

„Ich habe mit drei Jahren zu singen begonnen“, rekapituliert Kristina Mkhitaryan ihre Anfänge. „Damals habe ich im Fernsehen ein Konzert gesehen, das Montserrat Caballé gemeinsam mit ihrer Tochter gab, und war so begeistert, dass ich meiner Mutter sagte, dass ich eines Tages genau so singen wollte. Ich fand diese Frau unglaublich schön, sie kam mir wie eine Königin vor. Ab diesem Zeitpunkt hat es für mich keine berufliche Alternative mehr gegeben.“

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In Wien konnte sie das Publikum bereits in mehreren großen Partien erleben. Sie war Adinain „L’elisir d’amore“, Violetta in „La Traviata“, sang 2023 die Liù in der Premiere von Claus Guths „Turandot“-Inszenierung und glänzte heuer im April als Micaëla in „Carmen“. „Ich liebe Wien, weil die Menschen hier die Oper so sehr schätzen. Sie warten am Bühneneingang auf uns Sängerinnen und Sänger, was mir enorm viel gibt, denn wir singen schließlich fürs Publikum. Sonst könnte ich auch in meinem Badezimmer auftreten. Als Sängerin hat man die Möglichkeit, den Menschen Energie und Emotionen zu schenken. Dafür arbeiten wir. Und in Wien wird das honoriert.“

Staatsoper

Am Ende landet doch alles in der Mülltonne

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Wenn man sich ihren Terminplan ansieht, wird einem schwindlig. Wie schafft man es, ständig zu reisen und sich an neue Umgebungen zu gewöhnen? „Für mich ist das viel einfacher, als zu Hause zu sein“, wird das Lachen nun schallend.

„Ich habe zwei kleine Kinder, zwei und drei Jahre alt. Wenn eine Probe vorbei ist und mir meine Kollegen erklären, wie fertig sie sind, weiß ich, dass für mich die Arbeit erst beginnt.“

Internationales Dahinscheiden

In einem Interview mit dem englischen „Telegraph“ beschrieb sie ihren Job folgendermaßen: „Ich habe Glück, denn ich darf auf der ganzen Welt sterben.“ Wohltuender Witz in einer als hyperseriös geltenden Branche.

„Ich bin mehr der unkomplizierte Typ, der sich mit seinen Kollegen gut versteht und viele Sopranistinnen im Freundeskreis hat. Generell denke ich, wir sollten alle viel offener sein. Die Zeit der Diven ist Geschichte. Lass uns Kunst machen und etwas Schönes kreieren, anstatt zu viel über uns selbst nachzudenken. Die großartigsten Sängerinnen haben in der Regel keine Starallüren. Wir sind ganz normale Menschen. Im realen Leben liebe ich es, zu kochen und meine Wohnung selbst zu putzen.“

Sollte es mit der Karriere eines Tages weniger gut klappen, wäre das für Kristina Mkhitaryan kein Grund, in Depressionen zu verfallen. „Dann wäre ich sicher nicht die unglücklichste Person auf diesem Planeten, sondern würde einen anderen Job finden und den sehr gut machen. Man lebt schließlich nur einmal.“

Hier die Spieltermine Manon in der Wiener Staatsoper!