Affe, Katze, Teufel und Kasperl
Angelehnt an die Volkstheater-Kampagne der vergangenen Spielzeit könnte man über Elias Eilinghoff sagen: Er hat ein Abo auf absolute Verausgabung. Warum er sich dennoch manchmal selbst im Weg steht? Wir haben ihn im Wiener Prater getroffen.
Um herauszufinden, wie es sich anfühlt, im Wagen einer ratternden Achterbahn durch einen Looping zu brettern – nicht sicher, ob der Gurt zu hundert Prozent hält –, braucht Volkstheater-Schauspieler Elias Eilinghoff im Grunde gar keinen Abstecher in den Wiener Prater zu machen.
Die wilde Fahrt mitten ins Herz der viel beschworenen Wiener Theatervernarrtheit, die er seit seinem Umzug von München nach Wien hingelegt hat, dürfte wohl ähnliche Gefühle ausgelöst haben. Sich ein wenig durch diese scheinbar zeitlose Welt treiben zu lassen lohnt sich trotzdem – auch deshalb, weil die Geschichte des Volkstheaters und jene des Wiener Wurstelpraters eng miteinander verwoben sind. So verdankt Letzterer seinen Namen dem Hanswurst, einer der zentralen Figuren des historischen Wiener Volkstheaters.
Weitere Parallelen tun sich auf: Wie am Beginn eines langen Probenprozesses weiß man auch beim Passieren des großen „Herrrreinspaziert!“-Schildes am Eingang des Wurstelpraters nie ganz genau, wo und in welchem Zustand man am Ende wieder aus der Sache herauskommt. Sicher ist: Sowohl dem Prater als auch dem Theater wohnt ein großes Potenzial inne, die Welt für ein paar Momente auf den Kopf zu stellen. Und sei es auch nur für die Dauer eines Loopings.
Wie im Rausch
Geschwindigkeitsräusche versprechende Fahrgeschäfte lassen wir an diesem ungewöhnlich warmen Oktobertag jedoch aus. Bei all den überaus temporeichen Stücken, die Elias Eilinghoff zurzeit zu spielen hat, bekommt er derlei Rauschzustände ohnehin mehrmals die Woche frei Haus mitgeliefert. „Es gibt Stücke, bei denen man gar nicht die Zeit hat, darüber nachzudenken, ob man das nun gut oder schlecht macht, sondern in eine Art von Rauschzustand hineinkommt“, erklärt der fast zwei Meter große Schauspieler. Der vielfach ausgezeichnete Theaterabend „humanistää!“ ist beispielsweise so ein Stück.
Gerade ist kein einziger Abend dabei, bei dem ich mir denke, dass ich den mal eben locker wegspielen kann.
Aktuell ist Elias Eilinghoff auch in der Ingmar-Bergman-Adaption „Szenen einer Ehe“ zu sehen. Seine Darstellung des Johan wurde mit einer Nestroy-Nominierung in der Kategorie „Bester Schauspieler“ bedacht. „Ich bin überglücklich, weil das eine besondere Arbeit für mich war und mir die Nominierung noch mehr das Gefühl gibt, hier in Wien richtig zu sein“, hält der Schauspieler fest und fügt hinzu, dass der Preis, sollte er ihn bekommen, auf jeden Fall auch die Leistung seiner Spielpartnerin Bettina Lieder mit einschließt. „Ich finde, sie hätte das mindestens genauso verdient wie ich“, bringt er es auf den Punkt.
Warum das so eine besondere Produktion für ihn war? Er überlegt einen Moment lang und antwortet: „Markus (Öhrn, Regisseur; Anm.) hat uns von der ersten Sekunde an total ernstgenommen und uns stets in dem bestärkt, was wir tun.“ Obwohl der schwedische Künstler mit einem sehr klaren konzeptuellen Überbau nach Wien kam, der auch Masken, verzerrte Stimmen und eine sehr explizite Bildsprache inkludierte, hatte Elias Eilinghoff nie das Gefühl, sich verbiegen zu müssen, um in dieses Konzept zu passen. „Ich habe mich innerhalb dieser Form sehr schnell frei gefühlt. Außerdem finde ich es toll, dass das Stück Themen behandelt, die uns alle betreffen. Wie bei all den großen Theaterstoffen geht es um Liebe, Beziehung, Trennung und Schmerz.“
Der Teufel steckt im Detail
Liebe spielt auch in „Der Diener zweier Herren“ eine zentrale Rolle, jenem Stück, das Eilinghoff gerade probt. Das Goldoni-Stück ist der Commedia dell’arte zuzuordnen, womit einhergeht, dass es verschiedene Maskentypen gibt, deren genau festgelegte Bewegungsmuster häufig an Tiere angelehnt sind. Im Fall des Dieners, den Eilinghoff verkörpert, ist es eine Mischung aus Katze und Affe. „Dadurch geht man in eine totale Körperlichkeit hinein und muss wahnsinnig exzessiv spielen. Im Laufe der Inszenierung befreien sich die Figuren jedoch ein Stück weit aus ihren jeweiligen Formen“, so Eilinghoff. Im Diener stecke zusätzlich zum listenreichen Kasperl außerdem etwas Teuflisches, fügt der Schauspieler lachend hinzu.
Der Teufel steckt jedoch nicht nur im kasperlnden Diener, sondern bei Elias Eilinghoff oft auch im Detail. Perfektionismus ist ein Thema, das den Schauspieler schon lange begleitet. „Das ist für den Beruf so lange gut, bis man beginnt, sich selbst im Weg zu stehen. Ich bin schon sehr streng mit mir selbst und versuche, etwas mehr loszulassen.“ Um in einer Arbeit Freiheit empfinden zu können, ist es dem Schauspieler wichtig, zunächst alles in den Körper zu bekommen. „Je sicherer ich werde, desto größer wird die Lust und desto freier fühle ich mich.“
Bettina Lieder: Alles im Fluss
Egal wie stark die Strömung der jeweiligen Wortmeere ist, Bettina Lieder hält nicht nur den Kopf über Wasser, sie lenkt die blubbernden Buchstabenfluten auch noch in geordnete Bahnen. Ihren Perfektionismus würde sie gerne ein wenig loslassen, das Theater dafür nie mehr. Weiterlesen...
Auf der Bühne aus Normen auszubrechen, sich stark zu verwandeln und durch körperliche Verausgabung in jenen Rauschzustand zu kommen, den man sich ansonsten vielleicht auch noch in einer Achterbahn abholen könnte, sei zwar unglaublich reizvoll, dennoch hätte Elias Eilinghoff auch einmal Lust, eine Arbeit zu machen, die mehr aus der Ruhe kommt.
„Ich sage bewusst nicht ‚ernsthaft‘, weil für mich immer alles alles ist. Es gibt nicht nur den, der Quatsch macht, und auch nicht den, der ausschließlich böse ist“, so der Schauspieler, dessen ruhige und zuhörende Art im ersten Moment gar nicht vermuten lässt, dass er auf der Theaterbühne Teufel, Kasperl, Affe und Katze auf einmal sein kann.