Volkstheater: „Es war sehr schön, für Sie zu spielen!“
„Ich hab ein Abo auf was Fixes“, lautete einer der Kampagnensprüche des Volkstheaters. Doch wer die Theaterwelt ein wenig kennt, weiß: Nix ist fix. Daher stehen auch am Volkstheater die Zeichen auf Neuanfang. Vorher haben wir das Ensemble noch um ein Resümee gebeten.

Foto: Marcel Urlaub
„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, so die wohl bekannteste Zeile eines sonst eher unbekannten Schlagersongs. Das bedeutet: Auch die Intendanz von Kay Voges am Wiener Volkstheater hat ein Ende. Vielleicht lässt sich daraus aber auch ableiten: Dass dieses Ende immer näher rückt, ist niemandem in der Stadt so richtig wurscht.
Am allerwenigsten natürlich den Ensemblemitgliedern des Volkstheaters, von denen einige die Stadt verlassen werden. Ob nun die Wehmut oder doch die Vorfreude auf neue Herausforderungen überwiegt, beantwortet Schauspielerin Anke Zillich auf folgende Weise: „Ich liebe Wien und habe unglaublich gerne auf dieser Bühne gestanden und gespielt. Aber ich möchte keinen anderen Intendanten mehr als Kay. Also werde ich Wien als Schauspielerin verlassen, aber nicht als Mensch. Meine Wohnung gebe ich erst einmal nicht ab.“
Nick Romeo Reimann formuliert seine gegenwärtige emotionale Situation so: „Ich freue mich so, dass es ein bisschen wehtut. Das trifft es am besten!“
Ins Gelingen verliebt sein
„Lasst uns ins Gelingen verliebt sein!“, lautete eines der Credos des schon bald gen Köln davongaloppierenden Intendanten. Geht es nach Evi Kehrstephan, ist in den vergangenen fünf Jahren eine Sache definitiv gelungen – „dass ein unfassbar junges, diverses, neugieriges und offenes Publikum ins Volkstheater gekommen ist.“
Birgit Unterweger, die in ihrer relativ kurzen Zeit am Volkstheater in vielen Inszenierungen zu sehen war, hat das Volkstheater stets als höchst demokratischen Ort wahrgenommen – „als einen Ort, an dem mit Kay Voges als künstlerischem Leiter in besten Fall Kunst entstehen konnte – immer im Austausch und auf Augenhöhe mit den Künstler*innen“.

Foto: Marcel Urlaub
Anke Zillich fällt allerdings auch eine Sache ein, die weniger gut gelaufen ist: „Die Klimaanlage hat nie menschenfreundlich funktioniert. Ich hatte oft die Vision, die Konstrukteure leicht bekleidet am Portal zu fixieren und sie einige Stunden in diesem eiskalten Gebläse verweilen zu lassen. Ein idealer Ort für Frischfisch, aber nicht für Schauspieler*innen!“
Wenn es darum geht, welche Momente für immer untrennbar mit dem Volkstheater verbunden bleiben werden, taucht vor Andreas Becks innerem Auge sofort die folgende Szene auf: „Als Claus Peymann nach einer Vorstellung von ‚Die Politiker‘ vor meiner Garderobe stand und sagte, dass wir alles falsch gemacht haben, aber gut. Es ist nicht selbstverständlich, dass Theatermacher so freundlich miteinander umgehen.Das ist wahrscheinlich nur in Wien möglich.“
Christoph Schüchner erinnert sich immer noch gerne an den für ihn lustigsten Applaus zurück: „Das war nach einer Vorstellung von ‚Die Rechnung‘. Frank Genser und ich sprechen unsere letzten Sätze, das Licht fadet behutsam aus, wir drehen langsam dem Publikum den Rücken zu, Frank sagt wie immer sein abschließendes: ‚Auf Wiedersehen! Und viel Glück ...‘ Stille. Black. Und aus der dritten Reihe kommt lautstark: ‚Sooo eiiin Scheeeiiißßß!‘ Stille. Licht. Dann wilder Applaus und Bravos. Nur in der dritten Reihe ein Mann mit verschränkten Armen, der weiterhin fassungslos den Kopf schüttelt...“

Foto: Marcel Urlaub
Die Frage danach, welche Arbeit sie am allermeisten wachsen ließ, nimmt Schauspielerin Anna Rieser wörtlich: „Die Produktion ‚In den Alpen // Après les Alpes‘, da hatte ich als Berg sehr hohe Schuhe an. Ich war bestimmt 20 Zentimeter größer.“
Für Irem Gökçen war es eindeutig das Studiojahr, weil es ihr Mut, Kraft und Präzision gegeben hat.
Die häufig hervorgehobene Stärke des spielfreudigen Volkstheater-Ensembles lag für Anna Rieser unter anderem in seiner Uneitelkeit. „Für uns alle war das gemeinsame Verbeugen am Ende der Vorstellung – und somit der Verzicht auf Einzelapplaus – ein Zeichen von Teamsport und Uneitelkeit“, hält die Schauspielerin fest.
„Jeder passt auf den anderen auf. Der Star ist das Ensemble und nicht der Einzelne“, möchte Uwe Schmieder hinzufügen. Bis zum letzten Applaus der Intendanz von Kay Voges dauert es zwar noch ein bisschen, Stefan Suske möchte dem Volkstheater-Publikum jedoch eine Sache jetzt schon mit auf den Weg geben: „Neugierig bleiben. Offen bleiben. Dem Volkstheater die Treue halten. Es ist so ein schönes Haus.“
Bettina Lieder ergänzt: „Danke für alles – es war sehr schön, für Sie zu spielen!“
Musik lag in der Luft
Zwar stehen noch einige spannende Konzerte ins Haus, dennoch haben wir auch den musikalischen Leiter des Volkstheaters um ein Resümee gebeten. „Die Produktion von ‚Die Politiker‘ im Herbst 2021 war mit Sicherheit ein Highlight, da ich die Gelegenheit hatte, mit meiner lieben Freundin und Mitarbeiterin Dana Schlechter, die man unter anderem von Swans und Insect Arc kennt, zusammenzuarbeiten“,so Paul Wallfisch.
„Natürlich gab es noch viele weitere Höhepunkte. Beispielsweise Little Annies ‚52 Jokers‘ und meine letzte Produktion hier – ‚Camino Real‘ mit meinen alten Freunden Calexico.“
Insgesamt sei sein Programm immer auch ein Versuch gewesen, Veranstaltungen ans Haus zu holen, die nirgendwo anders stattfinden können und die zur Ästhetik und Denkweise der jeweiligen Spielzeit passen, sagt Wallfisch. Dass dabei auch Wünsche unerfüllt bleiben, liegt in der Natur der Sache. „Die darstellenden Künste sind ein Gemeinschaftsspiel, und so bleiben Träume ständig unerfüllt – aus menschlichen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen.“

Foto: Lukas Gansterer
Vieles ist jedoch auch gelungen – unter anderem musikalische Neuentdeckungen ans Volkstheater zu holen.
„Ich hatte beispielsweise das Vergnügen, Martin Siewert kennenzulernen. Er hat in praktisch jedem erdenklichen Genre gearbeitet und ist eine musikalische Wien-Entdeckung, die jeder machen sollte. Außerdem möchte ich die Band Bipolar Feminin erwähnen. Ich habe sie für die Rote Bar gebucht, kurz bevor sie durch die Decke gingen, und sie hatten so eine tolle Energie.“
Am 14. Mai gibt es im Übrigen einen Full-Circle-Moment: Der Soundtrack zu „Die Politiker“ erscheint als Album und wird in der Roten Bar präsentiert. Die Vorfreude steht Paul Wallfisch ins Gesicht geschrieben.
Geht es nach dem in New York geborenen Musiker sollte es unbedingt auch weiterhin Livekonzerte am Volkstheater geben. „Ich finde es gut, dass Genres und Bezeichnungen nicht mehr so wichtig sind wie früher. Das Publikum möchte ausgehen und spannende, intelligente und originelle Spektakel sehen. Ob man es Konzert, Film, Tanzstück oder Theater nennt, ist eigentlich egal. Who cares?“