Wie fühlt es sich an, wenn hunderte Menschen auf Ihren Rücken starren?
In einer Welt der Dirigenten-Diven gilt Pablo Heras-Casado als positive Ausnahme. Jetzt setzt er mit dem Concentus Musicus Monteverdis „Ulisse“ neu auf. Studiert hat der Spanier zuerst Gesang, dann Schauspiel, dann Tanz und Kunstgeschichte …
Monteverdi, das war ein italienischer Komponist an der Wende der Renaissance zum Barock, 16./17. Jahrhundert. Pablo Heras-Casado, das ist ein spanischer Dirigent, 21. Jahrhundert. Die beiden begegnen einander schon zum dritten Mal, für das Grand Final des Monteverdi-Zyklus. Wir haben den Dirigenten Pablo Heras-Casado zum Interview getroffen. Monteverdi konnte leider nicht.
Wie werden Sie von den Musikern genannt? Fühlen Sie sich als Maestro? Oder ist dieser Begriff veraltet?
Nur manchmal werde ich bei den Proben Maestro genannt, aber die meisten nennen mich Pablo. Ich bin eher ein Primus inter Pares, und das ist etwas, was ich sehr liebe – eine führende Person in einer Gruppe zu sein. Die alten Maestro-Tage sind vorbei.
Sie haben Kunstgeschichte studiert, Schauspielunterricht gehabt und Tanzunterricht genommen. Was davon hilft beim Dirigieren?
In allem, was ein Dirigent tut, ist jede Art von Wissen notwendig. Je mehr man gelesen und erlebt hat, desto besser, denn jedes Musikstück handelt von der menschlichen Erfahrung. Und gelebt zu haben, nicht nur in der Kunst, sondern generell – es hilft dabei. So kann man sich mit dem Menschsein identifizieren.
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Sie waren Sängerknabe, haben in Chören und in Vokalensembles gesungen. Warum wurden Sie nicht Sänger?
Weil ich es sehr genieße, als Dirigent die Möglichkeit zu haben, einen Input zu geben und Ideen einzubringen. All das Wissen, das ich über die Jahre als Sänger erworben habe, gebe ich dabei an meine Kolleg*innen weiter. Selbst beim Dirigieren denke ich aus meinem Zwerchfell heraus – ich fühle mich dem Singen noch immer verbunden, auch wenn ich keine Musik beim Dirigieren produziere. Singen bleibt der körperlichste Weg, Ideen und Gefühle in Musik auszudrücken. Es ist der intimste Ausdruck.
Wie fühlt es sich an, wenn hunderte Menschen auf Ihren Rücken starren?
Ich dirigiere schon seit 28 Jahren, und es bleibt bis heute ein wunderbares Gefühl, weil ich dem Publikum nicht nur meinen Rücken zeige, sondern die Energie hinter mir spüre. Ich fühle ihre Präsenz. Manche Konzerthallen sind so designt, dass man das Publikum an den Seiten sieht oder direkt vor sich hat, und das genieße ich sehr. So kann ich sie zwar nicht anschauen, aber ich stehe in ihrer Mitte, wie in einer Arena. Und die Stille, die vor, nach oder während eines Stückes herrscht, zu fühlen ist eine der fantastischsten Erfahrungen, denn diese Stille ist voller Energie.
Erklären Sie uns das Wunder von Monteverdis Musik.
Ich glaube, man kann ein Wunder nicht erklären; jedes Mal, wenn ich mit mehr Erfahrung zu Monteverdi zurückkomme, denke ich weiterhin, dass er ein Wunder ist.
Monteverdi war ein Mann, der historisch und künstlerisch in den aufregendsten Zeiten gelebt hat: Venedig in der Wende der Renaissance-Ära. Er hat die Essenz und die besten Elemente der Renaissance genommen und in die Moderne gebracht. Mit einem furchtlosen Gefühl für Innovation hat er Lyrik als Kernelement verwendet, um Musik auszudrücken. Monteverdi hatte ein sphärisches Gespür für Musik. Dabei hat er neue Techniken integriert, hat Gesang mit Instrumenten gemischt, Klangeffekte mit Musik erschaffen und so komponiert, als gäbe es keine Kategorien. Eigentlich sind seine Elemente simpel, wenn man ihn mit Wagner oder Strauss vergleicht. Trotzdem kann er mit seiner Einfachheit eine ganze Welt an Gefühlen ausdrücken, stärker als jeder andere Komponist.
Warum kann man Monteverdi eigentlich nur mit dem Concentus Musicus spielen und nicht mit einem „normalen“ Orchester?
Der Hauptgrund, warum wir mit dem Concentus Musicus zusammenarbeiten, ist, dass wir mit ihnen viele Instrumente ausprobieren können, die nach dem Barock nicht mehr verwendet wurden. Allgemein sind es Instrumente, die einen anderen Klang produziert haben. Somit braucht man also ein Ensemble, das auf diesen Instrumenten spielen kann, aber auch den Style dieser Zeit kennt. Und ich habe das Glück, dass ich diesen großen Monteverdi-Zyklus in Wien zusammen mit dem Concentus Musicus erarbeiten kann.
Es ist etwas Wahres dran, wenn man sagt, Monteverdi ist der Pate des Pop.
Pablo Heras-Casado
Bleiben wir gleich dabei – Sie haben alle drei Monteverdi-Produktionen dirigiert. Was ist der Unterschied zwischen den Produktionen?
Dass jede eine andere Annäherungsweise hat. Man hätte die drei Opern auch mit einem Bühnendirektor machen können. Aber ich denke, es bringt mehr Leben in das Genie Monteverdi, wenn wir neue Perspektiven zeigen. Die drei Opern behandeln Themen, die zeitlos und universell sind. Das haben alle großen Opern miteinander gemeinsam – Mozart, Monteverdi, Verdi, Wagner.
Warum funktioniert diese Musik bei jungen Menschen so gut?
Weil sie nicht so viele Ornamente hat. Die Musik spricht geradeaus über Gefühle und kommt zum Punkt. Monteverdi wechselt mit seinem starken einheitlichen Stil von Volksmusik zu Popmusik. Dabei bleibt er ehrlich mit seinen Ideen, und ich glaube, das spricht jedes Publikum an. Wenn er Harmonien und Tanzrhythmen verwendet, gibt es eine Körperlichkeit in der Musik, was diese musikalische Erfahrung sehr attraktiv und verführerisch macht. Darum würde ich sagen, es ist etwas Wahres dran, wenn man sagt, Monteverdi ist der Pate des Pop.
Sie arbeiten gerne in der Nacht. Warum?
Jetzt ändert es sich gerade, im Alter mag ich auch frühe Morgenstunden. Aber in beiden Fällen mag ich die Einsamkeit und die Stille. Das hilft mir sehr, mich zu konzentrieren. Als performender Künstler bin ich es gewohnt, am besten am Abend zu arbeiten. Irgendwie spiegelt mein Körper das noch, wenn ich zu Hause bin – leise und fokussiert zu sein.
Was ist das Besondere am Wandern?
Vielleicht ist es ähnlich wie allein in der Nacht wach zu bleiben; wenn du auf einen Berg gehst, erlebst du das Gegenteil. Ich mag das. Wenn man die ganze Zeit im Konzertsaal, im Studio oder in Städten ist, wird das Ausbrechen aus den Wänden notwendig. Und der Weg, um nach oben zu kommen, ist das, was ich wirklich genieße.
Zur Person: Pablo Heras-Casado
Geboren in Granada. Er war Sängerknabe, sang in Chören, lernte Schauspiel, Tanz und studierte Kunstgeschichte. Er hatte an der Wiener Staatsoper bereits bei den Neuinszenierungen von Monteverdis „Poppea“ und „Orfeo“ die musikalische Leitung; ist einer der renommiertesten Dirigenten der Welt.