„Wie endbescheuert ist das denn?“
Ein Satz aus dem Millionen-Buchbestseller „Tschick“. Jetzt kommt der Kultroman als Oper auf die große Bühne. Singen werden Absolventen der Opernschule der Wiener Staatsoper. Wir waren bei den Proben dabei. Unser Fazit: Von bescheuert keine Spur.
Da war wer begeistert. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lobte die „Tschick“-Premiere und Ludger Vollmers Musik in den höchsten Tönen: „Oft kam (…) die Musik in mitreißenden Rhythmen daher, manchmal wirkte sie vertraut, bisweilen klang sie operettenhaft folkloristisch, und manchmal reduzierte sich die Musik auf eine Klangfläche oder schwieg ganz, wie um zu unterstreichen, dass an dieser Stelle der Text wichtig ist.“ Okay, es ist ein bisserl geschummelt. Die Kritik stammt aus dem Jahr 2020.
Tschick von Wolfgang Herrndorf
Mit Tschick sind hier nicht Zigaretten gemeint, sondern ein 14-jähriger Junge, der sich mit seinem Klassenkameraden Maik auf einen Roadtrip begibt. Herrndorfs Roman wurde auch zum gefeierten Theaterstück und zur Jugendoper. Weiterlesen...
Die Basis der Oper (Uraufführung 2017) ist der Buchbestseller von Wolfgang Herrndorf (2010). Der Roman über eine Freundschaft von zwei Jugendlichen, die mit einem gestohlenen Lada in die Walachei aufbrechen, wurde in über dreißig Sprachen übersetzt und von Fatih Akin verfilmt. Er wird in den Theatern gespielt, in den Schulen gelesen. Ein Millionenseller. Herrndorf hat mit seinem Buch den Nerv einer Generation mit einer außergewöhnlichen Mischung aus Witz und Dreistigkeit getroffen.
Am 18. Dezember feiert jetzt die Oper im Haus am Ring Premiere. Auf der großen Bühne – vor dem eisernen Vorhang. Krysztina Winkel, die Leiterin des Outreach-Programms der Staatsoper, wird Regie führen. Johannes Mertl, Chef der Opernschule, ist der musikalische Leiter. Singen werden Absolventen der Opernschule. Es ist also alles hausgemacht.
Wir treffen Constantin Müller (Tenor/Maik), Marlene Janschütz (Sopran/Isa), Lukas Lemcke (Bass/Tschick) und das Leading Team in den Werkstätten von ART for ART im Arsenal. Da man als Printmagazin Musik nur schwer vorsingen kann, fragen wir bei Regisseurin Krysztina Winkel nach: Wie klingt „Tschick“?
„Die Musik rockt, man kann nicht sitzen bleiben, sie geht direkt in den Körper, und zu den rockigen, jazzigen und perkussiven Momenten gibt es sehr berührende Arien, die das Publikum in den ‚Was passiert gerade mit mir?‘-Moment holen. Dazu die Geschichte von erster Liebe, der Überwindung von Stereotypen und Mut. Unser Ziel ist es, dass die Menschen, wenn sie aus der Oper rausgehen, ein wenig den Fahrtwind von ‚Tschick‘ gespürt haben.“
Zur Person: Constantin Müller, 20, Bariton
spielt den Einzelgänger Maik. Er ist seit 13 Jahren an der Wiener Opernschule und war in der Begabtenförderung. Seine Traumrolle ist der Papageno in der „Zauberflöte“: „Ich bin ein glücklicher Mensch, der wie Papageno alles positiv sieht.“
Ludger Vollmer, der Komponist, ist ein Profi in Sachen filmisch gedachter Genres. Er hat „Gegen die Wand“ und „Lola rennt“ zu Opern gemacht. Seine Musik ist vielseitig, pendelt zwischen Witz, Romantik, schriller Tonmalerei – es ist Punk im Opernkleid. Auf die Frage, warum er Komponist wurde, sagt er: „Der Grund ist die Leidenschaft für diesen Beruf. Es ist wie in der Liebe: Am Anfang scheint es noch ein unerfüllbarer Traum zu sein, und irgendwann hat er dich gepackt, und du kannst ihn nicht mehr loslassen.“
Zur Person: Marlene Janschütz, 21, Sopran
spielt Isa, eine der anspruchsvollsten Rollen. Mit acht Jahren kam sie in den Kinderchor der Wiener Staatsoper. Ihre Traumrolle ist die Mimì in der „Bohème“. Janschütz singt auch mit einer eigenen Band Wienerlieder.
Besetzt wird das Stück mit Stimmen aus dem Haus. Johannes Mertl: „Die drei jungen Solist*innen – also eigentlich sind es sechs, denn alle Rollen sind doppelt besetzt – sind aus der Opernschule und bereits im Gesangsstudium. Ich begleite sie teilweise schon, seit sie Kinder waren, und es macht mich sehr stolz, zu sehen, dass wir jetzt mit ihnen an so einem Projekt arbeiten können.“
Zehnmal wird bis Juni „Tschick“ zur Aufführung kommen. Es ist ein Versuch, junges Publikum für das Genre zu begeistern und jungen Künstler*innen eine erste große Auftrittsmöglichkeit zu geben.
Lukas Lemcke stand schon mit drei auf der Bühne. Mit fünf begann seine Gesangsausbildung. „Mit 14 wusste ich, dass ich Opernsänger werden will.“ Und was erwartet uns bei „Tschick“? „Musikalisch bekommt das Publikum eine lustige Mischung aus Klängen und melodischer Musik und eine sehr kurzweilige, ergreifende Geschichte serviert.“ Constantin Müller sekundiert: „Die Musik von ‚Tschick‘ wird die Menschen mitreißen.“ Und was sagt Marlene Janschütz? Sie ist 21, im Alter von acht kam sie in den Kinderchor der Staatsoper: „Eine Türe hat sich für mich geöffnet, von der ich hoffe, dass sie sich nie mehr wieder schließen wird.“
Zur Person: Lukas Lemcke, 23. Bass
stand mit drei Jahren das erste Mal auf der Bühne, seit er fünf Jahre alt war, bekommt er Gesangsunterricht. Nach einem Praktikum im Alter von 14 an der Staatsoper „wusste ich, dass ich Opernsänger werden will – ich war so verzaubert von dem Flair“. Seine Lieblingsrolle: Sarastro aus der „Zauberflöte“.
Es berührt, mit den drei jungen Sänger*innen im Gespräch zu sein, mit ihnen über ihre Ziele, ihre Träume zu sprechen. Müller schwärmt von Papageno und Janschütz von Rollen in der „Bohème“. Man traut sich gar nicht zu fragen, was ist, wenn diese Träume platzen – und tut es dann trotzdem. Marlene Janschütz zuckt mit den Schultern und lacht: „Die Mimi ist der Traum, aber meine Stimme ändert sich in Richtung Koloratursopran, also wird es wohl die Königin der Nacht werden.“ Plötzlich kommt Krysztina Winkel begeistert auf uns zugestürmt und zeigt uns ein Foto auf ihrem Handy. Riesige Kartonwände, die am Boden liegen, sind zu sehen, noch feucht von der Farbe der Kulissenmaler. Winkel hat sie gerade in der Werkstatt entdeckt.
Zur Person: Krysztina Winkel, Regie
Die Theaterpädagogin wurde in Aachen geboren. Sie leitet das Outreach-Programm der Staatsoper. „Tschick“ ist ihr erstes großes Projekt auf der großen Bühne der Oper. Sie sagt: „Die Musik rockt, man kann nicht sitzen bleiben, sie geht direkt in den Körper. Wir wollen, dass das Publikum den Fahrtwind spürt.“
„Unser erstes großes Bühnenbild“, sagt sie mit Tränen der Rührung, des Stolzes in den Augen. Die anderen klatschen. So geht Begeisterung. Und dem Autor dieser Zeilen fällt ein Absatz aus dem Roman ein. Es ist jene Szene, als Tschick mit dem gestohlenen Auto bei Maik vorfährt:
„Eine Minute stand der hellblaue Lada Niva mit laufendem Motor vor unserer Garage, dann wurde der Motor abgestellt. Die Fahrertür ging auf, Tschick stieg aus. Er legte beide Ellenbogen aufs Autodach und sah zu, wie ich den Rasen sprengte. ‚Ah‘, sagte er, und dann sagte er lange nichts mehr.“ Ab dann Fahrtwind.
Zur Person: Johannes Mertl, musikalische Leitung
Als Leiter der Opernschule der Wiener Staatsoper liegt
die erfolgreiche Nachwuchsarbeit des Hauses (Kinderchor, Opernschule) in seinen Händen. Er sagt: „Ich begleite die jungen Sänger*innen bereits, seit sie Kinder waren. Es erfüllt mich mit Stolz, sie jetzt bei diesem Projekt auf der großen Bühne zu sehen.“