„Ich war vor einiger Zeit in Prag und bin die wichtigsten Stationen seines Lebens abgegangen, die man zu Fuß alle gut erreichen kann, weil sie nicht weit voneinander entfernt liegen. Ich finde es erstaunlich, dass die literarische Welt Franz Kafkas in diesem winzigen Zirkel entstanden ist“, erzählt Sven-Eric Bechtolf. Einen winzigen Teil dieser abgründigen, oft surrealen Welt präsentiert er am 9. und 12. August auf der Bühne des Gmundner Stadttheaters. Für die Salzkammergutfestwochen Gmunden hat der vielfach ausgezeichnete Schauspieler und Regisseur die beiden Erzählungen „Ein Bericht für eine Akademie“ und „Eine kleine Frau“ für die Theaterbühne erarbeitet. Wir telefonieren am Tag vor der Premiere. Während sich in Gmunden sämtliche Regenwolken sintflutartig entladen, präsentiert sich der Himmel über Wien noch in schönstem Augustblau. Bechtolf wirkt gelöst und entspannt. Mit dem Satz „Heute ist es noch relativ ruhig, richtig spannend wird es erst morgen“ untermauert er diesen Eindruck. So etwas wie Routine oder Abgebrühtheit hätte sich bei ihm aber auch nach all den Jahren im Beruf nie eingestellt. „Vielleicht wäre es gut, wenn das passieren würde, vielleicht aber auch nicht“, hält er lachend fest. „Ich glaube, dass es vom Maß abhängt – ein bisschen Adrenalin ist gut, zu viel davon ist schädlich.“

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„Silberputzen“

Die Idee, die beiden Erzählungen gemeinsam auf die Bühne zu bringen, geisterte schon sehr lange in ihm herum, erzählt er. „In meinem Kopf haben diese beiden Texte immer zusammengehört, man muss sie jedoch nicht als zusammengehörig empfinden, wenn man die Verbindung nicht sieht. Für mich besteht sie darin, dass – im „Bericht für eine Akademie“ – ein Tier dem Käfig entkommt, sich assimiliert und dadurch Natürlichkeit und Freiheit verliert, während man in „Eine kleine Frau“ einem Menschen begegnet, der hoch zivilisiert scheint, aber eigentlich in einen Käfig gehört. Diese Kreisbewegung hat mich schon vor 30 Jahren interessiert, ohne dass ich die Gründe dafür damals wirklich benennen konnte.“

1988 stellte sich der in Darmstadt geborene Schauspieler und Regisseur bereits einer ähnlichen Herausforderung: In Bochum brachte er „Der Bau“, eine andere Erzählung Kafkas mit tierischer Hauptfigur, als Soloabend auf die Bühne. „Obwohl mir das Textlernen als junger Schauspieler deutlich leichter gefallen ist und auch meine physische Kondition besser war, sind die Herausforderungen am Ende trotzdem ähnlich. In beiden Arbeiten ging es darum, sich die eigenen Mittel noch einmal anzusehen – ich habe das einmal ‚Silberputzen‘ genannt. In der autonomen Auseinandersetzung mit einem Stoff erfährt man viel über sich selbst als Schauspieler. Das ist eine Form der Introspektion, die ich jedem Schauspieler wünschen würde. Allein mit sich zu sein ist eine Herausforderung – aber eine gute, wie ich finde“, so Bechtolf, der sich auch bei seinem Gmundner Vorhaben bewusst gegen eine Lesung entschieden hat. „Das wäre dann eine sehr kurzfristige Beschäftigung gewesen, ich war aber auf der Suche nach genau dieser Herausforderung, die ich vorhin beschrieben habe.“

Einfach spielen

Viel möchte Sven-Eric Bechtolf über seine Inszenierung noch nicht verraten – außerdem „spiele er viel lieber, als darüber zu sprechen“ –, sicher ist jedoch, dass er das interpretatorische Kaninchenloch, in das man bei Kafka nur allzu gerne fällt, in der Auseinandersetzung mit den beiden Texten gut umschiffen konnte. Als wir ihn nach dem Grund dafür fragen, antwortet er: „Bei Märchen ist es so, dass sie aus der Seele kommen und wieder in die Seele zurückwollen. Sie möchten nicht im Tagesbewusstsein herumspuken und analysiert werden. Das empfinde ich auch bei den Texten Franz Kafkas so, die in unserer Psyche ihr Eigenleben weiterführen wollen – und das auch tun.“ Bechtolf lacht und es wirkt so, als könne er sich an die Momente, in denen die beiden Texte auf außerordentlich lebendige Weise in ihm herumgeisterten, noch sehr gut erinnern. Er fügt hinzu: „Man kann all diese Untersuchungen schon anstellen, trotzdem bleibt immer dieser beunruhigende Rest, dem man nicht ohne weiteres zu Leibe rücken kann. Aber ich bin sowieso kein Freund davon, diese Art von Texten vollkommen auseinanderzuschrauben, vor allem dann nicht, wenn man sie aufführen möchte. Dann sollte man den Mund halten und einfach spielen.“

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Verraten kann er außerdem, dass er den Abend nicht im Affenkostüm bestreiten wird. Er verweist auf den 1964 verstorbenen Schauspieler Klaus Kammer, der die Rolle 1963 als Affe in einem Menschenkostüm spielte. „Und zwar hervorragend“, wie Sven-Eric Bechtolf festhält. Ihn hätte jedoch ein anderer Zugang interessiert, der „eher damit zusammenhängt, dass jemand glaubt, er sei ein Affe.“ Darüber hinaus fand er den Gedanken des Käfigs als Festung spannend, wie auch die Assimiliationsleistung, „die nicht nur Kafkas Affe vollbringen muss, sondern die wir alle täglich vollbringen müssen.“

Auch den Begriff der Freiheit rückt Kafka im „Bericht für eine Akademie“ in ein spannendes Licht, denn sie ist nicht jener Zustand, den der Affe zu erlangen versucht. „Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg“, so der Affe in der Erzählung.

„Freiheit ist ein Begriff, der für ihn nicht haltbar ist. ‚Sich in die Büsche zu schlagen‘, also eine randständige, abtrünnige Existenz zu führen, sieht er als das Maximale an, das er im Prozess der Assimilation zu erreichen im Stande ist. Das ist ein Gedanke, der in Maßen durchaus nachvollziehbar ist“, bringt es Sven-Eric Bechtolf auf den Punkt und setzt nach, dass man sich voll all den tiefgründigen Themen, die rund um Kafkas Texte meist besprochen werden, nicht täuschen lassen sollte. „Er hatte auch eine große Leichtigkeit und viel Humor.“ Gerade im „Bericht für eine Akademie“ stecke sehr viel davon.

Und jetzt möchte Sven-Eric Bechtolf wirklich lieber spielen als über seine Arbeit zu sprechen.