Gutes Timing. „Ich freue mich so“, bricht es aus Emmy Werner heraus, kaum dass man auf ihrem Sofa Platz genommen hat. Und während man den beschwingten Auftakt noch auf die eigene Anwesenheit beziehen möchte, vollendet sie den Satz: „dass Jon Fosse den Literaturnobelpreis zugesprochen bekommen hat.“ Schon 2001 habe man den norwegischen Dramatiker, der 2000 übrigens der erste Nestroy-Autorenpreisträger überhaupt war, am Volkstheater gespielt. „Mit Birgit Doll und Wolfgang Hübsch in den Hauptrollen. Sehr erfolgreich war es beim Publikum nicht. Wir haben bald gesagt: ‚Da kommt niemand mehr.‘“ Das Stück hieß „Da kommt noch wer“.

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Womit wir schon bei Emmy Werners genereller Tonalität wären. Sie ist ehrlich in der Selbstbetrachtung, jovial im Umgang und akkurat in der Sache. Auch wenn sie es nicht hören will, die Frau ist eine Legende. Auf dem Weg zum Kult, wie zwei Einladungen zur TV-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“ dokumentieren, wo ihr die lästerlichen Gastgeber Dirk Stermann und Christoph Grissemann Rosen streuten. „Zuerst sind sie frech“, stellt Emmy Werner klar, „aber ich glaube, ich habe alle, die sie jemals in die Pfanne gehaut haben, gerächt. Das hat dem Publikum gefallen. Jetzt sind sie süß zu mir.“

Emmy Werner
Frühe Jahre. An der Seite von Hans-Henning Heers spielte Emmy Werner 1963 in „Zum kleinen Glück" im Theater der Coursage.

Foto: AKG Images

Sie könne mit Verehrung ohnehin gut umgehen, aktiv wie passiv. „Ich bin eine Marx-Liebende, die Marx Brothers mit ihrem subversiven, anarchischen Humor gehören zu meinen absoluten Idolen.“ Dass sie nun den Nestroy für ihr Lebenswerk bekomme, bereite ihr durchaus Vergnügen. „Ein bisschen spät, finde ich. Aber ich freue mich. Ich habe im Laufe der Jahre so viele Schläge bekommen wie das Krokodil beim Kasperl. Zum Glück verfüge ich über genügend Resilienz, man nimmt dann aber auch gerne das Lob entgegen. Zu sagen, nein, das brauche ich nicht, wäre doch nur eitles Getue.“ Selbiges komme gar nicht infrage.

In ihrer Funktion als Regisseurin hat sie es nur auf ein einziges Nestroy-Stück gebracht. Dafür war „Lumpazivagabundus“ mit Karl Markovics, Toni Böhm und Heinz Petters in ihrer Inszenierung 1999/2000 am Volkstheater ein Publikumsmagnet. „Wir waren 80-mal ausverkauft, das hat uns das ganze Jahr finanziert. Dabei bin ich, wie so oft, nur eingesprungen.“

Emmy Werner
Darf sich am 5. November 2023 auf einen Nestroy für ihr Lebenswerk freuen: Emmy Werner.

Foto: Hilde van Mas

Zur Person: Emmy Werner

1938 in Wien geboren, studierte Schauspiel, war u. a. im Theater in der Josefstadt und am Volkstheater ­engagiert und in zahlreichen TV- und Filmproduktionen zu sehen. Sie war Co-­Leiterin im Theater der Courage und gründete das Theater Drachengasse, dem sie sechs Jahre lang vorstand. Von 1988 bis 2005 war sie die erste Direktorin des Volkstheaters, das sie länger leitete als jeder Mann vor und nach ihr. Allein an diesem Haus brachte sie es auf 13 Regie-Arbeiten. 2018 veröffentlichte sie „… als ob sie Emma hießen. Eine Nachbetrachtung“. 2023 erhält Emmy Werner den NESTROY für ihr Lebenswerk.

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Professionelle Bestimmung

„Wahrscheinlich hätte ich es mir leichter machen können, denn ich hatte in meiner Jugend rasende Erfolge als Schauspielerin. Ich konnte mich aber nicht so gut exponieren“, erzählt die Tochter der Tänzerin Emmy Werner und des Schriftstellers und Wienerlied-Texters Hans Werner, der sich solche Meriten um das Urheberrecht von Autor*innen erwarb, dass er dafür ein Ehrengrab bekam. Eine Großmutter war Artistin, die andere Theatergarderobiere an der Volksoper. Und eine Großtante übte den seltenen Beruf der Hundetheater-Direktrice aus. Auch ihr 13 Jahre älterer Bruder war Schauspieler, genauso wie ihre Schwägerin, ihr Ex-Mann und ihr Sohn. Ein Biotop, könnte man sagen. Doch weil ihr das Rampenlicht kaum Spaß gemacht habe – „Mir war dauernd schlecht, einmal ist mir auf der Bühne sogar fast der Blinddarm durchgebrochen“ –, sei sie lieber hinter der Bühne verschwunden.

Emmy Werner
Familiensache. Gemeinsam mit Ehemann Georg Lhotsky 1969 im TV-Film „Stellenangebot weiblich" - Regie: Wolfgang Glück.

Foto: picturedesk.com

Sie habe im Theater der Courage, wo sie bei Stella Kadmon – damals die einzige Frau in einer leitenden Theaterposition weit und breit – engagiert war, lieber die Garderobe betreut, Requisiten geputzt oder heimlich Stückbearbeitungen gemacht. 1979 stieg sie zu Kadmons Co-Leiterin auf, 1981 gründete sie das Theater Drachengasse, in dem sie bis 1987, auch aus Kostengründen, kontinuierlich als Schauspielerin und Regisseurin agierte.

„Meine erste Inszenierung war ‚Lauter Emmis‘, wofür die Zuschauer bis auf den Fleischmarkt Schlange standen. Sogar Bundeskanzler Vranitzky war im Publikum. Damals lautete eine Schlagzeile ‚Frau führt Regie!‘, das muss man sich einmal vorstellen. Später habe ich das heikle Stück ‚Blut‘ von Käthe Kratz inszeniert.“ Schon 1974 hatte sie im Abtreibungsdrama „Cyankali“ von Friedrich Wolf in der „Courage“ gespielt. „Das wurde im ORF-Hauptabend übertragen, und Bruno Kreisky hat uns dafür gratulieren lassen. Das hat sicherlich auch die Stimmung für die Fristenlösung beeinflusst.“ Nie habe sie gedacht, dass dieses hart erkämpfte Recht je wieder in Gefahr geraten könnte. „Wenn ich als Frau diese schwierige Entscheidung treffen muss, sollen alle anderen den Mund halten. Schluss. Aus. Opernhaus.“

Emmy Werner
Prinzipalin, Psychologin, Phantastin, Promoterin: Emmy Werner.

Foto: Hilde van Mas

Beschimpft und gewürgt

„Franz Mrkvicka, den damaligen Kulturstadtrat, wollten seine Freunde psychiatrieren lassen, weil er mich von der Drachengasse ans Volkstheater geholt hat. Ein bescheidener, engagierter, mutiger Mann, der mich durchgeboxt hat und dafür gemeinsam mit mir medial von manchen beschimpft wurde.“

Wie hat sie das ausgehalten? „Ich war sehr geschützt, hatte einen tollen kaufmännischen Partner, eine tolle Familie, tolle Freund*innen. Außerdem sind führende Politiker wie Zilk, Dohnal, Hawlicek, aber auch Busek und Rauch-Kallat hinter mir gestanden.“ Dass sie das Volkstheater dann 17 Jahre lang geleitet hat – und somit länger als jeder Mann vor und nach ihr –, bereite ihr durchaus Genugtuung.

Eine ihrer wichtigsten Volkstheater-Inszenierungen war „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“ von Elfriede Jelinek. „Die Jelinek ist so etwas wie meine Abgöttin, ich verehre sie sehr. Weil wir ‚Krankheit oder Moderne Frauen‘ gespielt haben, bin ich sogar gewürgt worden.“

Damals lautete eine Schlagzeile ‚Frau führt Regie!‘. Das muss man sich einmal vorstellen.

Der tätliche Angriff trug sich auf dem Parkplatz des Theaters zu. „Da fragte mich ein rüstiger, gut gekleideter Herr, ob ich Emmy Werner sei. Ich denk mir noch, der will mich loben, und sage Ja. Stattdessen hat er mich attackiert, weil ich Jelinek spiele, und ist mir an die Gurgel gegangen. Wahrscheinlich bin ich die einzige Theaterdirektorin in Wien, die jemals tätlich angegriffen wurde.“ Der Aggressor wurde außer Gefecht gesetzt.

Sie sei gerne Chefin gewesen. „Obwohl ich mich nie als solche empfunden habe, sondern auf Augenhöhe mit allen anderen. Ich war auch am Volkstheater die Hausmeisterin, denn ich war eigentlich den ganzen Tag im Haus unterwegs – auf der Unterbühne, am Schnürboden, überall. Der Geruch des Theaters, diese Mischung aus Chemikalien und Menschen, macht süchtig. Und diese Sucht bleibt einem. Daher bin ich bis heute weniger gerne im Zuschauerraum, denn da riecht es nicht so wie im Getriebe.“

Dass sich für Frauen so vieles in ihrem Beruf zum Besseren verändert habe, wiewohl es noch viel zu tun gebe, erfülle sie auch ein wenig mit Stolz. „Da darf ich mir auch ein kleines Federl an den Hut stecken. Es war ein Auf und Ab, aber so ist es eigentlich allen gegangen, selbst Herrn Peymann. Ich bin jedenfalls froh, dass ich in einer Zeit dabei war, in der sich so viel ereignet hat. Heute haben wir viele fabelhafte Frauen am Theater, und ich unterstütze alle, die ich gut finde. Für manche bin ich eine Art Role Model.“

17 Jahre als Direktorin seien aber möglicherweise eine Spur zu lang gewesen, auch wenn sie als Intendantin alle ihre Theaterleidenschaften in einer Funktion hätte ausleben können. „Ich habe dreimal verlängert und bin dann noch einmal zwei Jahre extra geblieben, weil sie niemanden für die Nachfolge hatten. Am Ende habe ich an der Wand Bleistiftstriche für jede Woche gemacht, wie im Gefängnis. Es ermüdet dann doch, und ich wollte tatsächlich auch noch etwas anderes erleben als Theater.“

Emmy Werner
Kraftspendende Keramik. Eine der vielen Eulen-Skulpturen im Hause Werner. „Ich bekomme ständig neue geschenkt.“ Die ästhetisch weniger gelungenen mussten in einen Schuppen auf dem Land ziehen.

Foto: Hilde van Mas

Kunst, Musik, Eulen

Endlich kann Emmy Werner ihrer zweiten großen Liebe, der bildenden Kunst, frönen. „Ich schaue mir wirklich jede Ausstellung in Wien an und lese einschlägige Literatur. Außerdem höre ich viel Musik.“

Sie sei nach ihrem Abgang sogar ein wenig gereist. „Ich war zum ersten Mal in Rom, zum ersten Mal in Paris, zum ersten Mal in Ljubljana. Eine Reisende bin ich aber auch in der Pension nicht geworden, fremde Länder kann ich mir auch vorstellen. Ich schaue mir stundenlang Reisedokumentationen an – wie erst neulich über Island –, aber ich will nicht hinfahren. Eigentlich möchte ich den ersten Bezirk nur ungern verlassen. Hier bin ich Hausmeisterin des ganzen Viertels“, bleibt Emmy Werner ihrer Berufung treu. Nur ein einziges Mal sei sie geflogen. „Vor Flugzeugen habe ich seit dem Krieg Angst.“

Die Vergangenheit zu verklären sei ihr fremd. „Ich lebe völlig im Hier und Jetzt. Zu viele der Menschen, die mir in meinem Leben etwas bedeutet haben, sind tot. Es gab durchaus Momente, wo ich gedacht habe: Wofür das alles? Aber aufgeben ist keine Option, und wenn man sich dazu entscheidet, weiterzumachen, muss man es auch ernst nehmen.“

Elfriede Jelinek ist so etwas wie meine Abgöttin. Weil ich sie gespielt habe, bin ich sogar gewürgt worden."

Emmy Werner, Schauspielerin, Regisseurin, Volkstheater-Direktorin

Ihre Wohnung teilt sie mit 1.550 Eulen: künstlerischen Kreationen ihrer Lieblingsvögel, über die sie Vorträge halten könnte. „Ich habe einen Eulen-Wahn. Sie sind monogam und die einzigen Vögel, die uns Menschen direkt in die Augen schauen. Und sie waren immer das Symbol der Weisheit. Ich liebe und putze meine Eulen-Kunstwerke, denn sie haben mir in schweren Zeiten schon sehr geholfen, indem ich sie einfach neu arrangiert habe. Obwohl ich nicht fliegen mag, wäre ich gerne ein Vogel.“ Emmy Werner lacht – wie so oft an diesem Nachmittag.

Dann, angesprochen auf das aktuelle Politgeschehen, wird sie energisch. „Ich verzweifle. Manchmal denke ich mir, ich kaufe mir ein Megafon und halte am Stock-im-Eisen-Platz eine Brandrede wie die Leute beim Speakers’ Corner im Londoner Hyde Park. Natürlich bin ich mir der Lächerlichkeit einer solchen Aktion bewusst, aber irgendwann muss es raus. Was ist bloß los mit den Menschen? Durch die Digitalisierung verbreiten sich das Böse und das Blöde rasant, das Gescheite und Gute leider nicht. Václav Havel, den ich in Prag kennenlernen durfte, meinte einmal: ‚Statt Hass und Lüge brauchen wir Wahrheit und Liebe.‘ Das ist so einfach, aber so ist es. Auch politisch sehe ich zu wenig Mut. Das ist nicht nur bei uns so, sondern global. Viele Freund*innen raten mir, mich gar nicht damit zu beschäftigen, sondern abzuschalten. Aber das kann ich nicht. Wenn ich abschalte, bin ich nicht mehr lebendig.“ Und lebendig sein hält jung.

Herzlichen Glückwunsch zum Lebenswerk-Nestroy, Emmy Werner.

Zur Person: Nestroy-Gala 2023

TV-Übertragung am 5. November ab 21.05 Uhr auf ORF III

Hier geht es zu den NESTROY-Nominierungen!