Türen aufmachen für Kopf und Garten
Man kann durch Liebe wachsen. Sagt man. Mit dem „Geheimen Garten“ tritt das Theater der Jugend den Beweis an. Wie das geht, hat uns die Regisseurin Nicole Claudia Weber verraten.
„Wenn man sich etwas mit Liebe widmet, dann wird etwas daraus.“ Wir sitzen im Theater der Jugend in der Neubaugasse, vor uns zwei dampfende Tassen mit Kaffee, und sprechen mit Nicole Claudia Weber. Es ist Anfang September, der Herbst steht vor der Tür. Die Proben für die erste Inszenierung der Saison haben bereits vor einer Woche begonnen. Gedanklich sitzen wir während des Interviews jedoch nicht auf den orangen Bänken des Theaters der Jugend in Wien, sondern in einem englischen Garten im letzten Jahrhundert.
Gerade haben wir Nicole Claudia Weber gefragt, was das Publikum vom ersten Stück der Saison mitnehmen kann. Die Antwort ist vielseitig: Es geht um Zuwendung und um gemeinsames Schaffen. Ehrlichkeit. Freundschaft. Natur. Und eben darum, dass etwas durch Liebe wachsen kann. Aber am besten beginnen wir einmal von vorne.
Von Trauer überwuchert, von Kinderhänden gepflegt
Der Roman, erschienen 1911, behandelt die Geschichte von Mary Lennox, einem wohlstandsverwahrlosten und zornigen Mädchen, das nach dem Tod seiner Eltern von Indien nach England gebracht wird. Dort lebt sie fortan bei ihrem Onkel Archibald Craven, der als verbittert gilt und aufgrund seiner Reisen kaum zu Hause ist. Auf seinem Anwesen verwildert der titelgebende Garten zehn Jahre lang und gerät nach und nach in Vergessenheit, bis Mary ihn schließlich wiederentdeckt. Den Garten hat ihr Onkel mit seiner Frau angelegt und nach deren Tod dem Verfall überlassen. Mary beginnt sich mit einem Jungen namens Dickon um den Garten zu kümmern. Auf einer ihrer weiteren Streifzüge lernt sie ihren Cousin Colin kennen, der von seinem Vater eingesperrt und von den Bediensteten gepflegt wird, da er als krank gilt. Mit Marys Hilfe lernt Colin gehen und überrascht am Ende seinen Vater mit seiner wiedererlangten Gehfähigkeit.
Verlassen, verwachsen, vergessen
Für die Regisseurin Nicole Claudia Weber, die den Klassiker von Frances Hodgson Burnett in der kommenden Spielzeit inszeniert, ist „Der geheime Garten“ ein psychologischer Roman. Zwei Kinder, die beide an Kontaktarmut leiden, treffen sich – und sind einander Spiegel.
Ich folge einem sehr emotionalen Faden. Da muss ich manchmal aufpassen, dass ich mich nicht verstricke.
„Sie sind beide herrisch geworden durch den Mangel an Begegnung und durch das Desinteresse der Erwachsenen. Es gibt im Roman einen schönen Satz: ‚Ich habe einen Garten gestohlen, er gehört mir nicht, niemand kümmert sich um ihn, und er wird sterben.‘ Hier spricht Mary eigentlich von sich.“
Und auch in Sachen Zuneigung müssen sowohl Mary als auch Colin einiges lernen, denn „die einzige Liebe, die sie davor kannten, ist Kontrolle“. Diese wird in der Begegnung der beiden Kinder aufgebrochen. Im Gegensatz zu den Bediensteten sagt Mary Colin nämlich gehörig ihre Meinung, zweifelt seine Krankheit sogar an. „Die Begegnung auf Augenhöhe unter Kindern, das ist ein ganz kraftvoller Moment. Kinder haben untereinander eine gewisse Übergriffigkeit und Unmittelbarkeit. Sie schaffen es, unvoreingenommen miteinander umzugehen.“
Der Mensch besteht aus Gedanken und nicht nur aus Gefühlen.
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Psychologisch und feministisch
„Thomas Birkmeir hat schon versucht, dem ganzen Stück mehr Spielerde zu geben, manche Konflikte im Buch hat er sehr feinsinnig umgeschrieben.“ Die Fassung von Direktor Thomas Birkmeir wurde bereits in der Spielzeit 2005/06 am Theater der Jugend aufgeführt. Gleich geblieben ist sie aber dennoch nicht. „Ich glaube, dass mein weiblicher Blick die Dinge sowieso verändert“, so Weber. Allgemein ist „Der geheime Garten“ für die Regisseurin neben seiner psychologischen Ebene auch ein feministisches Werk, „das zärtlich mit Männern umgeht“.
Verstrickt im emotionalen Faden
Nicole Claudia Weber kann bereits auf viele Inszenierungen im deutschsprachigen Raum zurückblicken – sowohl als Schauspielerin als auch als Regisseurin. Ihr Debüt vor der Bühne gab sie dabei 2006 mit der Uraufführung des Raoul- Biltgen-Stücks „I will survive“.
Ob sie während ihrer Inszenierungen thematisch einem roten Faden folgt? Weber überlegt kurz und antwortet dann: „Ich folge einem sehr emotionalen Faden. Da muss ich manchmal aufpassen, dass ich mich nicht verstricke.“
Was Weber ihrem jüngeren Ich sagen würde, wenn sie könnte, wollen wir am Ende des Interviews wissen. Die Regisseurin muss lachen. „In manchen Situationen wäre ich damals nicht auf die Idee gekommen, dass bestimmte Sachen nicht möglich sind. Deshalb arbeite ich so gerne mit jungen Menschen, das macht einfach wieder die Türen im Kopf auf.“ Also: Tür und Vorhang auf für die nächste Spielzeit!
Zur Person: Nicole Claudia Weber
Nicole Claudia Weber, aufgewachsen in der Nähe von München, hat in Wien ihre Bühnenreifeprüfung absolviert. Sie stand für zahlreiche Produktionen auf der Bühne, bis sie schließlich 2006 mit der Uraufführung von „I will survive“ ihr Debüt als Regisseurin gab. Ihre „Fledermaus“-Inszenierung für die Operette Langenlois wurde für den österreichischen Musiktheaterpreis 2022 nominiert.