Der eine kommt aus Iowa, der andere aus Ottawa. Der eine wollte Hubschrauberpilot werden, der andere immer schon Sänger. Kyle Ketelsen und Philippe Sly haben beide schon sowohl den Don Giovanni als auch den Leporello gesungen. In Wien sind sie gelandet, weil Regisseur Barrie Kosky sie nicht nur wegen ihrer stimmlichen, sondern vor allem auch wegen ihrer schauspielerischen Qualitäten wollte.

Anzeige
Anzeige
  1. Können Sie mir sagen, wie lustig Mozart war?

Kyle Ketelsen: Abgesehen von lustig ist er fröhlich. Er sieht, was im Dunkelsten noch lustig ist. 250 Jahre später funktionieren seine Witze noch immer, und es ist wunderbar, zu sehen, dass sich zwar die Mode und viele andere Dinge geändert haben, wir uns ansonsten aber noch immer wie in Mozarts Opern benehmen. (Lacht.) 

Philippe Sly:Humor ist etwas ganz Wichtiges. Nur durch ihn kann man die Tiefe der Farben erkennen, das Dunkle und das Helle. 

2. Wie, denken Sie, haben Da Ponte und Mozart zusammengearbeitet? Wie Simon und Garfunkel?

Kyle Ketelsen (grinst): Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Da Ponte würde vermutlich sagen: „Ich bin Simon, und das ist Garfunkel“, und umgekehrt würde Mozart vermutlich dasselbe sagen. 

Philippe Sly: Ich glaube nicht, dass Da Ponte plötzlich aufgetaucht ist und Mozart ein fertiges Libretto präsentiert hat. Es war sicher ein ständiges Vor und Zurück. Sie hatten es sicher lustig, und sie haben viel gestritten. Das waren keine Wichtigtuer, das sind zwei Genies, die in ihrer Arbeit extrem leidenschaftlich und selbstbewusst sind, sodass sie dafür streiten und streiten und streiten. Das trägt aber zum Frieden des Ganzen bei. Besonders bei „Don Giovanni“ – sie hatten ja bereits beim „Figaro“ zusammengearbeitet und wussten somit, was sie erwartet.

Anzeige
Anzeige

3. Sie kommen gerade von einer Probe. Wie arbeitet Barrie Kosky?

Kyle Ketelsen: Er ist ein Macher.

Philippe Sly: Seine Bühnenarbeit bei der Oper ist stark beeinflusst von der Schauspielerei. Er lässt uns viel Freiraum, den wir füllen können. Er arbeitet mit uns, als wären wir Schauspieler.

Kyle Ketelsen:Ich will da nicht rausgehen und einfach die Klischeebewegungen eines Opernsängers machen. Barrie hat erst vor ein paar Tagen gesagt, warum er uns ausgewählt hat: aus der Sicht eines Theatermachers. So einen Zugang sind wir nicht gewohnt, es ist aber sehr erfrischend.

4. Erklären Sie mir doch das Verhältnis von Giovanni und Leporello …

Philippe Sly: Leporello hat die größere Rolle. (Lacht.) Er ist wie ein persönlicher Assistent, der die ganze Drecksarbeit macht. Es ist dieser Typ, den man nicht loswird. Mit dem man aufgewachsen ist und mit dem man noch immer sehr verbunden ist, trotz aller Unterschiede. Don Giovanni ist ein Verführer, er verführt ja auch Leporello. Don Giovanni ist ein Chamäleon. Er weiß immer, wie er sich zu verhalten hat. Und er passt sich blitzschnell Situationen und Personen an. Er verändert sich ständig.

Kyle Ketelsen: Don Giovanni ist die schwierigere Rolle. Unsere Beziehungen haben verschiedene Farben. In jeder Szene ist die Natur der Beziehung anders. Barrie möchte das ganze Spektrum der Beziehungen abbilden und nicht bloß: „Leporello ist so oder so oder doch so.“

Philippe Sly:Don Giovanni ist sehr menschlich in dieser Produktion. Es gibt eine Geschichte hinter seinen Taten. Er ist kein Mörder. Es ist vermutlich das erste Mal, dass er jemanden umgebracht hat, und es war ein Unfall. Es war keine Hinrichtung, wie es manchmal dargestellt wird. 

Kyle Ketelsen: Er ist auch kein Vergewaltiger. Es ist Verführung. Es ist die freie Wahl der Frau oder des Mannes. Er hat einfach ein paar Songs, die er singt, und das funktioniert normalerweise.(Lacht.)

5. Herr Ketelsen, Sie kommen aus Iowa. Wenn Sie dort einem Taxifahrer sagen, was Sie beruflich machen, wie reagiert der?

Kyle Ketelsen (lacht): Es ist immer dasselbe: „Wow. Das gibt es? Opernsänger?“ Was ich auch oft höre, ist: „Du bist aber gut in Form für einen Opernsänger.“ Man hat so das Bild einer mächtigen Frau mit wagnerianischem Speer und Helm im Kopf. Die Menschen wissen schon, dass es Opernhäuser gibt. Aber sie gehen gedanklich nicht den nächsten Schritt, der bedeutet, dass Menschen da auch hineingehen, um dort zu singen.

Philippe Sly (grinst): … und bei mir in Kanada ist es so, dass Sänger sagen: „Manchmal bin ich Opernsänger, und dann gehe ich nach Hause und arbeite auf der Farm.“ (Lacht.)

6. Herr Ketelsen, wenn man Ihren Namen googelt, dann kommt als zweiter Suchvorschlag „Kyle Ketelsen wife“.

Kyle Ketelsen: Ist doch besser als „Kyle ohne Hosen“ oder „oben ohne“. (Lacht.) Wobei, das könnte auch anders sein: Es gibt ein Video auf YouTube. Ich habe den Leporello in Barcelona gespielt. Die haben mich bis auf die Tigerunterwäsche ausgezogen, und dann dämpft Elvira eine Zigarette auf mir aus, die war aber unecht. Ja, und dann schmeißen sie Mist auf mich, und ich bin festgebunden. Gut, dass dieses Video noch nicht zum Suchbegriff wurde …

7. Herr Sly, während des ­Shootings haben Sie immer wieder gesungen. Gibt es Momente, in denen Sie nicht singen?

Philippe Sly: Ist das wirklich so offensichtlich? (Schmuzelt.)Mein Tick ist, dass ich besessen bin vom Singen. Ich prüfe meine Stimme dauernd. Das ist nicht gut. Komischerweise singe ich überall gerne, aber nicht, wenn ich danach gefragt werde. Das ist doch sehr seltsam, oder?

Kyle Ketelsen(grinst):Mach dir keine Sorgen. Das ist ganz normal.

Don Giovanni im Livestream aus der Wiener Staatsoper

Tipp: Am Sonntag wird die Premiere von Don Giovanni in der Wiener Staatsoper live gestreamt und auf ORF 3 übertragen.
Alle Infos finden Sie hier.

Zur Wiener Staatsoper