Der Ursprung der Welt: Das Patriarchat wegrocken
„Der Ursprung der Welt“, eine Bühnenadaption der gleichnamigen Graphic Novel von Liv Strömquist, ist laut, wummernd und druckvoll. Dabei aber auch in genau jenem Maße komisch, das es braucht, um all die absurden Ansichten des Patriarchats über den weiblichen Körper zu entlarven. Wir haben mit Martin Hemmer und Simon Dietersdorfer über das Stück gesprochen.
Wo nichts ist, kann es auch keine Probleme geben, richtig? Und somit auch kein Diskussions- oder Ergründungspotenzial. Eine ganz andere Frage drängt sich auf: Könnte das vielleicht die Argumentationsgrundlage dafür sein, warum die primären weiblichen Geschlechtsorgane in der Vergangenheit häufig als ein einfacher Strich dargestellt wurden? Ganz so simpel ist die Sache nicht, denn in erster Linie rührt die alles andere als detaillierte Darstellung daher, dass die Vulva über viele Jahrhunderte hinweg als etwas wahrgenommen wurde, das fehlt. Als Leerstelle. Als weißen, cis, hetero Männern fehlt es den beiden Protagonisten in „Der Ursprung der Welt“, einem auf der gleichnamigen Graphic Novel von Liv Strömquist basierendem Stück, an fast nichts. Trotzdem begeben sie sich in ihren silbernen Raumanzügen in diese Leerstelle hinein, die im Bühnenbild von Flora Besenbäck kein Strich ist, sondern eine dreieckförmige Öffnung, aus der es hin und wieder geheimnisvoll raucht. Die Crew hätte sie entsandt, heißt es ein wenig später in der Inszenierung.
Wenige Tage vor der Premiere von „Der Ursprung der Welt“ wollen wir von Simon Dietersdorfer und Martin Hemmer, die spielen, live musizieren und die von ihnen gespielten Musikstücke auch komponiert haben, wissen, von wo aus sie ihre Reise tatsächlich begonnen haben. „Ursprünglich war es so geplant, dass Sara Ostertag das Stück mit uns beiden inszeniert. Der Plan fiel jedoch der Pandemie zum Opfer“, erklärt Simon Dietersdorfer. Als die Idee erneut aufflackerte, Sara Ostertag sie aus zeittechnischen Gründen aber nicht realisieren konnte, wurden Dietersdorfer und Hemmer gefragt, ob sie Lust hätten, die Arbeit in einem gemeinschaftlichen Arbeitsprozess mit makemake zu machen. „Mit Endregie, Dramaturgie, Choreografie und einer großartigen Ausstattung“, fügt Simon Dietersdorfer hinzu. „Es war ein kollektiver Prozess, in dem die meisten Dinge auf sehr organische, in sich stimmige Weise entstanden sind“, hält Martin Hemmer daran anknüpfend fest.
Darf er so?
Musik, Schauspiel und Choreografie begegnen einander in der Inszenierung (für alle ab 16) auf Augenhöhe. „Wir haben gemeinsam eine Band und sind beide Fans härterer und auch weirder Musik“, so Hemmer, der in der Band wie auch im Stück Schlagzeug spielt. Ebenjenes Instrument sei auch eine der wenigen Herausforderungen gewesen, mit denen sie im Probenprozess konfrontiert waren, fügt er lachend hinzu. „Es war nicht so einfach, einen Ort zu finden, wo man ein Stück mit Schlagzeug proben kann. Natürlich könnte man es auch ein bisschen abdämpfen, wie es im Theaterkontext häufig passiert, das war jedoch nicht in unserem Interesse.“
Der wummernde, druckvolle Schlagzeugsound kommt unter anderem immer dann ins Spiel, wenn Begriffe wie Patriarchat oder Heteronormativität erklärt werden. Als „Glossarstellen“ bezeichnen Hemmer und Dietersdorfer diese Abschnitte. „Wir haben es beide als sehr wichtig empfunden, dass diese Begrifflichkeiten nicht zu belehrend rüberkommen. Auf gar keinen Fall wollten wir sie mit erhobenem Zeigefinger vermitteln. Auch deshalb nicht, weil wir zwei weiße, cis, hetero Männer sind, die über diese Themen sprechen. Die Musik hat uns in dieser Hinsicht sehr geholfen“, sagt Simon Dietersdorfer.
Dass es im Fall von „Der Ursprung der Welt“ zwei Männer sind, die sich auf einer Theaterbühne diesen Themen annähern, wird auch im Stück selbst thematisiert. „Auch zwischen uns beiden war das ein Thema, wobei es natürlich auch um das Spiel damit geht“, hält Martin Hemmer fest. Simon Dietersdorfer fügt hinzu: „Martin und ich sind eng befreundet, wir unterhalten uns auch auf politischer Ebene oft über das Theater, das gerade stattfindet. Diese Gespräche brachten uns immer wieder zu der Erkenntnis, dass die Wiener Theaterlandschaft nicht divers genug ist. Natürlich kam da auch die Frage auf, ob wir diese Rollen wirklich spielen sollten.“
Die Entscheidung, so der Schauspieler, beruhte schlussendlich unter anderem darauf, dass das restliche Team ausschließlich aus weiblich gelesenen Personen bestand. „Das hat uns auch sehr dabei geholfen, diesen ironischen Blick auf uns selbst herzustellen und uns bestimmte Dinge mit einer großen Portion Komik anzueignen. Ohne diese vertrauten Gespräche mit den Künstlerinnen von makemake wäre das in dieser Form nicht möglich gewesen.“
Tabus aufbrechen
Stereotypen aufzubrechen und Themen wie die Menstruation auf humorvolle Weise zu enttabuisieren sei ein wichtiges Ziel des Abends, sind sich die beiden Schauspieler einig. Dass sich das Stück an junge Menschen ab 16 richtet, hätte in der Entwicklung gar keine so große Rolle gespielt, fügen sie hinzu, bevor sie wieder zur Probe müssen. „Es ist definitiv ein Stück für alle“, so Martin Hemmer, der den Ball ein letztes Mal zu seinem Kollegen hinüberspielt. „Das einzige, worauf wir in dieser Hinsicht geachtet haben, war, die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen nicht überzustrapazieren. Die ist womöglich etwas kürzer als bei einem Publikum, dass eine gewisse Theaterbildung mitbringt. Das finde ich aber auch so schön daran hier zu spielen – dass so viele unterschiedliche Menschen in dieses Theater kommen“, sagt Simon Dietersdorfer und wir verabschieden uns.
Weil es anfangs um Leerstellen ging: Dieses Stück gehört definitiv zu jenen, die bislang auf der Wiener Theaterlandkarte fehlten.