Die musikalische Verpackung lässt den Inhalt zunächst unschuldig wirken. Die Melodie des englischen Volkslieds schwingt leicht und fröhlich. Konterkariert wird das 13 Verse umspannende Lied vom grimmigen Text, in dem es um den Mord an einer alten Frau geht. „So she puked up blood, with a gurgle and a plop, so I stamped upon her face until I’d made her stop", rezitiert Timothy Connor aus seiner aktuellen Rolle als Officer Blazer in der Oper „The Lighthouse". Das sei schon eine mentale Herausforderung, solche Texte allein zu Hause zu lernen, sagt der nordirische Bariton und lacht. Am 28. Oktober ist Premiere in der Kammeroper des Theater an der Wien. Der BÜHNE erzählt er, warum dieses Werk den Zuhörer:innen trotz der brutalen Thematik Spaß machen wird.

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Spannend wie ein Krimi

Die Geschichte von „The Lighthouse" beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich um 1900 ereignete. Auf der Hauptinsel der Flannan Isles, dem Eilean Mòr, verschwanden auf mysteriöse Weise drei Leuchtturmwärter. Bis heute weiß man nicht: War es ein Unfall, ein Verbrechen? Oder gar mystische Kräfte am Werk? Die Horror-Oper ist spannend wie ein Krimi und eine Freude zum Zuhören.

Die 1979 von Peter Maxwell Davies geschriebene Kammeroper in einem Prolog und in einem Akt wurde 1980 in Edinburgh uraufgeführt. Für die damalige Zeit war es ein sehr experimentelles Stück. Auch heute braucht das Ohr einige Zeit, um sich zu orientieren. Sobald man die Melodien entdeckt, ist das Hörvergnügen umso größer. Die Gesangspartien sind stilistisch sehr wechselhaft: Synkopischer Sprechgesang wechselt zum Beispiel mit einer viktorianischen Ballade oder einer Jahrmarkthymne. Das Meer, Vögel und eine Katze bekommen ebenso Raum im gespenstischen Klangteppich, wie ein Honky Tonk-Piano, das die Stimmung der Einsamkeit im Leuchtturm verstärkt. „The Lighthouse ist atonal, es passiert extrem viel, es ist sehr rhythmisch. Es ist alles etwas irre, aber auch wunderschön", beschreibt es Connor.

Timothy Connor ist seit dieser Saison im Jungen Ensemble der Kammeroper am Theater an der Wien

Foto: Herwig Prammer

Neues Mitglied im Jungen Ensemble

Für die Rolle von Blazes ist Timothy Connor eine ideale Besetzung, hat er sich bereits mit seinen Interpretationen von Werken des 20. Jahrhunderts und des zeitgenössischen Repertoires einen Namen gemacht. Seit dieser Saison ist er das neue Mitglied im Jungen Ensemble des Theater an der Wien (JETS). Das Wiener Publikum kann sich über diese Besetzung freuen: Selbst der Guardian hat den charismatischen Nordiren bereits Rosen gestreut und ihn als „vielseitigen und gewinnenden jungen Bariton“ beschrieben.

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Dabei schien Connors musikalischer Weg zunächst in eine andere Richtung zu verlaufen. Zunächst war die Geige der Plan. Als er als persönlicher Assistent für einen Dirigenten arbeitete, entdeckte er Operngesang für sich neu. „Ich habe zwar nicht spät damit angefangen. Aber ich habe spät angefangen, es ernst zu nehmen", sagt Connor und lacht wieder schelmisch. Sein künstlerisches Repertoire ist vor allem durch seine Neugierde und seine Vielseitigkeit geprägt: Er spielt virtuos die Geige, ist in der traditionellen irischen Musik genauso künstlerisch zu Hause wie in verkopften John Cage-Arien oder in melodischen Werken von Rossini, Puccini und Mozart.

Sci Fi-Oper und Beethoven Volkslieder

Nach drei Highlights der vergangenen Jahre gefragt, muss Connor nicht lange überlegen. Er zählt seine Interpretation des Tarquinius in „The Rape of Lucretia" in Linz auf und begründet das so: „ Wenn man in seiner Muttersprache singen kann, ist das schon sehr speziell, weil man eine eigene Finesse hinzufügen kann." Die Rolle des Kris Kelvin in „Solaris" - basierend auf dem Sci Fi-Roman von Stanisław Lem aus dem Jahr 1961 - für die Neue Oper Wien bezeichnet Connor ebenfalls als außergewöhnliches Ereignis: „Nach eineinhalb Jahren ohne Arbeit war die Aufführung im Semperdepot der Akademie der Bildenden Künsten sehr speziell für uns alle."

Ein Konzert zu Beginn der Pandemie ist ebenfalls bemerkenswert: Connor sang und spielte zeitgleich irische Volkslieder von keinem Geringeren als Ludwig van Beethoven. Seine Volksliedbearbeitungen sind heute weitgehend unbekannt.  Die Arrangements basieren auf schottischen, walisischen und irischen Volksliedern. „Dabei war Beethoven nie in Irland", sagt Connor. Am Klavier wurde er an diesem besonderen Abend von Deirdre Brenner begleitet.

Der Grund für diesen zu Unrecht unterschätzten Teil des Gesamtwerks des Komponisten ist der Schotte George Thomson aus Edinburgh (1757-1851). Der Beamte wollte die Volkslieder erhalten und begann sie daher zu sammeln. Für die musikalischen Arrangements setzte er nicht auf Briten oder Iren, sondern kontaktierte berühmte Komponisten wie zum Beispiel Haydn und Pleyel. Mit beiden verlief die Zusammenarbeit bald im Sande. Schließlich fand er in Beethoven einen Partner für eine längere fruchtbare Kooperation.

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Kreativer Schmelztiegel

Connor schöpft gerne aus unterschiedlichen Quellen. „Ich möchte Inspiration von allem ziehen: Kunst, Drama, Musik. Da ist Wien ja auch der ideale Ort, weil die Stadt ein künstlerischer Schmelztiegel ist", sagt er. Bereits 2018 zog er nach Österreich und war Mitglied des Opernstudios des Landestheaters Linz. Die Ankunft im Vorjahr in Wien war holprig, da sie mit dem ersten Lockdown zusammenfiel. Aber im Ensemble der JETS geht es für Connor nun endlich richtig los: Nach „The Lighthouse" wird der Bariton zum Beispiel als „Laurent" in Tobias Pickers „Thérèse Raquin", in einer konzertanten Version von Mozarts beliebter Oper mit dem abgewandelten Titel „Don Giovani last minute" und im März kommenden Jahres noch als „Figaro" in Rossinis „Il barbiere di Seviglia" zu hören sein.

Zur Person: Timothy Connor

Der Bariton Timothy Connor studierte an der Guildhall School of Music and Drama und am Trinity Laban Conservatoire of Music and Dance, war Mitglied des Opernstudios am Landestheater Linz und der International Opera School des Royal College of Music, wurde als Britten-Pears Young Artist gefordert und erhielt internationale Preise.

Er trat bereits an der Neuen Oper Wien, am Landestheater Linz, am Theatre du Chatelet in Paris, an der MET in New York, beim Manchester International Festival, am Londoner Barbican, der Oper Wuppertal und der English Touring Opera auf. Diese Saison ist er in der Kammeroper als Balzes/Officer 2 in Maxwell Davies’ The Lighthouse, Laurent in Therese Raquin, Figaro in Il barbiere di Siviglia und in den JET-Specials Der Fall Straus und Don Giovanni Last Minute sowie im Theater an der Wien als Graf von Liebenau in Lortzings Der Waffenschmied zu erleben.

www.timothy-connor.com

Termine und weitere Infos: The Lighthouse in der Wiener Kammeroper