Der richtige Riecher: „Die Nase“ im Hamakom
Nicolas Charaux hat Gogols Novelle „Die Nase“ auf die Bühne gebracht und damit den richtigen Riecher für spannende Theaterstoffe bewiesen. Im Hamakom verpackt er die absurd anmutende Geschichte in einen ebenso sinnlichen wie humorvollen Theaterabend, bei dem die titelgebende Nase das Publikum auch ein wenig an der Nase herumführt.
Der Kollegienassessor Kowaljow erwacht (aus möglicherweise unruhigen Träumen) und stellt fest: Er hat keine Nase mehr. Zu einem etwas späteren Zeitpunkt wird er hören, dass die Stelle, wo sich einst seine Nase befand, nun aussehe wie eine frisch gebackene Palatschinke. „Immer der Nase nach“ lautet nun das Motto des stets auf Status und Prestige bedachten Beamten – ohne sich zu wundern, warum ihm so etwas passiert, macht er sich auf die Suche nach seinem Riechorgan. Dass ihn seine eigene Nase möglicherweise an der Nase herumführt, wird klar, als er ihr – in menschengroßer, uniformierter Gestalt – selbst begegnet. Der bürokratische Spießrutenlauf, den Kowaljow auf sich nehmen muss, zeigt auch: Der Verlust der Nase führt zum Ausschluss aus der Gesellschaft.
Die Nase ist die Nase ist die Nase
Nikolaj Gogols 1836 erschienene Erzählung mutet auf den ersten Blick zwar als interpretatorische Spielwiese an, sei jedoch fest in der Konkretheit verankert, ist Regisseur Nicolas Charaux überzeugt. Gemeinsam mit Barbara Noth hat er aus dem Text ein Theaterstück gemacht und im Hamakom auf die Bühne gebracht. „Gogols Sprache ist sehr konkret und detailreich. Durch diese Akribie entkommt der Text der Symbolik und scheint der Realität zu entspringen. Um das zu unterstreichen, gibt es in seiner Novelle Figuren, die als Zeugen bestimmter Vorgänge auftreten“, sagt Charaux, den wir mitten in den Endproben zum Interview treffen. Das bedeutet: Obwohl die Ereignisse unmöglich sind, wird die Geschichte so erzählt, als ob die Dinge, die passieren, fest in der realen Welt verankert wären. „Der Nase können natürlich viele unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden, die Geschichte würde jedoch an Offenheit, Größe und Wucht verlieren, wenn man sich auf eine Interpretation festlegt“, hält er daran anknüpfend fest.
Viel mehr als die Symbolik hätte ihn der Umgang mit dem Unbegreiflichen interessiert, in dem der Regisseur eine Parallele zur Gegenwart erkennt. „Die Hauptfigur steckt in einer Identitätskrise – in einem Zustand, der jenem des Wahns sehr nahe ist“, bringt es Nicolas Charaux auf den Punkt.
In seiner Inszenierung gibt es sowohl erzählte als auch dialogische Passagen. Alle drei Spieler*innen schlüpfen im Laufe des Stücks in die Rolle von Kowaljow. Die Übergänge, die stets inhaltlich motiviert sind, funktionieren wie bei einem Staffellauf. Die Live-Musik kommt vom Multiinstrumentalisten Sixtus Preiss und schafft, so Charaux, einen Klangraum. Die körperliche Herangehensweise, die den Großteil seiner Inszenierungen kennzeichnet, wird durch gezielt eingesetztes Maskenspiel zusätzlich befeuert. „Ich hätte es schade gefunden, wenn es bei einer erzählten Geschichte geblieben wäre. Es war deshalb von Anfang an mein Wunsch, auch den magischen, teils grotesken Teil dieser Geschichte zu verkörpern. Die Frage, wie das gelingen könnte, hat uns in den Proben sehr beschäftigt“, so der Regisseur, der darüber hinaus darauf hinweisen möchte, dass es auch ein sehr lustiger Text ist – gleichzeitig aber auch wenig beunruhigend und „auf humorvolle Weise irritierend.“
Der richtige Riecher
Die Idee, Gogols Novelle auf die Bühne zu bringen, entstand im Dialog mit dem Hamakom und dessen künstlerischer Leiterin Ingrid Lang. „Der Text begeistert mich schon seit vielen Jahren, ist aber nicht sehr theatral. Nun war der Punkt gekommen, an dem ich mir dachte, dass ich genug Vertrauen in mein Handwerk gesammelt habe, um diesen Text auf die Bühne zu bringen“, sagt Nicolas Charaux.
Zudem sei er mit dieser herausfordernden Aufgabe ja nicht alleine gewesen. „Ich gebe Anregungen und führe die Fäden zusammen, bin gleichzeitig aber immer für Ideen offen. Meine Stücke entstehen immer auf Augenhöhe und im Dialog, ich könnte mir gar keine andere Arbeitsweise vorstellen“, hält der in Lunéville in Frankreich geborene Regisseur fest. Dinge manchmal nicht sofort zu wissen und das auch zuzugeben, sei für ihn ebenfalls selbstverständlich. „Jedes Projekt ist anders und ich fühle mich nicht überlegener als vor 15 Jahren. Ich ruhe aber mehr in mir, weil ich ein gewisses Grundselbstvertrauen aufgebaut habe.“
Mittlerweile gelingt es Nicolas Charaux, auch in Krisensituationen Luft zu holen und Ruhe zu bewahren, erzählt er, bevor er zur ersten Hauptprobe muss. „Ich weiß einfach, dass sich die Dinge schon lösen werden und ich nicht alleine damit bin. Ein bisschen Distanz tut oft gut, wenn es darum geht, Lösungen zu finden“, sagt er und wirkt auch bei unserem Gespräch ganz und gar nicht so, als stünden die Zeichen auf Panik. Mit Gogols „Nase“ hat das Hamakom gemeinsam mit Charaux auf jeden Fall den richtigen Riecher für spannende Theaterstoffe bewiesen.
Jetzt reicht es aber auch mit der ausufernden Nasen-Metaphorik. Lieber ins Hamakom gehen – „Die Nase“ ist dort noch bis 19. Oktober zu sehen.