Romeo und Julia aus der Bronx
Liebe in Zeiten des Bandenkriegs: Leonard Bernsteins Musical-Bestseller „West Side Story“ erlebt eine gloriose Neuauflage. Dirigent Ben Glassberg über die Magie des Stücks, den Einfluss seines Großvaters und Schlaf als Sport.
„One Hand, One Heart“. Wer beim berühmten Duett, in dem Maria und Tony ihre eigene Hochzeit inszenieren, kein romantisches Ziehen in der Herzgegend verspürt, dürfte ein generelles Problem mit seiner Emotionalität haben.
Ben Glassberg gehört jedenfalls nicht zu den Leidenschaftslosen. „Ich habe den Originalfilm als Kind mindestens einmal im Monat gesehen, ich war wirklich besessen davon. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich sofort die Skyline von New York sehen und die Ouvertüre hören. Ich wollte ‚West Side Story‘ dirigieren, seit ich denken kann. Es ist also auch ein bisschen egoistisch von mir, dass ich es nun tatsächlich mache.“ Ben Glassberg lacht und wird dies im Verlauf des Gesprächs noch sehr oft tun.
Natürlich gibt es für die Volksoper weitere Gründe, Leonard Bernsteins 1957 uraufgeführtes Musical, das bis heute zu den erfolgreichsten aller Zeiten zählt, in einer neuen Inszenierung von Direktorin Lotte de Beer auf den Spielplan zu setzen. „Die Handlung ist sehr aktuell. Als wir mit der Planung dafür begonnen haben, war noch gar nicht abzusehen, in welche Richtung sich die Welt in den letzten Monaten entwickeln und wie relevant diese Geschichte von Hass und Liebe heute sein würde. Die Volksoper ist zudem in der Lage, ein komplettes Symphonieorchester einzusetzen, wovon ‚West Side Story‘, geschrieben von einem der größten Komponisten und Orchestratoren des 20. Jahrhunderts, enorm profitiert. Das Stück basiert auf ‚Romeo und Julia‘ von William Shakespeare, das auch nach Jahrhunderten noch immer aufgeführt wird. Wir fühlen uns davon angesprochen, weil wir alle Erfahrungen damit haben, wie der familiäre Background Beziehungen beeinflussen kann. Und viele von uns sind Immigranten, was bei ‚West Side Story‘ ebenfalls eine zentrale Rolle spielt.“
Musikalisch sei es schlicht „unglaublich“ – und mit all seinen Genres, von Progressive Jazz über Latin bis zur Oper, „wahrscheinlich das beste Musical, das je geschrieben wurde“. Dass er damit nun seinen Einstand als neuer Musikdirektor feiern darf, ist zwar Zufall, für ihn aber auch „großartig“. Man könnte es auch als Heimkehr interpretieren, denn die erste deutschsprachige Aufführung von „West Side Story“ fand 1968 in der Volksoper statt.
Anton Zetterholm über die Hauptrolle der Hauptrollen
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Prägender Großvater
Ben Glassberg wuchs in London auf – der Welthauptstadt von Pop und Rock. Wie kam er überhaupt zur klassischen Musik?
„Das verdanke ich meinem Großvater, der mich schon als Kind offenbar zu den richtigen Konzerten mitgenommen hat, sodass ich sofort das Gefühl hatte, dass mich diese Art von Musik anspricht. Meine Eltern haben mich später ebenfalls sehr unterstützt und von Stadt zu Stadt chauffiert, damit ich Auditions für diverse Jugendorchester absolvieren konnte.“
Ich wollte ‚West Side Story‘ dirigieren, seit ich denken kann.
Er war damals Schlagzeuger und laut eigenen Angaben etwas vorlaut. „Eines Tages bin ich wohl zu weit gegangen, weshalb der Dirigent meinte, ich solle doch selbst weiterdirigieren. Natürlich wusste ich nicht, wie das geht, aber ich empfand auch eine Art von Zauber. Alle Augen und Ohren sind einem zugewandt, man ist Teil von etwas Größerem. Da hat es bei mir gefunkt – ich habe mich in das Dirigieren verliebt und sofort begonnen, Unterricht zu nehmen.“ Der Beginn einer Karriere, die mehr als rasant verlief und die den „Guardian“ lobend urteilen ließ, er dirigiere „mit unwiderstehlichem Elan“.
Was macht einen guten Dirigenten aus? Ben Glassberg denkt länger nach. „Starke musikalische Ideen, Verständnis für die Technik eines jeden Instruments, guter Geschmack, und ich denke, er muss Verständnis für andere Menschen haben. Es muss ein gewisses Feuer vorhanden sein, das die Leute dazu bringt, mit einem arbeiten zu wollen. Als Dirigent sollte man Vertrauen schaffen, sodass die Musiker ihr Bestes geben können.“
Zuneigung und Schlafentzug
Das Verhältnis zum Volksopernorchester sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. „Die Art, wie sie einander und den Sängern zuhören, ist unglaublich. Ich habe das noch bei keinem anderen Orchester weltweit erlebt. Sie arbeiten sehr hart. Wenn eine Probe bis 13 Uhr angesetzt ist und sie am Abend Vorstellung haben, sind sie um 12.59 Uhr noch immer voll motiviert und wollen weitermachen. Und sie haben Humor. Wenn sie Fehler machen, können sie darüber lachen. Je mehr man ihnen gibt, desto mehr bekommt man zurück. Bei manchen Orchestern ist das eher umgekehrt.“
Dirigieren ist auch für einen noch nicht ganz 30-Jährigen wie ihn physisch anstrengend. Wie also hält er sich fit? „Wenn du jeden Tag am Pult stehst, ist das allein schon Training genug“, meint er amüsiert. „Ich bin eine Zeit lang viel gelaufen, was ich aber reduziert habe, weil es meinen Knien nicht guttut. Später hatte ich eine Kickbox-Phase, aktuell fahre ich viel mit dem Rad. Aber in erster Linie schlafe ich, wann immer es geht, weil ich zwei kleine Kinder habe und nachts kaum dazukomme.“
Welche Musik hört er, wenn er abends nach Hause kommt? „Keine. Da brauche ich Stille. Oder ich schaue seichte Sitcoms, bei denen man sich nicht konzentrieren muss. Danach trinke ich einen guten Whiskey und gehe ins Bett.“