Im Vergnügungs-Karst des Lockdowns hatte ich mir viel vorgenommen: neben Entrümpelungsorgien und der Vervollkommnung von Zitronentartes die Lektüre von Weltliteratur, Proust, Dostojewski, Roth (Joseph und Philip), Bildungsbürger-­Libido, volle Kraft voraus. Doch die kollek­tive Verunsicherung und der individuelle Konzentrationszickzack ließen mich stattdessen zu einem Netflix-Idioten verkommen: Ich vertiefte mich nächtelang in die Serienkillerjagd jedes skandinavischen Problemkommissars oder das muntere Treiben von nomadisierenden Zombies in der Post-­Apokalypse. Mein Hirn schrumpfte auf die Größe eines sauren Drops. 

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Scherz-Therapie

Damit ist jetzt Schluss, ich will zurück ins Leben. Oder in die kunstvolle Behauptung von Leben, also ins Theater. Aber, bitte, liebe Direktoren: Gebt uns Komödien! Wir brauchen dringend Scherz-Therapien. Es ist noch immer ein im deutschsprachigen Raum weitverbreitetes Missverständnis, dass Unterhaltung und ernst zu nehmende Kunst getrennter Wege gehen sollten. ­Komödien sind doch in Wahrheit das forderndste Genre. Mit Leichtigkeit die großen Themen zu bewältigen, das ist das Schwierigste. Dort wird der Finger in die ­Wunden gelegt und danach auch noch getanzt; menschliche Schwäche offengelegt und dabei noch gestreichelt.

Eine Krise bewältigen kann jeder Idiot. Die wahre ­Herausforderung ist der Alltag.

Anton Tschechow

„Wir müssen lernen, die Komödie zu Ende zu spielen. Wir müssen das Unglück müde machen“, schrieb Charles Dickens, der im Genre Kindheits-­Tristessen mit glücklichem Ausgang seinen literarischen Hauptwohnsitz hatte. Und auch wenn diese beiden Dramatiker nicht mit Clownnasen daherkommen wie Goldoni, Labiche oder Molière: Thomas Bernhard und Anton Tschechow sind sich in ihrem heiter bis beschwingten Lebensekel gar nicht so unähnlich. Beide sind große Komödienschreiber. Tschechow war überzeugt: „Eine Krise bewältigen kann jeder Idiot. Die wahre ­Herausforderung ist der Alltag.“ 

Therapeutische Kraft von Komödien

Ich werde erneut in den hervorragenden „Kirschgarten“ in der Josefstadt pilgern. Die „Jagdgesellschaft“ im Akademietheater steht ganz oben auf meiner Theater-Unter­zuckerungs-Aufholbedarf-Liste, nicht nur weil Maria Happels scharlachrotes Lackkleid das schärfste Kostüm dieser Theatersaison ist. Es war eines von Bernhards Lieblingsstücken. Carl Zuckmayer ging nach dessen Lektüre verbal in die Knie: „Es ist ein grandioses Stück […] Selbst ein Mann, der nur im Ofen Holz nachlegt, wird darin eine Rolle, um die sich Schauspieler schlagen müssten.“

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Bei Bernhard lacht man Tränen. So wie bei Yasmina Reza, deren stärkstes Stück „Drei Mal Leben“ in der Regie von Luc Bondy im Akademietheater eine Inszenierung mit Ewigkeitsanspruch war. Manche erinnern sich an Andrea Clausens Kampfschrei: „Gib mir den Rest im Audi!“ Auch Loriot wäre ein Tschechow unserer Tage, hätte man ihm nicht das Etikett „Satiriker“ draufgepappt. Satiriker greifen Inten­danten nur mit spitzen Händen an. Die therapeutische Kraft von Witz und Witzen wurde bei der Bekämpfung von psychischen Störungen wie Angsterkrankungen, Depressionen und Zwangsstörungen erfolgreich zum Einsatz gebracht. Wir brauchen diese Kraft mehr denn je.

Tränen lachen

Denn das Wesen des Humors wurde vom jüdischen Volksdichter Scholem Alejchem so erklärt: „Wenn ein Tier einen tiefen Schmerz fühlt, dann schreit es. Der Mensch – als einziges Lebewesen dieser Erde – hat noch eine zweite Möglichkeit: Er kann ­lachen.“ Bernhards Figur des Schriftstellers in der „Jagdgesellschaft“ formuliert Ähnliches so: „wir reden nicht darüber / und wenn wir darüber reden / reden wir so darüber / als wäre / über was wir reden / nicht wirklich […] damit wir es ertragen / aushalten.“

Angelika Hagers Kolumne
Angelika Hager ist Journalistin und Autorin.

Foto: Rafaela Proell

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesell­schafts­resssort beim Nachrichtenmagazin „profil“. Sie ist die Frau ­hinter dem Kolumnen-­Pseudo­nym Polly Adler im ­„Kurier“. Hager gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich). 

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