Man könnte die bekannte Floskel „Und plötzlich ging alles ganz schnell“ verwenden, um zu beschreiben, wie der heute 41-jährige Schauspieler Johannes Zirner vor ziemlich genau zwanzig Jahren seine Schauspielkarriere auf jener Bühne begann, auf der er seit Herbst 2019 wieder regelmäßig in verschiedene Rollen schlüpft. Oder man füllt diesen Satz mit Leben und beginnt in Erinnerungen zu kramen. Johannes Zirner entscheidet sich im Interview mit der BÜHNE für Letzteres. Dass er kein besonders großer Freund von Plattitüden ist, ist bereits nach wenigen Minuten klar. „Klaus Maria Brandauer hat mich damals zu Andrea Breth ans Burgtheater zum Vorsprechen geschickt“, fängt er an zu erzählen.

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Zu diesem Zeitpunkt studierte der in Nordrhein-Westfalen geborene Schauspieler noch am Max Reinhardt Seminar, und Brandauer gehörte zu seinen Lehrern. „Nach dem Vorsprechen meinte sie, dass sie es probiere und mich besetze – sie könne mich ja immer noch umbesetzen“, erzählt er lachend. Kleists „Käthchen von Heilbronn“ stand damals auf dem Programm. Doch nicht nur an das Stück selbst erinnert sich Johannes Zirner noch gut: „Als Debütant musste man damals noch alleine vor den Vorhang treten, um sich zu verbeugen. Das war angenehm und unangenehm zugleich. Stolz war ich aber auf jeden Fall.“ 

Von Wien nach Bochum

Von Wien ging es für ihn dann weiter ins, wie er es beschreibt, deutlich „roughere“ Bochum zu Matthias Hartmann. „Als Anfänger hat mich Wien mit all seinen bombastischen Bauten fast erschlagen. Damals war die Stadt einfach viel zu groß für mich, und irgendwie war ich schon dort, wo man eigentlich erst mal hinkommen muss“, fasst Johannes Zirner die Zeit nach dem Studium zusammen. „Beinahe fluchtartig“ hat er, wie er erklärt, die Stadt damals verlassen, um einige Jahre ­später, in einer Inszenierung von Matthias Hartmann, wieder zurückzukommen, zumindest kurzfristig. Und weil aller guten Dinge ja bekanntlich drei sind, ist Johannes Zirner nun wieder in Wien – und am Burgtheater. „Diesmal, dachte ich mir, bleibe ich ein bisschen länger“, sagt er schmunzelnd. 

Für den Schauspieler mit dem hellwachen Blick ist das Zurückkommen nach Wien aber nicht nur eine Rückkehr zu seinen schauspielerischen Wurzeln: Seine Urgroßmutter Ella Zirner-Zwieback betrieb bis 1938 ein großes Bekleidungsgeschäft in der Kärntner Straße, musste nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland jedoch mit ihrem Sohn in die USA fliehen. Gemeinsam mit seinem Vater und seiner Schwester Ana versucht er, die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren, um die Geschichte richtigzustellen beziehungsweise richtig erzählen zu können.

Neue Antworten finden

Seit seiner Rückkehr ans Burgtheater war Johannes Zirner unter anderem in „Wer hat Angst vor Vir­ginia Woolf“, „Die Traumdeutung“ und „Das Leben ein Traum“ zu sehen. Das in der Regel emotional stark aufgeladene Wort Neuanfang kommt ihm erst über die Lippen, als er über das Theaterspielen selbst spricht. „Als Schauspieler fange ich immer wieder bei null an. Jede neue Rolle erfordert neue Antworten, auch wenn die Fragen ähnlich bleiben.“ Zu dieser Form des Neubeginns, der jedes Mal kreative Prozesse in Gang setzt, die nie wirklich abgeschlossen sind, gehört für Johannes Zirner auch, hin und wieder so richtig danebenzuhauen. „Erst vor kurzem ist mir das in einer Probe wieder passiert“, gibt er offen und ohne große Umschweife zu.

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Mit derselben Klarheit fügt er hinzu, dass Proben schließlich dazu da seien, Dinge auszuprobieren. „Ich finde es super, wenn man in den Proben eine große Bandbreite hinbekommt und mit einer Figur wirklich alles ausprobiert. Danach reduziert man es dann darauf, was man mit der Figur erzählen möchte.“ Grundsätzlich findet er Charaktere reizvoll, die einen Abgrund haben, diesen aber nicht direkt zeigen möchten. Wie er lachend feststellt, sei für ihn außerdem die Zeit des „jugendlichen Liebhabers“ nun langsam vorbei: „Mit 41 rutsche ich immer mehr in ein anderes Fach hinein. Darauf freue ich mich schon sehr.“

Spieltrieb

Wie gelingt es, an verschiedene Lebensphasen, Stücke und Genres so offen heranzugehen? Johannes Zirner zitiert Max Reinhardt: „Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren.“ Ein Satz, den man dem Schauspieler mit dem spitzbübischen Grinsen sofort abkauft. Für den eigenen Spieltrieb kann diese Form der kindlichen Neugier auf jeden Fall nur von Vorteil sein. Wer dafür Beweise braucht, findet diese mit Sicherheit in der neuen Produktion des irisch-britischen Regie-Duos Dead Centre, bestehend aus Ben Kidd und Bush Moukarzel, deren Stück „Die Traum­deutung“ schon am Burgtheater zu sehen war. In „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ widmen sie sich nun Ludwig Wittgenstein. „Anhand eines konkreten Beispiels versuchen wir in diesem Stück, die sprachphilosophischen Theorien Wittgensteins zu erklären, und bringen diese auch mit dem Schauspiel in Verbindung“, so Zirner. 

Bleibt eigentlich nur noch eines zu erwähnen: „Und plötzlich ging alles ganz schnell, und Johannes Zirner verbeugte sich wieder vor dem Wiener Publikum.“ Geht es um die Linderung der Theatersehnsucht, sind nämlich auch Plattitüden akzeptiert.

Zur Person: Johannes Zirner

Vor seinem Engagement am Burgtheater gehörte Johannes Zirner zum Ensemble des Münchner Residenztheaters. Gemeinsam mit Martin Kušej wechselte er im Herbst 2019 nach Wien. Neben seinem Engagement am Theater wirkte er in zahlreichen ­Fernsehproduktionen mit.

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Weitere Infos zu Dead Centres „Alles, was der Fall ist" finden Sie hier