Stella Theater: Wie duftet die Wirklichkeit?
Was passiert, wenn sich Realität und Fantasie in den 1930ern vermischen? Das Musiktheater „Der Duft von Wirklichkeit“ kommt am 21. März 2025 auf die Bühne des Stella Theaters und erzählt die Geschichte einer Liebe zwischen Traum und Wirklichkeit.

Foto: Marcel Plavec
Die Türen schwingen auf, uns schlägt Kaffeehauslärm entgegen. Fast alle Tische sind voll, Menschen trinken Kaffee und plaudern über die weißen Tischdecken hinweg. Das soll uns nicht weiter stören, werden wir doch bald in eine andere Welt geführt…
Wir treffen Regisseurin Isabella Gregor und Schauspielerin Nini Stadlmann im Café Prückel auf einen Cappuccino. Unter dem Wiener Traditionskaffeehaus am Stubenring befindet sich das Stella Theater, das vor einem halben Jahr wiedereröffnet wurde. Dort wird seit 21. März 2025 das Musiktheater „Der Duft von Wirklichkeit“ von Werner Bauer auf die Bühne kommen.
Von der Leinwand in die Vergangenheit blicken
Ort der Handlung sind die 30er-Jahre: Der Komponist Werner Richard Heymann revolutioniert die Tonfilmoperette. Am Zenit seines Erfolgs angelangt, kommen die Nationalsozialisten nach Deutschland und er sieht sich gezwungen, Deutschland zu verlassen.
Das Stück setzt genau in dem Moment an, wo Heymann emigrieren muss und nur sein Filmmaterial von ihm erhalten bleibt.
„Es war auch tatsächlich in der Geschichte so, dass man nach den Kündigungen der jüdischen Mitarbeiter*innen auf Leute zurückgreifen musste, die mit der Materie gar nicht so firm waren. Und so wurden Studenten in diese Positionen gesetzt, genauso wie unser Hauptdarsteller Fritz, der dann das Filmmaterial transkribieren musste“, fasst Schauspielerin Nini Stadlmann zusammen. „Er ist ein Cineast, der sich in diese Traumwelt hineinträumt und dem Alltag entfliehen möchte.“
Nini Stadlmann spielt die Filmfigur Claudine, die sich nach der Wirklichkeit sehnt und entscheidet, buchstäblich aus dem Film herauszutreten, als sie Fritz dabei zusieht, wie er mit dem Notenmaterial arbeitet.
„Sie treffen sich an dem Punkt und sind dabei wie Ying und Yang – sie möchte in die Realität und er in die Traumwelt,“ so Stadlmann. Konträr machen beide zueinander eine Entwicklung durch. „Fritz wird ein Realist und er schafft es, aus diesem Traum nochmal rauszugehen und in der realen Welt sein Leben zu gestalten. Claudine hilft ihm dabei.“
Was mit ihrer Figur am Ende passiert, will die Schauspielerin jedoch nicht verraten.

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Raum für Traum und Wirklichkeit
„Diese Begegnung zwischen Traum und Wirklichkeit ist das Hauptthema des Stücks. Und ich finde es sehr schön, dass diese zwei Thematiken über die Musik von Werner Richard Heymann zueinander finden“, fügt Isabella Gregor hinzu.
„Die Musik von Werner Richard Heymann ist dabei der Dreh- und Angelpunkt für die Geschichte. Und das finde ich sehr schön gelöst von Werner Bauer (der Autor des Stücks, Anm.).“ Gesungen wird unverstärkt, zudem rundet ein Live-Musiker den Musiktheater-Abend am Klavier ab.
Neben tiefgehenden Momenten spielt auch eine gute Portion Humor hinein. „Das ist das, was für mich Theater ausmacht: Laune, Lachen, Weinen, Musik, Tanz,“ findet Gregor. „In diesem Stück lässt Fantasie alles möglich machen, bis die Figuren von der Realität eingeholt werden. Aber diese Fantasie kann und darf leben und das ist gerade in dieser Geschichte so schön.“
Was danach kommt
Und wie schafft man es, die Thematik trotz der schweren Umstände, in denen das Stück spielt, mit Humor zu behandeln?
„Werner Bauer ist es wirklich gut gelungen, aufzuzeigen, wie die Mechanismen in der Zeit funktionieren und welche einsetzen, um diese Veränderung in der Welt stattfinden zu lassen. Da muss man das ein oder andere Mal lachen, weil es beim Zuschauen so absurd wirkt", sagt die Regisseurin. „In der Zeit, in der all das stattgefunden hat, wussten die Menschen nicht, wie es weitergehen wird. So geht es uns auch heute: Wir wissen auch noch nicht, wohin sich die Gegenwart entwickelt.“
„Und da dockt meine Rolle Claudine auch an“, setzt Stadlmann ein. Darzustellen, dass ihre Figur weniger weiß als das Publikum sei eine Herausforderung. „Bei den Proben berührt es mich oft, weil ich weiß, was auf die Charaktere zukommen wird. Nur die Figuren wissen es eben noch nicht.“

Foto: Marcel Plavec
Wie schmeckt ein Apfel?
Zusätzlich kommen noch andere Faktoren hinzu, die es mit sich bringen, eine fiktive Filmfigur aus den 30ern zu spielen. „Mein Charakter ist eine pure Figur – wie bei einem Kind, das sehr spontan und ungefiltert reagiert. Claudine weiß nicht, wie ein Apfel oder ein Sekt in der Realität schmeckt. Im Film ist alles geschmacks- und geruchslos, also versuchen wir das auf eine witzige Art ins Stück einfließen zu lassen,“ so Stadlmann.
Gregor setzt nach: „Sie ist keine Figur, die von einer Schauspielerin gespielt wird, sondern ein erfundenes Wesen, das in die Wirklichkeit kommt. Dadurch hat sie natürlich ein ganz anderes Bewusstsein.“
Davon käme auch der Titel des Stücks „Der Duft von Wirklichkeit“: dass Claudine in die Realität schnuppert, buchstäblich.
Kleine Theater sind die größte Herausforderung
„Natürlich sind kleine Theater immer die größte Herausforderung“, so Gregor. Neben Zusatzarbeit, die bei größeren Theatern nicht anfällt, sind hier die Anforderungen deutlich höher gesteckt. „Künstlerisch arbeiten wir aber nicht anders als an großen Theatern“, sind sich Stadlmann und Gregor einig.
Geholfen habe der Regisseurin dabei, dass sie ihr Team – u.a. Julia Pschedezki für die Kostüme, Lisa-Marie Rettenbacher für die Choreografie – mitbringen konnte, mit dem sie bereits zusammengearbeitet hat.
„Unsere Choreografin Lisa-Marie Rettenbacher hat es geschafft, auf kleinem Raum einen neuen, modernen Ansatz zu finden. Man sieht auf der Bühne richtig viel und die Choreografien sind anspruchsvoll wie in einem Stadttheater“, lobt Isabella Gregor mit einem Lächeln.

Foto: Marcel Plavec
Unsere Gläser und Tassen vor uns sind bereits leer, als wir ans Ende des Gesprächs gelangen. Wie das Publikum aus dem Abend herausgehen soll, fragen wir zum Schluss. Kurz überlegen Gregor und Stadlmann.
„Mit Hoffnung und Liebe“, sagt Gregor schließlich. „Und nachdenkend über unsere Zeit und vielleicht auch mit dem Wunsch, etwas dafür zu tun, damit wir in Friedenszeiten und in Demokratie weiterleben.“ Und Nini Stadlmann fügt hinzu: „Mit einer erkennbaren Melodie von Werner Richard Heymann im Ohr auf dem Weg nach Hause.“
Wir sind uns sicher, der Musiktheater-Abend bleibt dem Publikum genauso in Erinnerung wie uns das Gespräch im Café Prückel.