Im weißen Rössl: Liebe, Lust und Klimawandel
Der Wolfgangsee hat 45 Grad, Josepha Vogelhuber ist eine Giftspritze, und Zahlkellner Leopold hat wenig zu lachen. Das Publikum dafür umso mehr: „Im weißen Rössl“ kümmern sich Annette Dasch und Jakob Semotan humorkonsequent um ihre Gäste.
Realismus ist keine Option. Schon gar nicht in der Operette. Weshalb es auch kein Malheur ist, dass Annette Dasch noch nie am Wolfgangsee war und es Jakob Semotan lediglich bis nach Bad Ischl geschafft hat. „Im weißen Rössl“ gehört dank der filmischen Version mit Waltraut Haas und Peter Alexander, die über Jahrzehnte ein TV-Dauerbrenner war, ohnehin zur kollektiven Erinnerungsverklärung mehrerer Generationen.
Nun wagt sich die Volksoper in der Regie von Jan Philipp Gloger an eine Neuinszenierung: Annette Dasch übernimmt die Rolle der Rösslwirtin Josepha Vogelhuber und Jakob Semotan jene des Zahlkellners Leopold Brandmeyer.
Beide Bühnenkapazitäten erscheinen bestgelaunt zum Interview. Die Proben haben zwar erst zwei Tage zuvor begonnen, dennoch weiß man schon ziemlich genau, wohin die Reise gehen wird.
„Ich habe dieses Stück noch als Schülerin zum ersten Mal 1994 in der Berliner Bar jeder Vernunft gesehen“, erzählt Annette Dasch von jener Inszenierung, die mit Otto Sander und den Geschwistern Pfister in den Hauptrollen ein Sensationserfolg wurde. „Es war wild und verrückt, die Darsteller trugen Trachtenjanker und agierten vor Pappkulissen. Operette war zu der Zeit in Berlin praktisch nicht präsent. Ich habe das gefeiert und sehr genossen.“
Jakob Semotan wurde eher konventionell an Ralph Benatzkys Singspiel herangeführt. „Ich bin mit ORF 2 aufgewachsen. Wenn ich als Kind am Sonntag viel zu früh wach war, haben mich meine Eltern des Öfteren vor den Fernseher gesetzt.“ Und da war er: Peter Alexander und seine Behauptung, dass man im Salzkammergut gut lustig sein könne.„Dieser amüsante Typ, bei dem immer alles so mühelos aussah, ist ein Mitgrund, dass ich diesen Beruf ergreifen wollte.“
Hochgejazzt und abgerockt
Annette Dasch gefällt an „ihrer“ Josepha Vogelhuber, dass sie keine charmante Sympathieträgerin ist. „Wenn man sich den Originaltext durchliest, erkennt man schnell, dass diese Wirtin ganz schön Pfeffer im Hintern hat. Sie behandelt ihre Angestellten durchwegs schlecht, woraus für das Stück eine herrliche Reibung entsteht, weil hier keine romantische Komödie stattfindet, man sich aber dennoch großartig amüsiert.“
Einer der von der Chefin schlecht Behandelten ist Leopold Brandmeyer. „Man fragt sich wirklich: Woher kommt seine Liebe zu dieser Frau, und warum ist sie so groß? Die Rolle weist beinahe masochistische Züge auf. So etwas bekommt man nicht oft angeboten“, freut sich Jakob Semotan auf die seltene Aufgabe. Gespielt wird eine erst vor fünfzehn Jahren wiederentdeckte Fassung aus den 1930er-Jahren. „Da ist nichts zahm oder weichgespült“,so Jakob Semotan, „sondern man erkennt, wie frech und aufgeschlossen die Menschen damals waren, ehe die Nazis kamen und uns gesellschaftlich wieder um Jahrzehnte zurückgeworfen haben.“
Die Musik ist jazzlastig. Das Rössl im Stück hat schon bessere Zeiten gesehen, ist aber immer noch gut genug, um Touristen zur Kasse zu bitten. „Jan Philipp Gloger wirft mit seiner Inszenierung einen ebenso humorvollen wie bissig-aktuellen Blick hinter die Kulissen von Tourismus und Übertourismus“, erklärt die Volksoper auf ihrer Homepage. Und wie schaut der aus? „Ich spreche als Nichtösterreicherin einen Fake-Dialekt, der die Gäste von meiner Authentizität überzeugen soll“, präzisiert Annette Dasch. „Man sieht auch, dass die Postkartenfassade allein nicht ausreicht, sondern Gastronomie ein beinhartes Geschäft ist. Reiche Typen wie Sigismund treffen auf Mitarbeiter wie Leopold, der sich Geld leihen muss, um Josepha Blumen kaufen zu können.“
Auch am Klimawandel kommt man nicht vorbei. Szenen, bei denen der Wolfgangsee 45 Grad hat und darin Badende ihm algenbehangen wieder entsteigen, sind allerbeste Satire. Denn sie haben in ihrer Überzeichnung einen tragisch-wahren Kern und sind gerade deshalb unglaublich komisch.
Flammendes Plädoyer
Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen hat Annette Dasch, wiewohl gefeierte Opernsängerin, keine Dünkel, was die Operette betrifft. Was interessiert sie an diesem Genre? „Ich hatte irgendwann das Gefühl, all diese ewig geknechteten, leidenden, sterbenden Frauen färben auf mich ab.
Den ganzen Abend vor irgendwelchen Königen und potenziellen Mördern auf Knien herumzurutschen, macht keinen Spaß. Als ich zum ersten Mal Eva in ‚Die Meistersinger von Nürnberg‘ gesungen habe, die nicht geprügelt die Bühne verlässt, sondern über die das Publikum auch lachen kann, ist mir klar geworden, dass in mir eine Komödiantin stecken könnte.“
Sie interessiere sich auch überhaupt nicht für jedwede Opernnostalgie, sondern als heutige Frau für den gesellschaftlichen Diskurs, innerhalb dessen man Oper auch rechtfertigen könne. „Das bedeutet, man muss zu einer Lesart finden, die diese Stücke aus einer feministischen Perspektive betrachtet, was einigermaßen kompliziert ist. Bei der Operette ist das viel einfacher, weil sie von vornherein weitaus frecher mit Rollenbildern umgeht. Strunzbieder wurden Operetten erst in den 1950er- und 1960er-Jahren, weil es im Dritten Reich auch eine Regression des Frauenbildes gab.“
Sie genieße diese relativ neue berufliche Vielfalt, die sie mit Partien wie den Titelrollen in „Madame Pompadour“, „Die lustige Witwe“ oder „Die Dubarry“ bereits an der Volksoper künstlerisch ausleben konnte – und denen noch viele Operettenengagements folgen sollen.
Jakob Semotan ist nach eigenen Worten in das Genre hineingestolpert. „Ich habe Musical studiert und lange Zeit nur jene Operetten gekannt, die ich an der Volksoper gespielt habe. Erst später habe ich mich näher mit der Thematik beschäftigt. Operette nimmt sich nicht so ernst, sondern verhandelt große Gefühle immer mit Humor. Das ist für einen Schauspieler natürlich reizvoll.“
Mittlerweile tritt er nicht mehr „nur“ auf, sondern hat zum Beispiel für „Die lustige Witwe“ auch die Dialoge überarbeitet. Next step: Regie?
„Absolut. Für mich gibt es nichts Tolleres als Theater, und das möchte ich in jeder Form mitgestalten können. Es ist keinesfalls so, dass ich das Schauspielen aufgeben will oder werde, aber ich möchte mich in den nächsten Jahren noch mehr entfalten, weiterhin schreiben und irgendwann einmal auch inszenieren. Das ist das Ziel.“