Ilia Staple: Schmäh trifft Stimme
Als Papagena hatte Ilia Staple die Lacher auf ihrer Seite. Nun gibt sie in „Arabella“ die naturgewaltige Fiakermilli. Die Linzer Sopranistin ist neu in der Juwelenschatulle der Staatsoper. Unprätentiös, feinfühlig, überzeugend.

Foto: Petra Rautenstrauch
„Ich feiere auch den siebten Zwerg.“ Ilia Staple meint es ernst. Nicht die Bühnenzeit einer Rolle sei für sie entscheidend, sondern deren Gestaltungsmöglichkeiten. In Barbora Horákovás Neuinszenierung der „Zauberflöte“ verhalf ihr diese künstlerisch smarte Perspektive jüngst dazu, als Ereignis in Erinnerung zu bleiben.
Mit puppigem Alter Ego in der Hand und österreichischer Färbung im Text beeindruckte sie das Publikum darstellerisch nachhaltig. „Papagena ist grundsätzlich eine spielfreudige Person und wurde von der Regie auch so angelegt. Die Größe der Aufgabe ist überschaubar, was die Lust darauf aber keinesfalls trübt.“ Und obwohl sie schon länger gut im Geschäft ist, kam ihr Auftritt einer Neuentdeckung gleich.
Schauspielerische Fähigkeiten seien in ihrem Beruf immens wichtig und würden in der Ausbildung viel zu sehr vernachlässigt. „Natürlich stehen wir in erster Linie da oben, weil wir singen können – aber nur wenn ich die Handlung wirklich durchlebe und ein greifbarer Charakter bin, mit dem sich das Publikum emotional auseinandersetzen kann, werde ich auch berühren.“
Freud und Leid
War es für sie als Sopranistin eine Wohltat, einmal nicht duldsam dahinsiechen zu müssen, sondern mit komödiantischem Talent überzeugen zu dürfen? Ilia Staple lacht. „Papagena stirbt nicht. Viele andere Figuren in meinem Fach schon. Aber auch da ist die Herangehensweise entscheidend. Ich habe zum Beispiel am Münchner Gärtnerplatztheater Gilda in ‚Rigoletto‘ gesungen, da war die Sterbeszene sehr intim gelöst. Es kommt also auf die Spielaufgaben an. Wenn diese abwechslungsreich sind und viele Möglichkeiten beinhalten, was in einem Repertoirebetrieb wie der Staatsoper der Fall ist, habe ich Freude daran.“
Humorvoll geht es für Ilia Staple auch gleich weiter. In Richard Strauss’ Oper „Arabella“ wird sie ab Mitte April die historische Figur der Fiakermilli verkörpern. Wie würde sie diese charakterisieren?
„Typisch wienerisch, wobei man sich nun fragen kann, was das ist. Ich sehe sie in einer großen farblichen Band- breite – von derb jodelnd bis zu schönen Spitzentönen –, die der Wiener ja auch hat, denn er geht zum Heurigen genauso wie auf den Opernball. Das in kurzer Zeit auf den Punkt zu bringen, wird meine Aufgabe sein. Ich glaube, mir wäre die Fiakermilli sympathisch, wahrscheinlich wäre ich mit ihr befreundet, obwohl das wahrscheinlich ein damischer Ritt wäre.“
Die echte Fiakermilli, Emilie Turecek, gelangte als Volkssängerin dank ihrer obszönen Texte und ihres Jockey-Outfits, für das sie eine polizeiliche Genehmigung benötigte, zu ansehnlichem Ruhm. Immer wieder kam sie auch mit dem Gesetz in Konflikt und starb nur 42-jährig an einer Leberzirrhose. „Fad war es mit ihr sicher nie. Und Persönlichkeiten, die den Mut haben, in jedem gesellschaftlichen Setting ihr wahres Ich zu zeigen, sind doch die interessantesten.“

Foto: Petra Rautenstrauch
Prinzessin von Troja
Ilia Staples Weg in die Kunst war zumindest namentlich vorgezeichnet. Ihre Mutter, ebenfalls Opernsängerin, und ihr Vater, ein Dirigent, der leider noch vor ihrer Geburt starb, wählten ihren ersten Vornamen nach der Prinzessin von Troja in „Idomeneo“ aus. Und fügten als zweiten Richard Wagners Isolde hinzu. „Aber das wissen zum Glück nur die wenigsten.“ Wussten, sorry.
Ilia Isoldes Mutter musste sich als Alleinerzieherin zweier Töchter beruflich neu orientieren und wurde eine gefragte Gesangslehrerin. „Von diesem Kuchen durfte auch ich ein wenig naschen, ohne dass sie das je forciert hätte. Sie ist sehr vorsichtig mit mir umgegangen, aber ich habe es geliebt, als Kind einfache Übungen mit ihr zu machen. Sie hat selber bei Wilma Lipp studiert und konnte diese brillante Technik sehr gut an ihre Schülerinnen und Schüler weitergeben.“
Ihr seien alle Möglichkeiten offengestanden – „und ich wäre sicherlich in jegliche Richtung unterstützt worden“ –, dennoch habe sie sich bei aller Skepsis, die einen auf diesem Weg immer begleite, früh für das Singen entschieden.
Um ihr dieses auf internationalem Niveau zu ermöglichen, braucht es für die zweifache Mutter ein funktionierendes Netzwerk.
„Ich habe einen Mann, der mich enorm unterstützt, und meine Mama wohnt quasi ums Eck und springt bei Bedarf ein. Unsere Homebase ist nach wie vor Linz, weil mein Mann (Kontrabassist Alvin Staple; Anm.) im Bruckner Orchester spielt. Dank des Klimatickets lässt sich mein Engagement in Wien sehr gut bewältigen. Ich breche immer wieder aus meiner gewohnten Umgebung aus und gehe an der Wiener Staatsoper meinem Job nach.“

Foto: Petra Rautenstrauch
Übung in Empathie
Diese sei für das Sängertum weltweit ein Sehnsuchtsort. Ihr gebe die Ensemblemitgliedschaft zudem Sicherheit. „Ich schätze diese kontinuierliche, abwechslungsreiche Arbeit im Team sehr. Wir sollten uns gesellschaftlich viel öfter bewusst machen, dass wir nur dann das Beste aus allem herausholen können, wenn wir als Gemeinschaft agieren. Auch wenn wir Solisten sind, entsteht nur im Miteinander ein gelungener Opernabend. Für dieses Miteinander braucht man ein stimmiges Grundgerüst, und das ist eben das Ensemble.“
Sie empfinde es als großes Privileg, für ihre Leidenschaft auch noch bezahlt zu werden.
„Musik ist für mich, ohne religiös klingen zu wollen, überirdisch. Ich denke, dass sich viele Probleme auf diesem Planeten sehr schnell in Luft auflösen würden, wenn wir mehr miteinander musizieren würden. Denn Musik ist eine eigene Sprache, in der viele Schubladen, in denen wir uns als Menschheit gerne eingrenzen, nicht mehr existieren. In der Oper treffen Menschen unterschiedlichster Nationen, Kulturen und Sprachen aufeinander, und es ist egal, wie man aus- sieht, woran jemand glaubt oder welche Partei er oder sie wählt. Das ist eine große Übung in Empathie.“
Wenn sie sich eine Rolle herbeiwünschen könnte, welche wäre das? „Die Sophie im ‚Rosenkavalier‘. Ich liebe diese Oper von Richard Strauss ungemein, weil sie ein Abbild unseres Lebens ist und für jede Situation ein Zitat bereithält. Sie ist von der Musik über die Personenführung und die Spielaufgaben bis hin zu den emotionalen Zuständen der Figuren schlichtweg großartig. Und da einzutauchen, würde mir sehr großen Spaß machen.“