Ja, in Wien kennt man keine Gnade. Schon gar nicht mit Theaterdirektor*innen. Die sind nämlich Allgemeingut – und das zu werden ist auch eine Leistung.

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Lotte de Beer ist in Wien angekommen. Sie wird im Café und auf der Straße angesprochen. Sie ist eine, die das mag. „Letztens kam eine Dame auf mich zu und sagte: ‚Die rosa Fassade am Haus gefällt mir gar nicht.‘ Nach einer Pause meinte sie: ,Aber die Programmierung ist super.‘ War ich erleichtert!“

Lotte de Beer hat viele Fans. Einer davon ist der Milliardär und Kunstmäzen Martin Schlaff. Im BÜHNE-Exklusivinterview sagt er über sein Volksopern-Sponsoring: „Ich muss sagen: Wien kann sehr glücklich über die Volksopern-Führung sein. Was ich da bisher erlebt habe – es hat sich ausgezahlt.“

Luc Bondys „Salome“

Martin Schlaff hatte auch die Idee, Luc Bondys „Salome“ an die Volksoper zu bringen. Lotte de Beer: „Es ist sozusagen eine Extraproduktion als Geburtstagsgeschenk für die Volksoper.“ Apropos, das hatten wir vergessen: Das 125-Jahre-Jubiläum wird gefeiert.

Zurück zu Lotte de Beer und „Salome“: „Die Inszenierung ist ein Klassiker, – man merkt die Genialität Bondys an den kleinen Dingen und auch daran, wie brandaktuell diese Inszenierung noch immer ist.“ Marie-Louise Bondy wird das Stück ihres 2015 verstorbenen Mannes neu einrichten, Omer Meir Wellber, der ebenso die Neuproduktion von „Die lustige Witwe“ in der Regie von Mariame Clément dirigiert, übernimmt die musikalische Leitung, Astrid Kessler singt die Salome und darf ran an den legendären Bondy-Schleiertanz.

Ben Glassberg

Wie klingt ein Orchester ohne Dirigent, Ben Glassberg?

Wer ist dieser Ben Glassberg? Er dirigiert den „Holländer“, „Die lustigen Weiber von Windsor“, spielt Schlagzeug, hat im Alter von 13 das erste Mal den Taktstock geführt, will, dass Frauen die Welt regieren, und sieht das Ende der großen Diktatoren im Orchestergraben. Weiterlesen...

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Offenbach: „Die Reise zum Mond“

An der Opéra Comique in Paris war „Die Reise“ zu Jahresbeginn ein Hit – und jetzt kommt die Koproduktion ins Haus am Gürtel. „Es ist eine Familienvorstellung – ein bisschen wie ‚Jolanthe‘. Laurent Pelly ist für die Regie und die bezaubernden Kostüme verantwortlich. Prince Caprice wird von Aaron-Casey Gould gesungen – einem unserer Talente aus dem Opernstudio. Ich glaube, dass er in fünf Jahren eine internationale Karriere starten wird.“ Nachsatz: „Man sollte ihn sich also noch rechtzeitig in Wien ansehen!“ Die Stars dieser Produktion sind der Kinderchor, der Jugendchor, und das Opernstudio. Letzteres gibt es, weil sich ein Financier dafür gefunden hat: die Christian Zeller Privatstiftung. „Lass uns die Welt vergessen“

Im Frühherbst des Jahres 1950 entsteht in den Filmateliers in Sievering und Schönbrunn sowie in der Wachau einer der Filmhits des Jahres: „Gruß und Kuss aus der Wachau“ heißt er, und niemand Geringerer als Karl Farkas hat das Drehbuch dazu geschrieben. Waltraud Haas spielte die Hauptrolle, und gesungen und getanzt wurde auch.

Was damals niemand weiß oder auch wissen will: Die Musik stammt aus einer Operette, die 1938 in der Wiener Volksoper geprobt wurde. Komponiert hatte sie Jára Beneš, getextet wurde sie von Hugo Wiener und Kurt Breuer, die Gesangstexte stammen von Fritz Löhner-Beda. Das Land ist im Umbruch, die Nazis entlassen und verfolgen alle Mitarbeiter*innen mit jüdischen Wurzeln.

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Eine schmerzliche und starke Geschichte

Und genau darum geht es in der Neuproduktion. De Beer: „Die Vergangenheit kann uns sagen, wer wir sind und was wir werden möchten. In ‚Lass uns die Welt vergessen‘ machen wir die Volksoper selbst zum Thema. Es war nicht ganz einfach, weil das Stück nirgends mehr zu finden war. Dann hatten wir es, durften es aber nicht kopieren, weil die Rechte der Dialogfassung nicht frei waren – die wir aber gar nicht nutzen wollten.“ Keren Kagarlitsky, Dirigentin und Komponistin, hat dann den Klavierauszug neu orchestriert und mit „entarteter“ und neu komponierter Musik gemischt. „Es ist also eine Weltpremiere mit teilweise schon existierender Operettenmusik.“ Regie führt ein Mann, der in den Niederlanden ein Garant für Musical-Hits („Soldaat van Oranje“) ist und gemeinsam mit Kagarlitsky die Operette geschrieben hat: Theu Boermans. De Beer: „Er kann sowohl Boulevard als auch das absolut ernste, literarische Sprechtheater. Er hat eine sehr direkte Erzählweise, und der Stoff verspricht eine hoch spannende, aber auch schmerzliche und sehr starke Geschichte.“

Die Vergangenheit kann uns sagen, wer wir sind und wer wir sein werden.

Lotte de Beer, Intendantin

„West Side Story“

Gut, werden Sie sagen, Lotte de Beer setzt auf ein sicheres Pferd. Ja, aber dieses Pferd muss man erst einmal kriegen. Denn bei kaum einem anderen Stück ist das derart schwierig. Die Anforderungen Bernsteins (deutsche Übersetzung: Marcel Prawy) respektive seiner Erben sind streng – vor allem, wenn das Stück in einem großen Theater gespielt werden soll. „Es ging um viele Ecken. Dann habe ich einen Freund gefunden, der den Nachbarn einer der Bernstein-Erben kennt, und der hat ihm einen Zettel von mir unter der Tür durchgeschoben, daraus wurde dann ein erstes Gespräch. Nachher bin ich in den Flieger gestiegen und habe zu ihm gesagt: ‚Bitte, gib uns das. Bitte, mach es möglich.‘ Und jetzt haben wir es.“ Freilich: Mit den ersten Zusagen folgten Diskussionen über den Cast. „Es ist mir wichtig, in dieser Produktion mit der Diversität des Ensembles die Unterschiede zu zeigen zwischen jenen, die schon da sind, und jenen die neu zugewandert sind – damit aber zeitgemäß umzugehen.“

Puccinis „Die Schwalbe“

Erst will der Komponist nicht. „Niemals schreib ich eine Operette“, sagt er. 300.000 Kronen bietet Wien Giacomo Puccini. Alfred Maria Willner, der auch für Lehár arbeitet, schreibt das Libretto. 1914 beginnt Puccini zu komponieren. Der Krieg kommt, und erst 1917 wird das Werk uraufgeführt – in Monte Carlo. „Es ist meine Reaktion auf die grauenvolle Musik der Gegenwart, auf die Weltkriegsmusik“, sagte Puccini damals. Es wird ein Erfolg, aber seine Wien-Premiere feiert das Stück erst im Oktober 1920 an der Volksoper.

Nun, mehr als 100 Jahre später, wird Lotte de Beer „Die Schwalbe“ inszenieren. „Ich mag Stücke, die mich fordern – und dieses Werk tut es. Es ist eine Mischung aus ‚Bohème‘ und ‚Traviata‘, und alle Klischees der Oper kommen darin vor. Wir werden aus dem Libretto den Humor herauskitzeln. Normalerweise sterben Titelheldinnen in den Opern. Aber unsere nicht. Meine Herangehensweise ist die einer Figur, die in Diskussion mit ihrem Schöpfer – dem männlichen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts – tritt und den ihr im Libretto zugedachten Weg verweigert.“

„The Gospel According to …“

Das Stück „The Gospel According to the Other Mary“ ist hierzulande bisher nur Feinspitzen bekannt und wird im Rahmen der Festwochen gezeigt. John Adams hat es komponiert, von Peter Sellars ist das Libretto. 2012 wurde es in der Walt Disney Concert Hall uraufgeführt und wurde ein Hit. „Es stand schon immer auf meiner Wunschliste – und es ist ein Werk, das nicht in jedes Opernhaus passt. The Gospel According to the Other Mary ist als Oratorium geschrieben, aber viel mehr als das: ein sehr kluges, politisches Stück. Es passt perfekt für unseren wunderbaren Chor – wir haben amerikanische Sänger*innen in unserem Ensemble und auch in unserem Opernstudio, wie Jasmin White. Sie hat eine beeindruckende Stimme. Ich kann mir vorstellen, dass sie eine große Wagner-Interpretin wird.“

Es macht „Tick, Tick … Boom!“

Besondere Publikumsmagneten versprechen auch die Zugaben zu werden. Der Disney-Superhit (ja, dieser Superlativ darf in diesem Zusammenhang sein) „Aristocats“ wird halbszenisch auf die Bühne kommen.

Außerdem das Rockmusical „Tick, Tick … Boom!“ Der jung verstorbene Komponist Jonathan Larson, posthum mit dem Tony Award ausgezeichnet, hat es geschrieben, und die Publikumslieblinge Juliette Khalil und Jakob Semotan werden die Hauptrollen des Netflix-Blockbusters singen und spielen.

Ja, und dann gibt es noch eine von Ruth Brauer-Kvam und Robert Palfrader gespielte Hommage an die Operettendiva Fritzi Massary und den Schauspieler Max Pallenberg, die eine große Liebesgeschichte verband. Die Liaison der beiden endete jedoch, wie bei der Piaf, abrupt durch einen Flugzeugabsturz.

„Ich glaube, es ist für alle etwas dabei“, sagt Lotte de Beer. Wir nicken. Es fehlen uns die Gegenargumente.