„Animal Farm“ als Oper: Alle Tiere sind gleich(er)
„Animal Farm“, der Weltbestseller von George Orwell, als Oper wird einer der Hits in der nächsten Saison. In Amsterdam gab es bei der Uraufführung Standing Ovations. Wir zeigen Ihnen die besten Bilder des umjubelten Werks.
„Ich habe echt keine Ahnung“, Damiano Michieletto zuckt mit den Schultern, „warum bislang keiner auf die Idee gekommen ist, aus diesem Buch eine Oper zu machen. Singende Tiere sind doch eine Steilvorlage.“
Er spricht von „Animal Farm“, dem Weltbestseller von George Orwell: Tiere auf einem Bauerhof vertreiben ihren brutalen Besitzer. Doch die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Die Schweine übernehmen die Macht und errichten ein Terrorregime.
Regisseur Michieletto hat die musikalische Marktlücke gefüllt und die Rampe gemeinsam mit dem Komponisten Alexander Raskatov genommen – und ist erfolgreich abgehoben.
Amsterdam, Nationale Opera & Ballet. Ein moderner Bau an der Amstel. Es ist Anfang März, Premiere von „Animal Farm“. Das Stück ist eine Koproduktion mit der Wiener Staatsoper.
Singende Tiere sind eine Steilvorlage – lustig, dass wir die Ersten sind.
Damiano Michieletto,Regisseur
Es ist kurz nach 22.30 Uhr, der letzte Ton ist gespielt. Gerade noch saßen Menschen und Tiere, mit und ohne Masken, zu Tisch, labten sich an einem überdimensionalen Spanferkel – und es passiert etwas, was man so aus Wien nicht kennt: Wie auf ein geheimes Kommando springt das gesamte Publikum auf und tobt. Vor Begeisterung.
Kein einziges Buh. Kein einziger freier Sessel, weil nach der Pause Menschen erbost und aus Protest das Theater verlassen haben. Und das bei einer Premiere einer neuen Oper. Ausschließlich kollektive Begeisterung – in Wien undenkbar. Warum das wohl so ist, denkt man. Ein paar Antworten drängen sich auf – aber sie klingen allesamt unsympathisch. Also lassen wir die Frage im Raum stehen.
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Eine Oper mit Zukunft
Auch Premierenfeiern sind in Amsterdam ein wenig anders. Alle, und zwar wirklich alle, sind eingeladen. Es gibt Sprudel und Schalen mit Nüssen gratis. Nach einer halben Stunde mischen sich das Orchester und die Sänger*innen dazwischen. Hier wird das gelebt, was gerade in Leuchtschrift auf der Bühne stand: „Alle sind gleich“.
Irgendwann läuft uns auch Regisseur Michieletto über den Weg: „Man vergisst oft, wie wichtig das Libretto und die Geschichte für den Erfolg einer Oper sind. Mozart und Puccini haben sich immer über den Mangel an guten Libretti beklagt und waren ständig unterwegs, um welche zu finden. Mit diesem Projekt hoffe ich wirklich, eine Oper zu schaffen, die Bestand hat und in der Zukunft aufgeführt werden kann, mit dem Potenzial für verschiedene Arten von Produktionen.“
Komponist Alexander Raskatov wird im kleinen Kreis gefeiert. Er hat das Muhen, Wiehern und Bellen in einen unglaublichen Melodienkosmos verwandelt.
Meine wichtigste Erkenntnis war It’s all about us.
Alexander Raskatov, Komponist
Koloratur der Stute
Er ist in der Sowjetunion geboren und gerade von Berlin nach Frankreich gezogen. „Animal Farm“ hat er nie gelesen.
„Während meines Lebens in der Sowjetunion“, sagt Raskatov, „hatte ich nie die Gelegenheit, ‚Animal Farm‘ zu lesen – und zwar aus einem einfachen Grund: Es war streng verboten. Aus der Sicht eines Sowjetbürgers, der innerhalb des Regimes lebte, hätte Orwell niemals alle Erscheinungsformen dieses pathologischen politischen Systems kennen können.“ Raskatov räuspert sich und setzt fort: „Ich habe mir die Freiheit genommen, bestimmte Situationen zu schaffen, die es im Buch nicht gibt. Ich habe auch einige echte Zitate von Stalin, Trotzki, Beria, Bucharin verwendet. Denn meine wichtigste Erkenntnis war: It’s all about us!“
Michieletto hat die Handlung in einem weiß marmorierten Schlachthof angesiedelt, Räume werden durch mobile Wände geschaffen. Es gibt fünfzehn Haupt-, keine Nebenrollen. Raskatov hat allen „Tieren“ einen der Gattung entsprechenden Sound auf das Fell geschrieben. Es quiekt, es bellt, es wiehert. Könnte furchbar klingen, tut es aber nicht. Es ist bezaubernd. Soli finden kaum statt – Raskatov hat stattdessen ein beeindruckendes Ensemblestück geschaffen.
Stute Mollie etwa ist eine strunzdumme, Kolaraturen singende Königin der Ställe. Die Jungpioniere – eine hysterisch gackernde Hühnerschar – werden vom Jugendchor gesungen. Die Tempi sind schnell. Die musikalischen Karikaturen ergänzen perfekt das Szenische.
Kürzungen für Wien
Es ist Raskatovs vierte Oper. Sie wandert in Wien ins Repertoire. Palermo folgt, und vermutlich wird das Werk einen Siegeszug durch die Opernhäuser der Welt antreten. Es wäre Raskatovs später Durchbruch. Ein Großteil der Amsterdamer Besetzung kommt nach Wien. Den Nachbesprechungen des Leading Teams bei der Premierenfeier lauschend, wird das Stück im ersten Akt um zehn bis zwanzig Minuten gekürzt werden. Kann nicht schaden, denken wir.
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