Shakespeare sei seine erste große Theaterliebe gewesen, erzählt Gernot Plass. Genauer: Es war eine Inszenierung der Komödie „Viel Lärm um nichts“, die den Funken entzündete. „2009 wusste ich dann, dass ich gerne Shakespeare inszenieren möchte, die Sprache aber ins Heute holen will. Mit ‚Richard 2‘ habe ich das erstmals hier am Haus umgesetzt und mich damals sprachlich sehr an Filmemachern wie Quentin Tarantino orientiert“, sagt Plass. Etwas später kam ihm der Gedanke, dass er es sich mit dieser Methode möglicherweise etwas zu einfach mache. „Die Schönheit der Sprache war damit weg“, hält er fest. „Ich habe mich daraufhin intensiv mit dem Pentameter beschäftigt und schließlich damit begonnen, die Sprache, wie ich sie bei ‚Richard 2‘ verwendet habe, in ein Versmaß zu füllen. Damit wurde das Ganze wieder zu einer Art Dichtung – oder eben Nachdichtung.“

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Auch bei „Heinrich 5“, das derzeit im TAG zu sehen ist und sich auf Shakespeares propagandistisches Königsdrama „Heinrich V“ stützt, hat sich Plass wieder dieser Methode bedient. Mit großem Erfolg: „Der Text und die Inszenierung sind rasant und auch ziemlich witzig, Raphael Nicholas ist ein hervorragender Heinrich, das übrige Ensemble wechselt im Höchsttempo die Rollen und schlägt sich dabei ausgezeichnet“, hieß es in der Tageszeitung Kurier.

Handlungsstränge und Figurenkonstellationen übernimmt Gernot Plass bei seinen Überschreibungen meist aus den Originaltexten. „Ich schaue mir genau an, wer spricht und was verhandelt wird und versuche das dann in eine moderne Sprache zu übersetzen“, bringt es der Theatermacher auf den Punkt. An der Figur des Heinrich, dem Shakespeare eine völlig weiße Weste übergezogen hat, hat er dennoch ein bisschen gefeilt, erzählt Plass. „Bei mir ist er kein sympathisches Monster mehr, sondern nur noch ein Monster. Shakespeare beschreibt ihn als König, der keinen Schatten und keinerlei Brüche hat. Im Original ist er eine Lichtgestalt.“

Heinrich 5 TAG
Sicher auch 2024 noch im TAG zu sehen: „Heinrich 5“ von Gernot Plass.

Foto: Anna Stöcher

Viel grotesker Humor

Während es in Shakespeares Stück um die Schlacht von Azincourt am Beginn des 15. Jahrhunderts geht, hat Gernot Plass den Krieg so abstrahiert, dass es jeder Krieg sein könnte. Dass sich das Stück auf solch tragische Weise aktualisieren würde, wusste er beim Schreiben des Textes noch nicht. Für viele Engländer*innen hätte das Stück durch die Jahrhunderte hindurch stets eine identitätsstiftende Wirkung gehabt, setzt er fort. „Weil es eben um diese Schlacht geht, bei der die Engländer die Franzosen besiegt haben. Das ist in etwa vergleichbar mit der Wirkung von Cordoba bei den Österreicher*innen“, fügt er lachend hinzu.

Tatsächlich haben Zeilen aus dem Stück wieWe few we happy few we band of brothers“ sogar Eingang in die Popkultur gefunden. „Winston Churchill hat vor dem Angriff auf die Normandie noch rasch Laurence Olivier damit beauftragt, einen auf dem Theaterstück basierenden Film zu drehen, um ihn den englischen Soldaten zu zeigen“, merkt der Theatermacher, der seit der Spielzeit 2013/14 die künstlerische Leitung des TAG innehat, daran anknüpfend an. Bei seiner Überschreibung, die er auch selbst inszeniert, hätte ihn die Frage, wie Krieg entsteht, am allermeisten interessiert. Trotz des ernsten Themas ist es aber auch ein komisches Stück, merkt er an. „Mit Sicherheit kein Schenkelklopfer, aber durchaus mit viel groteskem Humor ausgestattet, der vor allem durch die schnellen Dialoge und durch das Ausstellen von Eitelkeit und Arroganz entsteht“, so Plass.  

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In Sachen Ausstattung brauche er für seine Inszenierungen nicht viel. „Oft reichen mir ein paar Stühle. Ich versuche das Theater eher so gut es geht auszuräumen und zu abstrahieren, ähnlich wie damals bei Brecht. Auch die Elisabethaner haben nicht viel gebraucht. Der Kern meiner Stücke ist eine Truppe aus Schauspieler*innen, die eigentlich viel zu klein ist, um das ganze Figurentableau abzubilden und sich deshalb oft umziehen müssen.“ Gernot Plass lacht. Und das obwohl er zum Zeitpunkt unseres Interview mit seinem Ensemble mitten in den Endproben für „Heinrich 5“ steckt. Auch das sagt wohl so einiges über die Arbeitsatmosphäre an der Mittelbühne in der Gumpendorfer Straße aus.

Heinrich 5 TAG
Das Ensemble im reduzierten Bühnenbild von Alexandra Burgstaller und Gernot Plass.

Foto: Anna Stöcher

Schwitzen, atmen, scheitern

Was ihn nach zehn Jahren als künstlerischer Leiter am allermeisten mit Stolz erfülle, wollen wir noch von ihm wissen. Gernot Plass muss nicht lange überlegen. „Dass wir immer noch hier sind und Theater machen“, antwortet er prompt und setzt nach: „Und dass wir das TAG in der Wiener Theaterlandschaft so positioniert haben, dass die Leute wissen, dass es funktioniert und gut ist. Auszeichnungen und gelungene Produktionen – das sind alles Glanzlichter. Insgesamt freut mich am jedoch meisten, dass man uns hier immer noch schätzt.“

Die Intendanzwechsel am Schauspielhaus, beim Theater am Werk, dem früheren Werk X, und am Dschungel Wien beobachte er aus der Ferne und mit viel Sympathie, so Plass. „Ich freue mich, wenn das Theater in der Stadt funktioniert und schillert, das Publikum Dinge entdeckt und sich innerhalb dieser Landschaft bewegt. Wenn ich irgendwo ein tolles Stück gesehen habe, gehe ich vielleicht auch in ein anderes Theater, um mir eine Inszenierung anzusehen.“

Mit einer der größten, aber vielleicht auch wichtigsten Fragen, möchten wir das Gespräch beenden: Was macht denn den besonderen Zauber des Theaters für Sie aus, Herr Plass?

Auch diese Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Ein Schauspieler oder eine Schauspielerin auf der der Bühne kann jeden Moment sterben.“ Gernot Plass schmunzelt, während er in ein etwas verdutztes Gesicht auf der anderen Seite des Tisches blickt. Er setzt zu einer Erklärung an: „Das Theater ist immer lebendig. Die Schauspieler*innen auf der Bühne schwitzen, atmen, scheitern und berühren damit das Publikum auf sehr direkte Weise. Mit dem Kino hat es gemeinsam, dass es eine Traummaschine ist. Anders als ein Film ist eine Theateraufführung aber ein lebendiger Traum.“ Klingt wie ein Satz, der auch aus der Feder Shakespeares stammen könnte. Womit wir wieder beim Stück wären, das auch im Dezember noch im TAG zu sehen ist. Nur der Pentameter fehlt.

Zu den Spielterminen von „Heinrich 5“ im TAG