Picksüß ist höchstens der Champagner. In Emmerich Kálmáns 1915 uraufgeführter Operette „Die Csárdásfürstin“ geht es inhaltlich an die Grenzen der k.u.k. Contenance. Nicht nur dass die gefeierte Chansonnière Sylva Varescu und Fürstensohn Edwin ein nicht standesgemäßes Paar abgeben, dessen Liebe dennoch die Sympathien des Publikums gehören, stellt sich am Ende auch heraus, dass der adelige Dünkel von Edwins Eltern auf reiner Heuchelei beruht. Die nicht immer beschwingten Melodien werden konterkariert vom Ersten Weltkrieg, der auch in der Handlung selbst mehr ist als ein Hintergrundrauschen. Bis im furiosen Finale „Tausend kleine Englein singen“, ist jedem Besucher klar geworden, dass hier auch die Monarchie zum Schlussakkord angesetzt hat.

Anzeige
Anzeige

Dreimal wurde Kálmáns erfolgreichste Arbeit in den letzten Jahrzehnten an der Volksoper einstudiert. Zuletzt 2018. Nun bringt Johannes Erath das komplexe Werk erneut auf die Bühne und inszeniert damit zum ersten Mal überhaupt eine Operette. Warum gerade „Die Csárdásfürstin“?

„Weil man sie mir angeboten hat“, weist sich der gebürtige Deutsche mit großer Wienliebe schon im ersten Satz als humorbegabt aus. „Dass dies an der Volksoper geschieht, fand ich großartig, weil ich hier als Violinist viele Operetten gespielt habe. Die Handlung hat sehr viel mit unserer momentanen Situation zu tun.

Wir befinden uns hundert Jahre später auch in einer Endzeitstimmung. Ich mag die Nostalgie des Stücks. Das Erste, was ich gelesen habe, war die Regieanweisung, die lautet: Wenn der Vorhang hochgeht, ist die Vorstellung gerade zu Ende. Wie großartig. Das sagt eigentlich alles über das Stück und über viele Situationen in unserem Leben aus. Zum Beispiel, dass Anfang und Ende zusammengehören, dass etwas zu Ende gehen muss, damit etwas Neues anfangen kann. Oft bekommen Dinge und Menschen erst in der Vergangenheit jenen Wert, den sie eigentlich verdient hätten. Manchmal wissen wir erst im Verlust, wer oder was uns wirklich wertvoll war. Das passt, finde ich, perfekt in unsere Zeit, in der wir, wie schon Oscar Wilde gesagt hat, von allem den Preis wissen, aber von nichts den Wert.“

Die Regieanweisung lautet: Wenn der Vorhang hochgeht, ist die Vorstellung zu Ende.

Johannes Erath, Regisseur

Charme und Kritik

Zwei Jahre habe er sich mit dem Stück beschäftigt. Der Clou, dass sich letzten Endes auch Edwins Mutter als ehemaliges Revuegirl erweist, sei für ihn eher psychologisch spannend denn ein Überraschungseffekt. „Solche Dinge passieren immer dann, wenn in Familien etwas verschwiegen wird. Dann durchlebt die nächste oder übernächste Generation, ohne es zu wissen, genau dieselbe Situation wieder. Verdrängtes wird weitergetragen.“

Anzeige
Anzeige

Das grundsätzliche Sentiment wolle er gar nicht infrage stellen, denn das Stück sei einfach bittersüß. Lachen und Weinen lägen nah beieinander. Man könne und solle sich dieser Stimmung hingeben, weil sie auch Balsam für die Seele sei. Ohne zu viel verraten zu wollen, werde er das Geschehen in einer Art von Retrospektive erzählen.

„Der inhaltlich stattfindende Generationswechsel lässt sich auch auf unsere Arbeit übertragen. Wie Operette früher dargestellt wurde und wie wir sie heute auf die Bühne zu bringen versuchen, hat nichts mit Besserwisserei zu tun; wir leben einfach in einem anderen Kontext und machen andere Erfahrungen. Bestenfalls sollten wir von der vorherigen Generation lernen und nicht vergessen, dass wir zwangsläufig auch selber älter werden.“

Operette müsse immer Charme haben. „Trotzdem kann sie auch wehtun, böse sein und sehr traurig.“

Welche künstlerische Relevanz hat dieses Genre heute überhaupt noch? „Operette beinhaltet immer Kritik – auch wenn das vielleicht manchmal übertüncht wird – und will etwas über die Gesellschaft erzählen. Die Parallele zur Entstehungszeit der Csárdásfürstin ist unübersehbar. Wir fühlen uns auch wie beim Tanz auf dem Vulkan, alles vibriert, man kann sich auf nichts mehr verlassen, das Aggressionspotenzial steigt, die Frustrationstoleranz sinkt. Theater kann da ein Ventil sein. Das meine ich mit Balsam. Es hat reinigende Wirkung, lässt uns stellvertretend etwas durchleben.“

Und weiter: „Wir gehen ins Theater, um Extremsituationen beizuwohnen. Eine ‚Traviata‘ stirbt für uns, und wir können so tun, als würden wir diesem Gefühl näherkommen. Der Transfer ist der Gleiche wie bei einem Gottesdienst. Sobald das Saallicht ausgeht, wollen wir an etwas glauben. In der Anonymität einem Moment beiwohnen und einen Akt der Synergie erleben. Uns verzaubern lassen, staunen, an einem Wunder teilhaben. Diese Gemeinorte, wo man im Moment gleich schwingen kann, braucht der Mensch anscheinend, und solange das so ist, sind wir noch nicht ganz verloren.“

In mir war viel mehr Energie, als ich in meine Fingerkuppen hätte leiten können.“

Johannes Erath, Regisseur

Mit den Augen hören

Johannes Erath studierte Violine an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und arbeitete danach jahrelang als Orchestermusiker. Damit habe er sich einen Kindheitstraum erfüllt und verbinde mit dieser Zeit trotz allen Konkurrenzdrucks wunderschöne Erlebnisse.

„Aber ich war auch immer von der Bühne fasziniert. In mir war außerdem viel mehr Energie, als ich in meine Fingerkuppen hätte leiten können, und irgendwann habe ich beschlossen, die Geige an den Nagel zu hängen. Dann ging alles sehr schnell, plötzlich war ich persönlicher Assistent und bekam schon bald meine erste eigene Inszenierung anvertraut. Ich habe Regie nicht studiert, sondern dort gelernt, wo Theater stattfindet. Mit der Zeit entwickelt man dann seine eigene Art zu erzählen. Ich versuche immer, mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen. Also beides ineinanderfließen zu lassen.“

Für ihn ist es natürlich, in musikalischen Phrasen zu denken. Das sei als Opernregisseur sicher ein Vorteil. „Ich würde mir zum Beispiel nichts von einem Sänger wünschen, was diesem Prinzip widerspricht, weil ich die Musik als erste Interpretation einfach akzeptiere. Das schafft von vornherein Vertrauen. Ich stelle mir auch nie die Frage, warum jemand etwas zweimal singt, das ist für mich ganz normal. Oper hat ja nichts mit Naturalismus zu tun. Und ich finde, Surrealität erzählt am besten etwas über unsere Welt.“

Johannes Erath
Johannes Erath studierte Violine und spielte u. a. im Orchester der Volksoper, ehe er ins Regiefach wechselte. Er inszenierte Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten wie Péter Eötvös „Paradise Reloaded“ und Arnulf Herrmanns „Der Mieter“ ebenso wie große Klassiker: von „Lulu“ über „Don Giovanni“ und „Elektra“ bis hin zu „Le nozze di Figaro“, „Manon“ und „Lohengrin“. Mit der „Csárdásfürstin“ gibt er nun sein Operettendebüt.

Foto: Christoph Liebentritt

Die Fantasie ankurbeln

Die Sopranistin Magdalena Anna Hof- mann sagte im Vorjahr anlässlich des Arnold-Schönberg-Projekts „Freitag, der Dreizehnte“ über Johannes Erath: „Die Probenarbeit ist tatsächlich bereichernd. Obwohl er klare Vorstellungen und ein durchdachtes Konzept hat, ist er flexibel und gibt uns enorm viel Freiheit. Man fühlt sich weder alleingelassen, noch hat man das Gefühl, in ein starres Konstrukt eingepasst zu werden.“

Fühlt er sich in seinem Arbeitsstil solchermaßen gut getroffen? „Ja, insofern, als ich Darstellern zunächst einmal alles zutraue. Ich habe natürlich immer eine bestimmte Vision, würde aber nie jemanden in ein Korsett zwängen, sondern versuche herauszufinden, wo die jeweiligen Stärken liegen. Das ist nicht zwangsläufig immer dort, wo die Person selbst diese verortet. Magdalena Anna Hofmann hat zum Beispiel nicht geglaubt, dass sie komisch sein könnte. Und war dann urkomisch. Man muss auch dem Zufall eine Chance geben, denn wenn man zu stark nach Konzept vorgeht, sieht man die Bäume links und rechts nicht mehr.“

„Freitag, der Dreizehnte“ war ein kleines, feines Projekt für ein fortgeschrittenes Publikum, „Die Csárdásfürstin“ ist hingegen ein Mainstreamhit. Wonach wählt er seine Arbeiten grundsätzlich aus?

„Ob sie mir Spaß machen. (Lacht.) Ich muss irgendwo emotional einsteigen können. Manchmal dauert es auch ein bisschen, bis man diesen Punkt gefunden hat, aber sobald das passiert, kann ich ein Stück machen. Ich glaube gar nicht, dass ‚Freitag, der Dreizehnte‘ ein Abend für Fortgeschrittene war, sondern dass wir damit auch viele Leute angesprochen haben, die wenig Ahnung von Schönberg hatten oder denen es schon bei der Erwähnung seines Namens die Zehennägel aufrollt.

Ich traue dem Publikum prinzipiell viel zu. Niemand muss etwas auf die gleiche Weise verstehen wie ich. Vielmehr geht es darum, einen Nährboden zu schaffen, auf dem sich jeder seine eigenen Gedanken machen darf, denn die Fantasie des Publikums kann ich ohnehin nicht toppen. Mein Job ist es, sie anzukurbeln. Eindeutigkeit ist, finde ich, der Tod der Kunst. Es geht darum, was die Menschen empfinden.“

Das steigert die Vorfreude auf die „Csárdásfürstin“. Unmittelbar danach geht es für Johannes Erath nach Frankfurt, wo „Alcina“ auf ihn wartet.

Hier geht es zu den Spielterminen von Die Csárdásfürstin in der Volksoper!