Die erste deutsche Nationaloper. Allein diese Bezeichnung lässt einen ehrfürchtig erschaudern. Tatsächlich kennt Carl Maria von Webers romantische Oper „Der Freischütz“ bei unseren bundesdeutschen Nachbarn jedes Kind. Woran dies liegt, erschließt sich aus der Handlung des 1821 in Berlin uraufgeführten Singspiels nicht zwingend.

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Der Jägerbursch Max muss seine Treffsicherheit unter Beweis stellen, will er die von ihm auserwählte Agathe zum Altar führen. Sein vermeintlicher Freund – und hinterlistiger Widersacher – Kaspar überzeugt ihn, dass dies mit sogenannten Freikugeln zu schaffen wäre. Diese werden in der gespenstischen Wolfsschlucht gegossen. Samiel, der schwarze Jäger, soll dafür sorgen, dass die letzte Kugel in Wahrheit Agathe trifft. Wie zu vermuten, muss aber Kaspar selber dran glauben – Ende schlecht, alles gut.

Beliebt selbst bei Hunden

„Es fühlt sich an wie eine Zwischenwelt. Nicht Märchen, nicht Oper, sondern in der Tradition des deutschen Volkslieds angesiedelt“, erklärt Jacquelyn Wagner, die die Agathe singen wird. „Ich mag Webers Musik, die für mich zwischen Romantik und Mozart-Elementen angesiedelt ist, sehr. Das hat mich auch an der Partie gereizt, obwohl sie für eine Hauptrolle nicht viel zu singen hat und als Charakter eher eindimensional bleibt.“

Bei manchen Stellen dachte ich, o mein Gott, muss ich die auch inszenieren?

David Marton, Regisseur

David Marton kann dem musikalischen Lob nur zustimmen. „Es ist ja immer ein bisschen kompliziert, bei so eingängigen Stücken die wirkliche Qualität der Musik zu entdecken. Wenn man sich aber darauf einlässt und versucht, sie mit ‚neuen Ohren‘ zu hören, ist sie grandios.“ Die Oper war im 19. Jahrhundert ein überwältigender Erfolg. Heinrich Heine schrieb, leicht genervt, in einem Brief, dass in Berlin das Brautlied „Wir winden dir den Jungfernkranz“ so beliebt sei, dass es selbst von Hunden gebellt werde. „Bei manchen Stellen, wie eben beim Brautlied, dachte ich, o mein Gott, muss ich die auch inszenieren?“, so der Regisseur selbstironisch, „aber wenn man anders zuhört, merkt man, mit welcher Manie und Obsession sich das Thema wiederholt. Es ist fast wie bei Philip Glass. Eine außergewöhnliche Komposition.“

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Von der Bühne auf die Leinwand

„‚Der Freischütz‘ ist ein Film noir oder Thriller seiner Zeit, eine Frühform dessen, was man später in Filmen von Hitchcock oder David Lynch wiederfindet“, erklärt David Marton die unheimliche Grundstimmung des Stücks. Er möchte von seiner Inszenierung auch nicht als Konzept sprechen, sondern von „Neugier und Interesse“, die auch nicht „modern“ sei, sondern „gegenwärtig“.

„Es handelt sich um eine filmische Arbeit, die live passiert. Auf der einen Seite der durchsichtigen Kinoleinwand die Sänger und Kameraleute, auf der anderen das Publikum. Man sieht einander, spürt einander, hört einander vor allem.“ Das Bühnengeschehen wird durchgehend gefilmt und auf die Leinwand projiziert. „So entsteht eine Doppelbelichtung, die ein wenig schizophren ist und damit auch auf die deutsche Romantik verweist.“ Jacquelyn Wagner arbeitet zum ersten Mal in dieser kinematografischen Live-Permanenz. „Dadurch ist eine andere Perspektive auf diese Geschichte, die jeder kennt, möglich, wodurch sich auch neue Betrachtungsmöglichkeiten bieten. Man kann jede kleinste Nuance für jeden ersichtlich ausdrücken.“

Welches Publikum erhofft man, so zu erreichen? „Ich glaube, Theater ist wie ein merkwürdiges Rendezvous, bei dem es nicht darum geht, dass ich mir mein Publikum aussuche. Sondern ich hebe das hervor, was ich an einem Stück interessant finde, und hoffe, dass es die Menschen emotional berührt“, so David Marton.

Das Aktuelle an Theaterarbeit sei für ihn vergleichbar mit omnipräsenter Archäologie in Städten wie Rom, wo an einer antiken Mauer eine Pommesbude kleben könne. „Wir legen Zeitschichten frei, aber wir aktualisieren nicht. Ich glaube nicht an Aktualisierung, sondern nur daran, dass man Zeiträume miteinander verbinden kann“ – also einem historischen Set durch eine Kamera einen zeitgenössischen Blickwinkel zu geben vermag.

„Die Geschichte könnte auch heute passieren und muss nicht zwangsläufig in ihrer Entstehungszeit beheimatet sein“, ergänzt Jacquelyn Wagner. Die Sopranistin lebt, wie auch der Regisseur, seit vielen Jahren in Berlin, stammt aber aus Michigan/USA. „Ich kann nichts anderes“, antwortet sie entwaffnend auf die Frage, warum sie diesen Beruf ergriffen habe. „Ich wusste schon mit 13, dass ich Sängerin werden wollte. Wie das genau sein würde, davon hatte ich keine Ahnung, aber es war klar, dass es Oper sein sollte.“

Vom Stagione-Betrieb des Musiktheaters an der Wien und dessen Möglichkeiten, das ganze Wirkungsrepertoire – von der Dramaturgie bis zu den Gewerken – exklusiv nutzen zu können, schwärmt sie genauso wie David Marton. Für diesen wäre Stagione sogar der Idealzustand. „Ich kenne es auch nur so, und es hat ausschließlich Vorteile, weil die Kräfte eines Hauses nur für diese eine Produktion gebündelt sind. Man müsste das Repertoiresystem eigentlich hinter sich lassen. Wenigstens eine Art Halb-Stagione-Strategie wäre wünschenswert, bei der eine Inszenierung vielleicht nach einem Jahr wiederkehrt. Repertoire, wo jeden Tag etwas anderes läuft, ist unserer Zeit entwachsen.“

Zu den Spielterminen von „Der Freischütz“ im MQ (Halle E)!