Alte Meisterin: Die Kunstgeschichte weiblich malen
Mit „Ich bin die Frau Picasso“ wollte sich die Malerin Maria Lassnig mit jenen messen, die den Kanon definieren. „Alte Meisterin. Lassnig / Beresin / Bitzan“ im Kosmos-Theater schafft ihr einen eigenen Raum – und ist eine Inszenierung über die längst überfällige Umschreibung der Kunstgeschichte. Die BÜHNE hat mit den Schauspielerinnen Clara Liepsch und Veronika Glatzner über männerdominierte Kunstbetriebe und den Wunsch nach Umschreibung gesprochen.
Hand aufs Herz: Wie viele Künstler können Sie auf einen Schlag aufzählen?
Und jetzt: Wie viele davon waren weiblich?
Falls Ihnen spontan Namen wie Botticelli, Tizian, Da Vinci, Caravaggio, Rembrandt, Manet, Gauguin, Van Gogh oder Pollock eingefallen sind, aber Sie für weibliche Namen – Anguissola, Fontana, Sirani, Peeters, Gentileschi, Kauffmann, Powers, Lewis, Macdonald Mackintosh – deutlich länger überlegen mussten, zählen Sie zu den Glücklichen, wenn Sie die Produktion „Alte Meisterin“ erleben durften.
Farbe in der Black Box
Der schwarze Bühnenboden im Kosmos-Theater ist mit Farbe besprenkelt. Leinwände reihen sich neben- und hintereinander und bilden Großteils alternde weibliche Körper ab.
Eine Malerin fährt schwungvoll mit einem Pinsel über die Leinwand, es ist leise im Raum. Nur das Tupfen der Farbe und der darauffolgende sanfte Pinseldruck, unter dem sich die Leinwand spannt, durchbricht die Stille.
Links neben der Bühne beginnt die Musikerin Clara Luzia feinfühlig zu singen. Im vorderen Bühnenbereich sitzen zwei Schauspielerinnen, die sich nach und nach von ihren Sofasesseln erheben und von der Malerin von oben bis unten mit Farbe bemalt werden. Währenddessen lichtet die Fotokünstlerin Apollonia T. Bitzan in unregelmäßigen Abständen alle Akteurinnen analog auf der Bühne ab.
Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Künste, die sich hier fügen und einander ergänzen – und somit für einen Abend eine eindrucksvolle Reise in die Kunstgeschichte einleiten.
All-women-show
Die Malerin, die die von Maria Lassnig inspirierten Bilder malt, ist niemand geringer als Eva Beresin, die sich in der Wiener Kunstszene mit ihren Ausstellungen schon lange einen Namen gemacht hat. Bis Ende September war ihre erste Einzelausstellung „Thick Air“ in der Albertina zu sehen.
Veronika Glatzner und Clara Liepsch sind die zwei Schauspielerinnen, die in den 85 Minuten auf der Bühne verschiedene Künstler*innenfiguren verkörpern – Kurator*in, Maler*in, Kunsthistoriker*in – und so weibliche Motive in der Kunst dekonstruieren und den Markt hinterfragen. Die BÜHNE trifft die beiden kurz bevor die Inszenierung auf die Bühne ging, von denen 11 von 11 Abende ausverkauft waren, in einem ZOOM-Telefonat.
Die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Sara Ostertag stand für die Schauspielerin Veronika Glatzner schon länger im Raum, erzählt sie uns, genauso wie der Wunsch, mit der makemake produktionen zusammenarbeiten. „Als Zuschauerin empfand ich diese Produktionen schon immer als sinnliches Theater.“
Zur Person: Veronika Glatzner
Studierte Soziologie an der Universität Wien und Schauspiel am Konservatorium Wien. Von 2010 bis 2013 war sie unter Andreas Beck am Schauspielhaus Wien festes Ensemblemitglied. Seit 2014 ist sie als freie Schauspielerin und immer wieder auch als Regisseurin tätig. Sie gründete den Vereins TEMPORA – Verein für vorübergehende Kunst zur Entwicklung von Theaterprojekten als Zwischennutzung von leerstehenden Räumen.
Auch Clara Liepsch, die nach ihrem Engagement am Schauspielhaus nun als freie Schauspielerin tätig ist, hatte den Wunsch, mit Sara Ostertag zusammen zu arbeiten.
Einen ersten Eindruck von Ostertags Werk bekam sie bei einer Vorstellung von „Das flüssige Land“ im Burgtheater im Kasino. „Es war ein sehr qualitativ hochwertiges Zusammenspiel von Schauspiel und Musik. Ich war total beeindruckt von der Arbeit und wollte die Regisseurin kennenlernen“, so Liepsch. Vermittelt durch ihre Freundin Lydia Haider kam es schließlich zur Zusammenarbeit.
Produktion wie ein Reality Check
Glatzner, die auch als Regisseurin tätig ist und zuerst ebenfalls am Schauspielhaus engagiert war, empfand die Erarbeitung der Produktion als Bestandsaufnahme. „Für mich war es schockierend, wie eklatant das in der bildenden Kunst ist. Also das beispielsweise in der Albertina nur Einzelausstellungen von Männern ausgestellt sind, war mir davor nicht bewusst.“
Sie hebt die Szene zu Beginn des Stücks hervor, in der Clara Liepsch als Kunsthistorikerin zunächst Künstler-, dann Künstlerinnennamen aufzählt. „Dass mir das so schwerfällt, dass mir keine Frauennamen einfallen, dass man das so Schwarz auf Weiß hat, dass man das so einfach runterbrechen kann – das war eine krasse Erfahrung.“ Als Regisseurin habe sie ein starkes Bewusstsein für Geschlechterungleichheit und den Gender Pay Gap im Theaterbetrieb, „und da diskutieren wir das auch,“ so Glatzner.
Dass mir das so schwerfällt, dass mir keine Frauennamen einfallen, dass man das so Schwarz auf Weiß hat, dass man das so einfach runterbrechen kann – das war eine krasse Erfahrung.
Veronika Glatzner, Schauspielerin
Clara Liepsch nickt zustimmend. Als sie vor fünf Jahren in München ihre Schauspielausbildung abschloss, waren ihre Dozenten nur Männer. Auf eigener Initiative hin fragte Liepsch schließlich selbst weibliche Gastdozenteninnen, die sie dann unterrichteten.
Die bedeutendste Malerin Österreichs
Mit Probenbeginn begann für beide die intensive Auseinandersetzung mit der Kunstbranche um und mit Künstlerin Maria Lassnig.
So nennt Clara Liepsch zu Beginn der Inszenierung – mit der Aufzählung der Namen der berühmten Künstlerinnen – auch augenzwinkernd die Namen der Frauen auf der Bühne. Auch die Briefe Lassnigs an den Kurator Hans Ulrich Obrist interpretiert die Schauspielerin amüsant und lockt so den ein oder anderen Lacher aus dem Publikum.
„Es ist ein humorvoller Abend von Frauen in der Kunst, und Maria Lassnig ist eine Art Folie und Beispiel“, so Liepsch. „Das ist ganz wichtig, weil wenn man einen Abend zu Frauen in der Kunst machen will, weiß man gar nicht, wo man beginnen soll.“
Zur Person: Clara Liepsch
Clara Liepsch, 1995 in Weimar geboren, studiert von 2015 bis 2019 Schauspiel an der Bayrischen Theaterakademie August Everding in München. Während des Studiums arbeitet sie mit Amir Reza Koohestani, Anne Lenk und Klemens Hegen zusammen. 2019 tritt sie ihr Erstengagement am Schauspielhaus Wien an, wo sie unter anderem mit Antje Schupp, Elsa-Sophie Jach, Evy Schubert, Rieke Süßkow, Florian Fischer, Thomas Köck, Tomas Schweigen und dem Kollektiv FUX arbeitet. Sie ist eng mit den Autorinnen Ewelina Benbenek und Lydia Haider verbunden. Für ihre Darstellung des 11-jährigen Jungen Danny in „SHTF“ (Regie: Kollektiv Kandinsky) war sie 2022 für den NESTROY-Theaterpreis nominiert.
Seit der Spielzeit 2023/24 lebt Clara Liepsch als freischaffende Schauspielerin in Wien. Gastengagements führten sie seitdem an das Kosmos Theater, das Volkstheater, das Burgtheater und an das Landestheater Niederösterreich.
Glatzner sieht das ähnlich. „Sie steht für mich schon exemplarisch für die Künstlerin, die trotz ihres unglaublichen Könnens aufgrund ihres Geschlechts unbeachtet geblieben ist und verdrängt wurde.“ Kurz überlegt sie. „Ich finde, sie ist die bedeutendste Malerin Österreichs. Sie war eine Wegbereiterin für viele und war nie fertig; sie hat experimentiert und die Männer haben die Meriten dafür bekommen“, setzt Glatzner nach. Für sie, als zweifache Mutter, stelle sich außerdem die Frage, ob Lassnig die große Kunst nie machen hätte können, wenn sie Mutter geworden wäre.
Ein großes Live-Event
Wie es ist, mit so vielen Künstlerinnen auf einer Bühne zu stehen? Liepsch und Glatzner zeigen sich beide begeistert. „Es sind so viele Künste auf der Bühne vereint, was für uns so normal geworden ist, aber das ist ein großes Geschenk und für alle eine große Bereicherung“, meint Liepsch. In Szenen, wo sowohl Eva Beresin, Apollonia T. Bitzan, Clara Luzia, als auch die beiden Schauspielerinnen auf der Bühne stehen, kommt es auch zu unterschiedlichen Blickachsen, die Verbundenheit spüren lassen, erzählt sie.
Für Glatzner sei auch der Eventcharakter, die Live-Show, ein Grund für die große mediale Aufmerksamkeit für die Produktion. „Ich war noch nie in einem All-women-Team und es war fantastisch. Ich habe selten so eine Offenheit zueinander erlebt, es ist viel Respekt da.“
Liepsch nickt und fügt hinzu: „Ich wollte gar nicht mehr weg vom Probenraum. Wir wollten alle produktiv sein und hatten Lust, zu forschen und zu arbeiten. Es ist kein fertiger Prozess, weil es in Bezug zur Thematik steht, die nicht fertig ist.“
„Es geht um Produktionsweisen von Frauen“, stimmt Glatzner zu, „und da sind wir schon am Erforschen: Wie ist es, außerhalb von patriarchalen Strukturen zu arbeiten? Wie funktioniert das und wie kommt man aus den Mustern im Theaterbereich heraus?“
Zusammenhänge, die bleiben
Ob beide einen Wunsch an das Publikum haben? Die Schauspielerinnen überlegen, kurz ist es still. Glatzner: „Es wäre cool, wenn man bestimmte Zusammenhänge danach noch begreifen kann. Sich bewusstwerden, welche Strukturen es gibt.“ „Das sind dann Momente, wo Dinge klar werden“, findet auch Liepsch.
Eine Live-Show, dessen Nachhall noch lange anklingen wird.