Wenn Ebru Tartıcı Borchers, die gerade ihr Regiestudium am Salzburger Mozarteum abschließt, mit der Arbeit an einer neuen Inszenierung beginnt, hat sie immer einen Plan B in der Tasche. „Einen Plan für alle Fälle“, erklärt sie lachend. „Aber ich sage den Spieler*innen auch immer, dass die Probenarbeit dazu da ist, gemeinsam einen Plan A entstehen zu lassen, der vielleicht sehr viel besser ist. Dadurch starten wir viel offener und freier in ein neues Projekt.“

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Ansonsten scheint die 1990 in der Türkei geborene Schauspielerin und Regisseurin mit Alternativplänen nur wenig am Hut zu haben. So entschlossen und leidenschaftlich, wie sie über ihre Arbeit spricht, kommen keinerlei Zweifel darüber auf, dass das Theater ihre Welt ist – und sie diese nach ihren eigenen Vorstellungen, Bedürfnissen und politischen Überzeugungen gestalten möchte. Aus diesem Grund wechselte sie nach Abschluss ihres Schauspielstudiums an einer Universität in Ankara und einigen ersten Schauspielengagements ins Regiefach. „Ich wollte laut werden und meine politischen Anliegen nach draußen tragen. Ich hatte das Bedürfnis, mir noch mehr Raum zu nehmen, um Strukturen infrage zu stellen.“

Raum für Gedanken und Bedürfnisse

Zwar sei das, wie sie hinzufügt, als Schauspieler*in in gewisser Weise auch möglich, doch irgendwann wurde ihr dieser Rahmen schlichtweg zu eng. Um ihren Gedanken und Bedürfnissen mehr Raum geben zu können, sah sie sich schließlich nach Möglichkeiten um, Regie zu studieren. Weil sie in der Türkei nicht fündig wurde, übersiedelte sie nach Salzburg. Zuvor hatte sie in Berlin schon als Regiehospitantin bei Leander Haußmann und Ersan Mondtag gearbeitet und war feste Regieassistentin am Maxim Gorki Theater.

Ich kenne viele türkische Künstler*innen, die jeden Tag Angst um ihr eigenes Leben haben."

Ebru Tartıcı Borchers

In den theatralen Räumen, die sie mit ihrer Arbeit aufmacht, möchte Ebru Tartıcı Borchers gegen Normierung und Kategorisierung ankämpfen. „Der erste Reflex einer Gesellschaft auf ein Problem oder eine Herausforderung scheint immer ein trennender und kategorisierender zu sein“, erklärt sie. Der Drang danach, das nicht nur aufzuzeigen, sondern auch aufzubrechen, ist deshalb ein wichtiger Motor für ihre Arbeit. Doch auch das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

„Ich kenne viele türkische Künstler*innen, die jeden Tag Angst um ihr eigenes Leben haben. Auch bei mir kann es passieren, dass ich, wenn ich in die Türkei fliege, am Flughafen festgenommen werde. Wegen eines Tweets, zum Beispiel.“ Waren vor einigen Jahren die türkischen Theater noch Räume, in denen man frei diskutieren konnte, ist auch das nun vorbei, ergänzt sie. „Als ich mich dazu entschieden hatte, Regie zu studieren, war ich davon überzeugt, dass ich mit den Mitteln des Theaters etwas verändern kann“, so die Regisseurin.

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„Meine Sprache ist mein Zuhause“ – Ebru Tartıcı Borchers inszeniert im Kosmos Theater
Nikita Buldyrski, Servan Durmaz, Alaaeldin Dyab, Kai Götting und Igor Karbus sind in der Uraufführung von „Knechte" zu sehen.

Foto: Christian Borchers

Keine Kunst ohne politische Auseinandersetzung

Und auch wenn die Dinge heute anders stehen, hat Ebru Tartıcı Borchers die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil. „Es kann jederzeit passieren, dass ich meine Koffer packe und wieder zurückfliege. Jede linke Stimme ist lebenswichtig und wir dürfen nicht aufhören, für eine demokratische Türkei zu kämpfen. Eigentlich ist es so, dass all die Dinge, die ich hier mache, aus diesem Bedürfnis heraus entstehen“, sagt Borchers. Daher plädiert sie auch immer wieder dafür, Stücke des klassischen Dramenkanons heute anders zu lesen und zu inszenieren.

„Bis ich 18 oder 20 Jahre alt war, dachte ich, dass ich einfach Kunst machen und Shakespeare spielen möchte“, erklärt sie mit einem Lachen, das der Tiefgründigkeit ihrer Aussagen jedoch keinen Abbruch tut. „Irgendwann habe ich aber verstanden, dass es nicht nur um die künstlerische Auseinandersetzung geht, sondern es auch immer eine politische Dimension gibt. Die von der Politik geschaffenen Strukturen durchdringen nicht nur unser Leben, sondern auch die Kunst.“

Knarre, Kohle, Karre

Ihre Inszenierung des von Caren Jeß geschriebenen Stückes „Knechte“ ist nicht nur eine Uraufführung, sondern auch die Diplominszenierung der 32-Jährigen. Die Autorin begibt sich in ihrem Text in die Eingeweide unserer Gesellschaft – ins Gefängnis. Dort treffen, wie sie auf ebenso derbe wie bilderreiche Weise schildert, Menschen aus unterschiedlichen Welten aufeinander. Gemeinsam ist ihren fünf Protagonisten jedoch, dass sie für Taten büßen müssen, an denen die Gesellschaft zumindest eine Teilschuld trägt. „Der Text konfrontiert uns damit, dass es nicht immer so einfach ist, die Menschen in ‚gut‘ und ‚böse‘ einzuteilen, wie es oft scheint. Natürlich kann man nicht behaupten, dass sie keinerlei Schuld an ihren Taten haben, aber die Gesellschaft, mit all ihren Normen und dem Druck, der dadurch entsteht, ist an dieser Schuld beteiligt“, bringt es Ebru Tartıcı Borchers auf den Punkt.

Jeß schrieb den Text, nachdem sie gemeinsam mit einer Freundin Schreibworkshops in Berliner Gefängnissen gegeben hatte. Wie Eva Behrendt in einem Artikel für Theater Heute schreibt, war ihre Motivation folgendermaßen begründet: „Mich interessiert jede Form von Abweichung von normativem Verhalten. Im Knast begegnet man oft Männern mit einer hochpotenzierten Männlichkeit: also im Sinne von Knarre, Kohle, Karre, Banküberfall, `ne heiße Braut abstauben.“

Vielstimmigkeit

Im Zuge ihrer Arbeit an dem Stück hat sich die Regisseurin immer wieder mit der Autorin via Video-Call unterhalten. Einiges hat sie mit Absicht nicht gefragt und offengelassen, „damit es für uns bis zum Ende spannend bleibt und die gemeinsame Entdeckungsreise weitergeht“. Die Mehrsprachigkeit, die Ebru Tartıcı Borchers – unter anderem durch die Besetzung – stark forciert, sei zwar nicht in den Theatertext eingeschrieben, aber durchaus von der Autorin angeboten. „Ich denke, dass es die Inszenierung viel realistischer macht, wenn mehrere Sprachen gesprochen werden. Schließlich gibt es kein einziges Land, in dem man nur eine einzige Sprache spricht“, fasst sie zusammen.

Auch die Beziehung zu ihrer eigenen Sprache spielt in ihren Arbeiten eine wichtige Rolle. „Meine Sprache ist mein Zuhause. Deshalb kann ich viel schneller und tiefer zugreifen, wenn ich ein paar türkische Sätze oder türkische Musik in meinen Inszenierungen habe. Aber natürlich gehe ich nicht nur von mir selbst aus, sondern freue mich, wenn alle aus dem Team Teile ihrer Geschichten ins Stück bringen.“ Eine Vielstimmigkeit, die aus all diesen unterschiedlichen Geschichten resultiert, beobachtet sie in der deutschsprachigen Theaterlandschaft noch zu wenig. Eine Ausnahme ist für sie das Kosmos Theater, wo ihre Inszenierung von „Knechte“ ab 15. Februar gezeigt wird. Schon lange hatte sie sich eine Zusammenarbeit gewünscht.

Plan B? Fehlanzeige.

Auch am Oldenburgischen Staatstheater und an den Tiroler Volksschauspielen hat sie schon als Regisseurin gearbeitet. „Bisher war es immer eine Arbeit auf Augenhöhe“, so ihr Fazit. Manchmal hatte sie jedoch das Gefühl, dass es auch Intendant*innen gibt, die denken, dass sie ihr mit einem gemeinsamen Projekt einen Gefallen tun würden. „Das ist es aber nicht, sondern meine Arbeit“, teilt Ebru Tartıcı Borchers mit jener Klarheit mit, die schon unser ganzes Gespräch prägt. „Ich kommuniziere das aber ganz offen und direkt. Die Größe des Hauses oder des Projekts ist mir nicht wichtig, aber ich möchte ernst genommen werden. Sonst mache ich es nicht.“

Plan B? Fehlanzeige. Den hat sie erst wieder bei ihrer nächsten Inszenierung im Kopf und in der Tasche. Ab 20. März ist am Staatstheater Karlsruhe ihre Inszenierung von Matin Soofipour Omams Stück „Links vom Mond“ zu sehen. Ebenfalls eine Uraufführung.

„Meine Sprache ist mein Zuhause“ – Ebru Tartıcı Borchers inszeniert im Kosmos Theater

Foto: Christian Borchers

Zur Person: Ebru Tartıcı Borchers

Ebru Tartıcı Borchers wurde 1990 in Hatay/Türkei geboren. Nach einem Schauspielstudium in Ankara und anschließenden Engagements in der Türkei arbeitete sie ab 2015 auch in Deutschland, u.a. im Filmbereich und als Regieassistentin am Maxim Gorki Theater. 2018 begann sie ein Regiestudium am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum Salzburg, das sie im Februar 2022 mit einer Uraufführung am Kosmos Theater Wien abschließt.

Zu den Spielterminen von „Knechte" im Kosmos Theater