„Die stumme Serenade“ in der Kammeroper: Interview mit Ingo Martin Stadtmüller
Genre-Mix mit aberwitzigen Wendungen. Erich Wolfgang Korngolds wiederentdecktes Spätwerk entzieht sich herkömmlichen Zuschreibungen. „Eine wunderbare Herausforderung“, findet Ingo Maria Stadtmüller – musikalischer Leiter des temporeichen Unterfangens – im Interview.
„Die stumme Serenade“ wurde hierzulande noch nie aufgeführt. Welchem musikalischen Genre ist das Stück eigentlich zuzurechnen?
Das Wunderbare an der „Stummen Serenade“ ist, dass man genau das nicht so richtig sagen kann: Es ist natürlich viel Operette der 20er Jahre dabei, auch ein bisschen Musical und gleichzeitig auch genau der Opernsound, den man aus den großen Opern von Korngold kennt.
Worin bestehen für Sie die musikalischen
Herausforderungen des letzten Korngold-Bühnenwerks?
Eine Herausforderung ist es, genau diese verschiedenen Stile zusammenzubringen und in einen stimmigen Gesamtklang zusammenzufügen. Die Musik muss atmen und schwelgen können, gleichzeitig Tempo haben und das Orchester, wie immer im Musiktheater, natürlich den Sänger*innen auf der Bühne den Boden für ihre Gestaltung bieten.
Was hat Sie daran so sehr interessiert, dass Sie die musikalische Leitung übernommen haben?
Ich finde es einfach ein unglaublich spannendes Stück und habe mich sehr darüber gefreut, es an diesem ganz besonderen Haus, noch dazu in einer österreichischen Erstaufführung, machen zu dürfen. Gleichzeitig haben wir mit den Sänger*innen und dem Regieteam insgesamt eine so wundervolle Cast, dass bereits die ersten Probentage und die musikalischen Proben eine große Freude waren.
1954 uraufgeführt, blieb „Die stumme Serenade“ danach für 53 Jahre tatsächlich stumm. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das Stück in Vergessenheit geriet?
Der oben beschriebene Stilmix ist sicher einer der Punkte. Das Stück hat nicht so wirklich in eine Schublade gepasst und gleichzeitig orientierte sich die Operette in den 50er Jahren eher in eine Heimatfilm-Richtung. Die Tradition der 20er Jahre, aus der die „Stumme Serenade“ ein wenig kommt, war nicht mehr gefragt. Und außerdem ereilte Korngold das gleiche Schicksal wie viele seiner ebenfalls geflüchteten oder rechtzeitig emigrierten Komponistenkollegen: Mit dem, was war, wollte sich die Gesellschaft nach dem Krieg schlicht nicht mehr auseinandersetzen, und die Komponisten konnten an ihre Vorkriegs-Erfolge nicht mehr anknüpfen. So verschwand auch dieses Werk in der Versenkung. Und während seine großen Opern schon früher wiederentdeckt worden waren, brauchte die Operettenwelt offensichtlich deutlich länger, bis sie wieder bereit für Korngold war.
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Die Kammeroper ist ein eher intimer Rahmen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Zunächst ist es ganz wundervoll, dass wir permanent auf der Bühne proben können. In einem Theater mit einem normalen Spielbetrieb ist das meist erst gegen Ende einer Produktion möglich, davor probt man auf einer Probebühne. Dadurch können wir hier die Wirkung im Raum und die gesamte Stimmung sehr viel früher wahrnehmen und uns darauf einstellen. Ich glaube, dass der Saal der Kammeroper für die „Stumme Serenade“ perfekt ist. Groß genug, dass sich ein Klang entfalten kann, und trotzdem nicht zu groß, sodass es sich auch lohnt, die vielen kammermusikalischen Nuancen herauszuarbeiten.